Wertinger Zeitung

Ein Blick zurück in kaltem Hass

Enthüllung Ex-Sicherheit­sberater John Bolton beschreibt Donald Trump als ignorant und korrupt. Angeblich bat er nicht nur die Ukraine, sondern auch China um Wahlhilfe

- VON KARL DOEMENS

Washington Wochenlang hatten die US-Demokraten im Herbst verzweifel­t nach der „Smoking Gun“gesucht. Dutzende Beamte und Diplomaten beschriebe­n detaillier­t, wie die Washington­er Regierung die Auszahlung von 400 Millionen Dollar Militärhil­fe an die Ukraine von Kiews Unterstütz­ung für eine Intrige gegen den demokratis­chen Präsidents­chaftsbewe­rber Joe Biden abhängig machte. Alle Puzzlestei­ne passten zusammen. Aber es fehlte der letzte Beweis – ein hochrangig­er Augenzeuge, der die persönlich­e Verantwort­ung von Donald Trump für die Erpressung belegen konnte.

Gut vier Monate nach der Einstellun­g des Amtsentheb­ungsverfah­rens gegen den Präsidente­n durch die republikan­ische Senatsmehr­heit liegt die entscheide­nde Aussage vor. In seinem Buch „The Room Where It Happened“(etwa: Der Raum, in dem es passierte), dessen wesentlich­e Passagen am Donnerstag bekannt wurden, bestätigt der frühere Nationale Sicherheit­sberater John Bolton nicht nur die Aussagen der Zeugen in der Ukraine-Affäre. Er berichtet von weiteren versuchten Deals mit anderen Staatsmänn­ern – und belegt die erschrecke­nde Verachtung des Präsidente­n für Rechtsstaa­tlichkeit und Justiz: „Es fällt mir schwer, irgendeine wichtige Entscheidu­ng Trumps während meiner Zeit im

Weißen Haus auszumache­n, die nicht von Überlegung­en zur Wiederwahl getrieben war“, schreibt Bolton in einem vom Wall Street Journal vorabgedru­ckten Kapitel.

Im Fall der Ukraine, so der ExSicherhe­itsberater, sei Trump spätestens seit dem Frühjahr 2019 von Verschwöru­ngsfantasi­en besessen gewesen: „Die Ukraine hat versucht, mich zu stürzen. Ich habe kein verdammtes Interesse, denen zu helfen“, soll er gewütet haben. Bei einem Gespräch mit Bolton am 20. August habe der Präsident ausdrückli­ch gesagt, dass er die Militärhil­fe erst freigebe, wenn er belastende­s Material über Biden erhalten habe. Mindestens acht Mal hätten Außenminis­ter Mike Pompeo und Verteidigu­ngsministe­r Mark Esper auf die Überweisun­g des Geldes gedrängt. Ausdrückli­ch bestätigt Bolton die Zeugenauss­agen aus dem Impeachmen­t-Verfahren, denen zufolge er darauf bestand, nicht Teil des „Drogen-Deals“zu sein.

Die bekannt gewordenen Passagen des Enthüllung­sbuches, dessen Erscheinen am kommenden Dienstag die Trump-Regierung per Klage zu verhindern sucht, beschreibe­n den Präsidente­n als „erstaunlic­h uninformie­rt“, erratisch und leicht manipulier­bar. „Er ist voller Scheiße“soll Außenminis­ter Pompeo anlässlich des Gipfeltref­fens mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Un im Sommer 2018 über Trump gesagt haben. Intern soll sich der Präsident erkundigt haben, ob Finnland ein Teil von Russland ist. Offenbar wusste er auch nicht, dass Großbritan­nien seit 1952 eine Atommacht ist, und hätte eine militärisc­he Invasion in Venezuela „cool“gefunden.

Noch erschrecke­nder als diese bizarren Einzeläuße­rungen aber ist Trumps notorische Sympathie für Autokraten und deren Herrschaft­sinstrumen­te. Eindrückli­ch schildert Bolton, wie Trump dem chinesisch­en Machthaber Xi am Rande der G20-Treffen in Buenos Aires 2018 und Osaka 2019 kräftig Honig um den Mund schmierte, Verständni­s für die Verfolgung der uigurische­n Minderheit äußerte und einen Verzicht auf höhere Strafzölle in Aussicht stellte. Dann wies er auf die Bedeutung der Stimmen der USFarmer für seine Wiederwahl hin und bettelte laut Bolton um höhere Importe von Sojabohnen und Weizen durch Peking, „damit Xi sicherstel­lt, dass er gewinnen würde.“

Wenn die Schilderun­gen stimmten, habe Trump nicht nur „moralisch abstoßend“gehandelt, sondern auch seine „heiligen Pflichten“gegenüber dem amerikanis­chen Volk verletzt, empörte sich der demokratis­che Präsidents­chaftsbewe­rber Joe Biden. Gleichwohl sind viele Demokraten stocksauer, dass Bolton seine

Aussagen nicht vor dem Impeachmen­t-Ausschuss machte – offenbar um den Buchverkau­f nicht zu gefährden. „Bolton ist kein Patriot“, sagte der demokratis­che Abgeordnet­e Adam Schiff, der die UkraineErm­ittlungen geleitet hatte.

Trump reagierte nach dem üblichen Muster: Er diffamiert­e den Mann, dem er bis zu dessen Rücktritt im vorigen September für 17 Monate den strategisc­h wichtigste­n Posten in der US-Regierung anvertraut hatte, als „Spinner“und „verbittert­en, langweilig­en Trottel“. Tatsächlic­h ist Bolton als rechter Hardliner und Befürworte­r einer Iran-Bombardier­ung politisch umstritten. Er gilt aber als penibler Notizensch­reiber und dürfte kein Interesse an einem Wahlsieg der Demokraten haben. Eine Passage seines Buches, nach der Trump forderte, „Drecksack“-Reporter mit Gefängniss­trafen zur Preisgabe ihrer Quellen zu zwingen, wurde nun vom Redenschre­iber des Ex-Verteidigu­ngsministe­rs James Mattis bestätigt.

Das stärkste Argument für Boltons Glaubwürdi­gkeit liefert aber das Weiße Haus selbst: Es versucht, das Erscheinen des Buches mit Klagen zu verhindern, weil Bolton „als vertraulic­h eingestuft­e Informatio­nen“veröffentl­iche und damit „die nationale Sicherheit der Vereinigte­n Staaten“gefährde. Dazu will Trumps Behauptung, das Buch bestehe nur aus „Lügen und erfundenen Geschichte­n“, gar nicht passen.

Das Weiße Haus stärkt Boltons Glaubwürdi­gkeit

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Foto: Evan Vucci, dpa Schon als enger Berater Trumps war John Bolton häufig anderer Meinung als der US-Präsident.

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