Wertinger Zeitung

Wirecard-Chef scheitert mit Befreiungs­versuch

Analyse Der Online-Bezahlabwi­ckler muss zum vierten Mal die Vorlage der Bilanz verschiebe­n. Die Wirtschaft­sprüfer spielen nicht mit

- VOn STEFAn STAHL

München Wer ist Markus Braun? Ein Mann, der, auch wenn er mit dem Rücken zur Wand steht, seinen kühlen Wirtschaft­sinformati­kerVerstan­d walten lässt und an die Zukunft des Online-Zahlungsab­wicklers Wirecard glaubt? Oder ein Mann, der sich als Chef des Unternehme­ns aus Aschheim bei München verzockt hat, indem er bei Auslandsge­schäften nicht die notwendige Sorgfalt walten ließ?

Die Börse hat jedenfalls am Donnerstag den Finger über den 1969 in Wien geborenen öffentlich­keitsscheu­en Wirecard-Chef mit dem Pokerface gesenkt. Eindeutige­r hätte das Missfallen­svotum der Aktionäre über die Firma mit rund 5800 Beschäftig­ten, die es in die deutsche Börsen-Oberklasse des Dax geschafft hat, nicht ausfallen können: Das Wirecard-Papier wurde nach unten geprügelt, als ob einer Regierung fast alle Koalitionä­re das Vertrauen entziehen. Die Aktie brach mit einem Wumms, besser gesagt: Bumms von gut 100 Euro schlagarti­g auf zum Teil rund 30 Euro ein.

Auslöser des Kurs-Desasters war die bittere Erkenntnis, dass Braun und das Unternehme­n sich wieder nicht aus dem Dauer-Schlamasse­l befreien: Denn zum vierten Mal in Folge können die Wirecard-Mana

den Schwur, endlich eine von Wirtschaft­sprüfern testierte Bilanz vorzulegen, nicht einlösen.

Dabei hatte Braun so sehr gehofft, nun dank eines Freibriefs von den Spezialist­en von EY (Ernst & Young) sich wieder auf das selbst in Corona-Zeiten einträglic­he Geschäft mit den Abwicklung­en von OnlineZahl­ungen konzentrie­ren zu können. Schließlic­h verdient Wirecard, ohne dass Verbrauche­r das merken, bei vielen solchen Geschäften rund um den Globus mit. Doch die exzellente­n vorläufige­n Zahlen für 2019, als demnach der Umsatz um 37,5 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro und der Gewinn von 347,4 auf 482,4 Millionen Euro nach oben geschnellt ist, nutzen Braun wenig. Er kann damit kaum verloren gegangenes Vertrauen der Aktionäre wettmachen, schließlic­h fehlt ihm immer noch das Testat der Wirtschaft­sprüfer für die Bilanz 2019.

Als nun die Meldung über die Ohrfeige von Ernst & Young für die Wirecard-Führungstr­uppe bekannt wurde, fiel die Aktie des Unternehme­ns über den 100-Euro-Buckel ins Nichts. Doch warum wollen die Wirtschaft­sprüfer dem auf dem Papier erfolgreic­hen Braun nicht geben, nach was er sich derart sehnt?

Es lohnt sich ein genaues Studium der sehr verklausul­iert formuliert­en schriftlic­hen Begründung für die

EY-Ohrfeige. Dabei führt die Reise ins Ausland, also in Länder, in denen das stark wachsende Unternehme­n aus Bayern über keine BankLizenz verfügt und sich, um den eigenen Expansions­gelüsten gerecht zu werden, nicht näher ausgeführt­en Drittanbie­tern bedient. Tochterges­ellschafte­n der Wirecard AG haben nach Darstellun­g von Ernst & Young auf solche Treuhandko­nten im Ausland Sicherheit­sleistunge­n von unglaublic­h hohen 1,9 Milliarden Euro eingezahlt. Hier sind, wie Wirecard einräumt, zwei asiatische Banken im Spiel. Doch für den Betrag, der auf fast groteske Weise in etwa einem Viertel der Wirecardge­r

Bilanzsumm­e entspricht, wurden Ernst & Young bisher keine Prüfungsna­chweise vorgelegt. Es ist also, was die Wirtschaft­sprüfer nicht konkret benennen, unklar, ob diese Summen in der Höhe korrekt sind oder, was Wirecard-Kritiker zu bedenken geben, überhaupt existieren. Die Rechercheu­re der Financial Times vermuten, dass hier Umsätze künstlich aufgebläht worden sind. Die Vorwürfe sind bisher nicht bewiesen worden. Sollten sie sich aber erhärten, stellt sich die Frage, wer das veranlasst hat und welche Personen seitens Wirecard und asiatische­n Finanzdien­stleistern davon wussten. Der Sachverhal­t ist unklar und nach Ansicht eines erfahrenen, von unserer Redaktion befragten Bank-Experten schwer zu ermitteln: „Schließlic­h spielen die Fälle im Ausland mit anderen Rechtssyst­emen. Solche Untersuchu­ngen können ewig dauern und irgendwann im Sand verlaufen.“

Braun hat es aber eilig, auch um seinen Kopf als Wirecard-Chef zu retten. Nun versucht er, nach einer Razzia bei dem Konzern und einer Anzeige der deutschen Finanzaufs­icht BaFin gegen das Unternehme­n, den Spieß umzudrehen. Weil es aus seiner Sicht unklar ist, ob betrügeris­che Vorgänge zum Nachteil von Wirecard vorliegen, erstattet das Unternehme­n selbst Anzeige gegen unbekannt. Ist Braun also der Betrogene? Oder wusste er um mögliche Trickserei­en? Wer den Manager bei seinen seltenen öffentlich­en Auftritten beobachtet, wird aus ihm und dem Unternehme­n nicht schlau.

Schlau wäre es aber, Wirecard könnte endlich eine genehmigte Bilanz vorlegen. Geschieht das nicht bis zum Freitag, können Banken Kredite des Unternehme­ns von rund zwei Milliarden Euro kündigen. Dann wird es eng für die Bayern und Braun. Robert Peres, Rechtsanwa­lt und Vorsitzend­er der Initiative Minderheit­saktionäre, sagte unserer Redaktion: „Eine Aktie wie Wirecard hat im Dax nichts verloren.“Und auch für Braun weiß er eine Empfehlung: „Aus Aktionärss­icht wäre es ratsam, wenn er gehen würde.“Die Anlegergem­einschaft SdK prüft schon eine Sammelklag­e gegen Wirecard. Und die Bitte der Anlegerver­einigung DSW, die Staatsanwa­ltschaft möge sich den Fall wegen des Betrugsver­dachts gegen die Firma vorknöpfen, scheint Gehör zu finden. Die Münchner Staatsanwa­ltschaft untersucht die dubiosen Vorgänge zumindest. Wenn Wirecard aus dem Dax fliegt, stehen mit dem Aromenund Duftstoffh­ersteller Symrise und dem Online-Essenslief­eranten Delivery Hero Aufrücker schon parat.

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