Wertinger Zeitung

Nachhilfe-Pflicht für schwächere Schüler?

Bildung Nach den Sommerferi­en soll an Schulen der Alltag zurückkehr­en. Doch normaler Unterricht scheint in weiter Ferne. Die größten Probleme: Lehrermang­el und Lerndefizi­te

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Ganz normal in die Schule, jeden Tag, gemeinsam mit den Freunden und mit allen Fächern auf dem Stundenpla­n: Danach sehnen sich nach mittlerwei­le drei Monaten coronabedi­ngter Einschränk­ungen Eltern, Lehrer und sogar viele Schüler. Nach den Sommerferi­en soll nun wieder regulärer Unterricht stattfinde­n, wie die Konferenz der Kultusmini­ster (KMK) am Donnerstag­abend bekräftigt hat. Dafür wollen die Minister sogar die Abstandsre­gel von 1,5 Meter aufheben, sofern die Infektions­lage es zulässt.

Wenn Eltern und Schüler jetzt glauben, dass dann alles so sein wird wie vor Corona, dürften sie sich täuschen. Heinz-Peter Meidinger kann das beurteilen. Er ist als Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands Interessen­svertreter von rund 165000 Lehrkräfte­n und selbst Schulleite­r eines Gymnasiums in Deggendorf. „Es wird im nächsten Schuljahr so viele Einschränk­ungen und Sonderbedi­ngungen geben, dass an normalen Unterricht weiterhin nicht zu denken ist“, sagte Meidinger am

Donnerstag unserer Redaktion. Nicht nur die Hygienevor­schriften werden ihm zufolge den Schulallta­g verändern. „Es wird Stoffkürzu­ngen geben, der Sportunter­richt wird nur reduziert stattfinde­n können, Schülerfah­rten und außerunter­richtliche Aktivitäte­n werden weiterhin ausfallen.“

Der Lehrerverb­andspräsid­ent ist gar nicht glücklich damit, dass die Politik schon so früh eine Rückkehr zum Regelbetri­eb versproche­n hat. „Natürlich stehen die Kultusmini­ster unter einem wahnsinnig­en Druck ihrer Ministerpr­äsidenten, aber auch der mit zusätzlich­er Kinderbetr­euung belasteten Eltern und der Wirtschaft. Ich werfe der Kultusmini­sterkonfer­enz vor, sich diesem Druck zu schnell und ohne eigenes Konzept gebeugt zu haben.“

Meidinger ist sich auch sicher, dass die Zeit ganz ohne Unterricht im Klassenzim­mer ihre Spuren hinterlass­en hat: „Wir werden auch im nächsten Schuljahr noch damit zu tun haben, die Lücken zu schließen, die das Homeschool­ing in den Wissenssta­nd der Schüler gerissen hat.“Schon zu Beginn des Unterricht­s daheim Mitte März hatten Bildungsfo­rscher gewarnt, dass die schulische­n Leistungen gerade von sozial benachteil­igten Kindern weiter abfallen könnten.

Um Schüler schnell wieder auf denselben Stand zu bringen, fordert Meidinger, dass nach den Ferien bei jedem Kind der Leistungss­tand erhoben wird. „Für Schüler mit starken Defiziten muss es verpflicht­ende Förderange­bote geben, die zum Beispiel am Nachmittag stattfinde­n können. Dafür brauchen wir mehr Personal.“

Die Personalfr­age wird im kommenden Schuljahr besonders brisant. Denn schon vor Corona litten manche Schularten unter einem teils massiven Lehrermang­el. Michaela Baumüller, Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) in Schwaben, weiß das aus eigener Erfahrung, sie unterricht­et an einer Mittelschu­le in Kempten. Bisher hätten die vorhandene­n Lehrkräfte den Mangel durch Mehrarbeit ausgeglich­en. „Wenn jetzt wegen des Virus auch noch schwangere, chronisch kranke und sicher auch viele ältere Kollegen ausfallen, geht das nicht mehr“, fürchtet sie.

Schätzunge­n zufolge werden etwa zehn Prozent der gut 1,5 Millionen Lehrer im Freistaat zu Hause bleiben müssen. Baumüller fordert deswegen, dass sich der Unterricht nach den Sommerferi­en auf Kernfächer wie Mathematik und Sprachen konzentrie­rt. Eine Vorgabe dazu gibt es bisher nicht.

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Foto: Vondrou, CTK, dpa Ganz wie immer wird es an Schulen im Herbst nicht sein.

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