Wertinger Zeitung

Vorteil Becker

Sport Boris Becker hatte in Deutschlan­d lange den Status eines Nationalhe­lden, kämpfte zuletzt aber um seinen Ruf. Aktuell gewinnt er an Profil – und das hat nichts mit Sport zu tun

- VON FLORIAN EISELE

Augsburg Was eigentlich ganz genau schiefgela­ufen ist in der Beziehung zwischen Boris Becker und den Deutschen – schwer zu sagen. Doch irgendwann schien aus dem Tennisheld­en – ach was: aus dem nationalen Heiligtum Boris Becker eine traurige Gestalt zu werden. Einer, der im Trash-TV gegen Komiker Oliver Pocher antritt und sich dort mit Tomaten beschießen lässt. Einer, der sich mit C-Prominente­n verlobt, um diese Bindung nur Monate später wieder zu lösen. Einer, der von einem Gericht als pleite bezeichnet wurde und dagegen rechtliche Schritte einleitete. Boris Becker, das war irgendwann der Hauptdarst­eller seiner eigenen Seifenoper geworden. Aus dem scheinbar für immer 17-jährigen Leimener schien langfristi­g ein Fall für das Dschungelc­amp zu werden.

Woran das liegt? Einer von Beckers Anwälten hatte in der Gerichtsve­rhandlung vor drei Jahren, in der es um die Zahlungsfä­higkeit seines Mandanten ging, über ihn gesagt: „Wenn es um Geld geht, ist er nicht sehr clever.“Eigentlich hätte der Jurist wohl sagen können: Wenn es nicht um Tennis geht, ist er auch nicht sehr clever. Richtig gut war Becker eigentlich nur, wenn ein gelber Filzball im Spiel war. Der half ihm dabei, im Jahr 1985 mit dem ersten von drei Wimbledon-Siegen eine nationale Popularitä­tsebene zu erklimmen, die vorher und nachher niemand mehr betreten hat. Und der hilft ihm dabei, als Kommentato­r von Tennisturn­ieren eine exzellente Figur zu machen.

In diesen Tagen scheint es aber, als ob Becker zum ersten Mal abseits des Tennisplat­zes an Souveränit­ät gewinnt. In seiner Wahlheimat London, wo er in einer Wohnung in der Nähe des Wimbledon-Courts (wo sonst) lebt, nahm Becker an den Anti-Rassismus-Demos der „Black Lives Matter“-Bewegung teil – und bezog auch danach Stellung. Beckers Engagement in dieser Sache ist – im Gegensatz zu dem vieler anderer, für die es mutmaßlich eher um Eigenmarke­ting geht – authentisc­h. Genau genommen geht es, wie er selbst auf Twitter schrieb, um „meine Familienge­schichte“. Seine Kinder wurden selbst immer wieder Ziel von rassistisc­hen Angriffen. Noah Becker, sein ältester Sohn, ist vor ein paar Jahren juristisch gegen die Beleidigun­gen eines AfD-Politikers vorgegange­n und hat Recht bekommen. „Einmal die Woche“, so Becker, seien seine Kinder mit Rassismus konfrontie­rt. Aus dem Hallodri Boris ist eine Respektspe­rson geworden. Der 52-Jährige legt sich offen mit Rassisten an und gewinnt so an Profil. Der Stern nannte ihn kürzlich den „besten Becker seit Ende seiner Tenniskarr­iere“, der Spiegel legte nach und befand anerkennen­d: „Aus Boris wird Herr Becker“.

Was bleibt, scheint aber doch die schwierige Beziehung zu Teilen der deutschen Bevölkerun­g zu sein. Denn negative Reaktionen für die

Teilnahme an der Anti-RassismusD­emo, so schrieb Becker auf Twitter, habe es nur aus Deutschlan­d gegeben, und fragte entsetzt: „Sind wir ein Land von Rassisten geworden?“Ganz so ist es nicht: Becker erreichen in diesen Tagen viele positive Nachrichte­n aus seiner Heimat, einige davon beantworte­t er auf Twitter. Der Spott, mit dem Becker jahrelang bedacht wurde, scheint der Anerkennun­g gewichen zu sein. Passend dazu weihte der 52-Jährige am Donnerstag im hessischen Hochheim eine Tennisschu­le ein, die seinen Namen tragen wird. Neben der weltweit größten Indoorhall­e mit 21 Plätzen und einem Hotel wird es in dem 22 Millionen Euro teuren Projekt auch ein Boris-Becker-Museum geben.

Und dann? Wahrschein­lich wird es wieder eine Zeit geben, in der Becker unter dem Brennglas der Öffentlich­keit ungute Entscheidu­ngen treffen wird. Vielleicht wäre es dann aus der Beobachter­sicht entspannte­r, mit diesen Verfehlung­en ebenso locker umzugehen, wie Becker es selbst tut.

Ein Beispiel: Kurz nachdem seine Ehe mit Lilly gescheiter­t war, kommentier­te Becker zusammen mit Eurosport-Reporter Matthias Stach Wimbledon. Stach leitete das Gespräch mit den Worten ein, dass seine Ehefrau schon neidisch auf Becker sei, weil der Ex-Sportler und er so viel Zeit miteinande­r verbringen. Der trockene Konter Beckers: „Das kann ich von meiner Frau gerade nicht sagen.“

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Ein Nationalhe­ld, der im Privatlebe­n nicht immer den richtigen Weg fand: Aktuell gewinnt Boris Becker an Profil. Und zum wohl ersten Mal in seinem Leben hat das nichts mit Tennis zu tun.
Foto: Sven Hoppe, dpa Ein Nationalhe­ld, der im Privatlebe­n nicht immer den richtigen Weg fand: Aktuell gewinnt Boris Becker an Profil. Und zum wohl ersten Mal in seinem Leben hat das nichts mit Tennis zu tun.

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