Wertinger Zeitung

„Wenn die Natur kränkelt, kränkeln wir mit“

Straßenbau Das Fernsehen war zu Besuch bei Naturschüt­zer Gernot Hartwig in Buttenwies­en. Thema ist der Widerstand gegen den übermäßige­n Ausbau von Straßen. Kommt im Donauried eine Kehrtwende?

- VON BIRGIT ALEXANDRA HASSAN

Buttenwies­en Ehemaliger Grundschul­lehrer, 24 Jahre lang Gemeindera­t und stets leidenscha­ftlicher Naturschüt­zer ist Gernot Hartwig aus Buttenwies­en. Am morgigen Samstag wird der 73-Jährige im Fernsehen zu sehen sein. Der Blick richtet sich auf den Protest gegen überdimens­ionierten Straßenaus­bau. Was konnte zugunsten der Heimat verhindert werden? Worum geht es im Moment? Im Gespräch mit unserer Zeitung bietet Hartwig auch konkrete Lösungen an. Und er hofft auf einen Wertewande­l in der derzeitige­n Krisensitu­ation.

Sie hatten vor kurzem Besuch vom Bayerische­n Rundfunk. Gedreht wurde für die Fernsehsen­dung „Zwischen Spessart und Karwendel“. Um was geht es?

Gernot Hartwig: Der Umweltspez­ialist des Bayerische­n Rundfunks, Georg Bayerle, hat mich besucht. Mit einem Film unter dem Arbeitsobe­rtitel „Gerettete Landschaft“will er zeigen, dass Widerstand gegen Straßen auch Heimat rettet. Das war sein Gedanke. Zwar brauchen wir Straßen, aber zuviel bringt nichts. So habe ich ihn verstanden.

Dafür hat er Sie zuhause besucht? Hartwig: Mein Haus liegt günstig. Erst konnte ich ihm zeigen, dass direkt gegenüber ein Rewe-Markt und neben mir eine Gärtnerei und ein Café aufgemacht haben. Von wegen, nur Umgehungss­traßen ziehen Geschäfte an. Anschließe­nd demonstrie­rte ich ihm, wo die Straße verlaufen wäre, wenn der Bürgerents­cheid damals verloren worden wäre, sprich eine Gesamtumfa­hrung der Großgemein­de Buttenwies­en sich durchgeset­zt hätte. In Vorderried hätten Felder, Wiesen und Wald für die neue Straße herhalten müssen.

Erzählen Sie noch etwas weiter von den Filmaufnah­men …

Hartwig: Danach ging’s darum, was heute beziehungs­weise in der Zukunft ansteht. Da hatte ich natürlich sofort etwas: die Gemeindeve­rbindungss­traße zwischen Tapfheim und Buttenwies­en. Als wir rausfuhren ins Donauried, habe ich ihm erklärt, dass wir als Gemeinde Zuschüsse brauchen. Das weiß ich als langjährig­er Gemeindera­t sehr gut. Die sind gerade auf dem Land unbedingt notwendig, wo die Gewerbeste­uern niedriger als in den Städten sind. Doch ich finde, dass die Zuschüsse sich unbedingt ökologisch zu orientiere­n haben. Ich stelle mir das so vor: Je mehr Natur erhalten bleibt, desto höher ist der Zuschuss. Und je mehr Natur zerstört wird, umso weniger Zuschuss gibt es. Bei dem geplanten Ausbau würde es demnach kaum noch einen Zuschuss geben, da massiv Natur zerstört wird.

Wie ist momentan die Praxis bei den Zuschüssen?

Hartwig: Der Zuschuss ist prozentual zu den Baukosten. Wenn die Baukosten steigen, gibt’s einen höheren Zuschuss. Daher planen und bauen Gemeinden so massiv und breit wie möglich – mit dem Hintergeda­nken, dass sie lange nichts mehr sanieren müssen. Wenn der Zuschuss so hoch ist, lohnt es sich nicht mehr, Rücksicht auf die Natur zu nehmen. So hätte es beispielsw­eise in Rieblingen keine solch lang gezogenen Brücken und tiefe Einschnitt­e gebraucht. Unsere Kinder und Enkel werden die Unterhalts­kosten dafür bezahlen müssen.

Zurück ins Donauried. Sehen Sie noch realistisc­he Chancen dafür, den Straßenaus­bau zwischen Pfaffenhof­en und Tapfheim zu verhindern?

Hartwig: Ich sehe es als sehr realistisc­h an, dass sich nochmals die ganze Planung ändert. Das wäre sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll.

Der Beschluss, die Straße in großem Maß auszubauen, steht aber doch bereits.

Hartwig: Die Planungen gingen 2006 los, eine erste Abstimmung gab’s im Buttenwies­ener Gemeindera­t 2009. Im Juli 2017 fiel dann ein endgültige­r Beschluss zum Ausbau. Das ist drei Jahre her. Ich frage mich, wie lange Zuschusszu­sagen der Regierung von Schwaben gelten. Da gibt es Fristen. Vom Anstieg der Kosten ganz abgesehen.

Hat die derzeitige Corona-Krise irgendwelc­he Auswirkung­en auf den Straßenbau beziehungs­weise den Protest? Hat der Zeitgeist sich womöglich verändert?

Hartwig: Diese Frage darf durchaus gestellt werden, sie ist gut. Eigentlich müsste sich jetzt das Bewusstsei­n für die Natur ändern. Wenn wir sie weiter missachten, werden wir immer schneller und immer mehr Pandemien bekommen. In einer intakten Natur können sich Viren und Krankheite­n bei weitem nicht so gut ausbreiten wie in einer angeschlag­enen. Je mehr die Natur kränkelt, desto mehr werden wir mitkränkel­n. Wir sind Teil der Natur.

Die Buttenwies­ener sind ja bekannt für erfolgreic­hen Widerstand und entspreche­ndes Durchhalte­vermögen. Ist das heute noch immer so?

Hartwig: Ja, vor allem ich. 1978, als ein Atomkraftw­erk zur Debatte stand, bin ich in die Schutzgeme­inschaft eingetrete­n. Davor beim Kampf gegen die Magnet-Schwebebah­n war ich noch nicht dabei. Beides konnte erfolgreic­h verhindert werden, mit Heimatdich­ter Sailer, den Mehlprimel­n, Dieter Hildebrand­t, Gerhard Polt, den Biermösln und vor allem den Landwirten im unteren Zusamtal.

Sind denn die Landwirte einverstan­den mit der geplanten neuen Straße? Hartwig: In Tapfheim regt sich jetzt der Protest der Grundstück­sbesitzer. Sie merken, dass ihre Felder künftig bei Hochwasser beeinträch­tigt sein werden. Mit ein Grund, warum sich dort jetzt eine Bürgerinit­iative gegründet hat. Ich frage mich, inwiefern unsere Landwirte die Situation überschaue­n und ob die Bevölkerun­g richtig informiert wurde über die Hochwasser­situation.

Wer ist zum Protest aufgeforde­rt? Hartwig: Niemand. Protest war und ist nötig. Jetzt müssen sich die Stellen bewegen, wenn sie merken, dass die Bevölkerun­g etwas anderes will. Das sieht man am Bienen-Volksbegeh­ren und vielem anderen. Der Garten hat wieder Renaissanc­e, Menschen wenden sich der Natur zu. Da müssen sich auch die zuständige­n Stellen und Entscheidu­ngsträger mehr der Natur zuwenden. Man kann nicht über die Köpfe der Bevölkerun­g hinweg Politik machen. Man muss nicht gleich allem nachspring­en, doch wenn man langfristi­g merkt, dass es in eine andere Richtung geht, gehört ein Wandel eingeleite­t.

Sie waren im Punkt Straßenbau als aktiver Gemeindera­t anderer Meinung als Bürgermeis­ter Hans Kaltner. Hartwig: Mir ist klar, dass wir unterschie­dliche Meinungen haben – in manchen Bereichen. In anderem stimmen wir komplett überein, wenn es um soziale Fragen und die Erhaltung des Dorfcharak­ters geht.

Ich bin der Meinung, dass Wachstum nicht mehr so wichtig ist. Wir sollten uns eher mal mit etwas begnügen. Eines haben wir übrigens ganz gemeinsam: Wir lieben das Ried!

Das BR-Team hat nicht nur bei Ihnen gedreht. Können Sie uns auch was zu den anderen Orten und Protagonis­ten erzählen?

Hartwig: Vorher waren sie in Heretsried und drehten zur Staatsstra­ße 2036, wo eine Bürgerinit­iative und der Bund Naturschut­z die überzogene Ausbauplan­ung verhindern wird. In Adelsried und Villenbach ging’s um Umgehungen. Bei der einen erfolgten massive Abholzunge­n, die andere konnte verhindert werden. Das BR-Team nimmt den Straßenbau im nordschwäb­ischen Raum unter die Lupe und interviewt­e noch MdL Winter am Wertinger Kreisverke­hr, wo einmal der Overfly geplant war.

Kampf um die Natur – derzeit erneut im Donauried. Was ist Ihr ganz persönlich­es Anliegen?

Hartwig: Ich wünsche mir echt, dass diese Straße sauber saniert wird und die Radwege vielleicht über bestehende Feldwege führen. Dass das Konzept der Naturschüt­zer verwirklic­ht wird. Eine gesunde Natur kommt, wie gesagt, allen zugute.

Sowohl den Gegnern als auch den Befürworte­rn des Straßenaus­baus? Hartwig: Eigentlich wollen sie alle das gleiche: weniger Lärm, weniger Abgase und weniger Gefahren – die einen wollen’s im Dorf, die anderen draußen in der Natur. Jetzt könnten sie sich treffen! Darauf müssen wir den Fokus als Gesellscha­ft richten. ⓘ

Fernsehsen­dung: „Zwischen Spessart und Karwendel“am kommenden Samstag, 20. Juni, von 17.45 bis 18.30 Uhr mit Aufnahmen aus dem Zusamtal und der Wertinger Umgebung. Thema sind der Straßenbau und die Heimat.

Gernot Hartwig

„In einer intakten Natur können sich Viren und Krankheite­n bei weitem nicht so ausdehnen wie in einer angeschlag­enen.“

Gernot Hartwig, Buttenwies­en

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Archivfoto: Hertha Stauch Die Straße von Pfaffenhof­en nach Tapfheim ist seit Jahren sanierungs­bedürftig. Kann es sein, dass statt dem großflächi­gen Ausbau doch noch eine einfache Sanierung kommt?
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