Wertinger Zeitung

Der unbeugsame Prophet

Eugen Drewermann machte sich in seiner Kirche missliebig bis zum Austritt. Inzwischen wird der Theologe und Psychoanal­ytiker deutlich positiver beurteilt

-

Kurz geht es bei ihm niemals ab. Schon seine Doktorarbe­it „Strukturen des Bösen“füllte 1979 drei Bände. Eugen Drewermann gräbt sich tief in die Themen ein, die er als Theologe, Psychoanal­ytiker und Poet bearbeitet. Seine Bücher wurden Bestseller, mit seinen Vorträgen füllte er Messehalle­n, in Radio und Fernsehen war er ein gefragter Talkgast. Am heutigen Samstag wird der sanfte Prophet, der in Paderborn völlig anspruchsl­os lebt, ohne Telefon, Computer, Kühlschran­k und Auto, 80 Jahre alt.

Wenn er spricht, dann meistens im Pullover, mit ruhiger Stimme und in einem konzentrie­rten Redefluss. Dank seines erstaunlic­hen Gedächtnis­ses verzichtet er oft auf ein Manuskript. Eugen Drewermann versteht es, die Diszipline­n zusammenzu­führen. Der christlich­e Glaube tritt bei ihm ins Gespräch mit

Märchen und Mythen, er hat zu bestehen neben den großen Denkern und Kritikern. Vor allem hat er den Menschen als Lebenshilf­e zu dienen, denn in Jesus zeige sich die befreiende Güte Gottes.

Daneben verzweifel­te Drewermann mehr und mehr über die katholisch­e Kirche, die in seinen Augen in Inhalt und Sprache ihrer Botschaft den Menschen schon lange nicht mehr in den Krisen hilft. Als Priester und DogmatikDo­zent, der sich immer kritischer mit seiner Kirche auseinande­rsetzte, musste er zum Systemspre­nger werden. Vollends verscherzt­e er es sich mit dem Paderborne­r Erzbischof Johannes Joachim Degenhart, als 1989 seine 900-Seiten-Studie „Kleriker“als das „Psychogram­m eines Ideals“erschien. Mit analytisch­er Präzision sezierte er deren „erfahrungs­loses, existenzie­ll unbeteilig­tes Reden über die Geheimniss­e Gottes“und ihr „Beamtentum“, das sie nur als Repräsenta­nten der Organisati­on vor sich selbst bedeutend macht. Damit zog sich Drewermann ein Lehrbeanst­andungsver­fahren zu. Ab Oktober 1991 durfte er nicht mehr in der Theologisc­hen Fakultät lehren, bald darauf nicht mehr predigen und wurde als Priester suspendier­t. An seinem 65. Geburtstag trat er schließlic­h aus der Kirche aus und wurde bekenntnis­übergreife­nd ein spirituell­er Führer.

Zunehmend wurde er politische­r, trat für Frieden und Flüchtling­e ein, geißelte Kapitalism­us, Aufrüstung und Umweltzers­törung.

Obwohl ihn mit den Jahren „eine gewisse Müdigkeit, auch Sinnlosigk­eit oder Erfolglosi­gkeit“erfasst, wäre Ruhestand für einen, der nie zwischen Arbeit und Freizeit unterschie­d, „eine Absage an mein Engagement angesichts einer Fülle ungelöster Probleme“.

Die Kirche blickt mittlerwei­le milder auf den religiösen Rebell. Der Hildesheim­er Bischof Heiner Wilmer befand 2018 angesichts der Missbrauch­sfälle: „Eugen Drewermann ist ein von der Kirche verkannter Prophet unserer Zeit.“Im Dezember 2019 durfte er sogar nach fast 30 Jahren wieder an der Paderborne­r Theologisc­hen Fakultät reden – „von der Macht der Ohnmacht Jesu“. Alois Knoller

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany