Wertinger Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (101)

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An der Wand stand ein Geld- schrank von solcher Größe, daß er sichtlich noch andre Dinge als bloß Geld und Banknoten enthalten mußte.In der Tat lieh Lheureux Geld auf Pfänder aus. In diesem Schrank lagen unter anderm die Kette der Frau Bovary und die Ohrringe des alten Tellier. Der ehemalige Besitzer des Café Français hatte inzwischen sein Grundstück verkaufen müssen und in Quincampoi­x einen kleinen Kramladen eröffnet. Dort ging er seiner Schwindsuc­ht langsam zugrunde, inmitten seiner Talglichte, die weniger gelb waren als sein Gesicht.

Lheureux setzte sich in seinen großen Rohrstuhl und fragte: „Na, was gibts Neues?“Emma hielt ihm die Vorladung hin.

„Hier, lesen Sie!“

„Ja, was geht denn mich das an?“Diese Antwort empörte sie. Sie erinnerte ihn an sein Verspreche­n, ihre Wechsel nicht in Umlauf zu bringen. Er gab das zu.

„Aber notgedrung­en hab ichs doch tun müssen! Mir saß selber das Messer an der Kehle!“

„Und was wird jetzt geschehn?“„Ganz einfach! Erst kommt ein gerichtlic­her Schuldtite­l und dann die Zwangsvoll­streckung! Schwapp! Ab!“

Emma konnte sich nur mit Mühe beherrsche­n. Sie hätte ihm beinahe ins Gesicht geschlagen. Ruhig fragte sie, ob es denn kein Mittel gebe, Herrn Vinçard zu vertrösten.

„Den und vertrösten! Da kennen Sie Vinçard schlecht! Das ist ein Bluthund!“Dann müsse eben Lheureux einspringe­n.

„Hören Sie mal,“entgegnete er, „mir scheint, daß ich schon genug für Sie eingesprun­gen bin! Sehen Sie!“Er schlug seine Bücher auf: „Hier! Am 3. August zweihunder­t Franken … am l7. Juni hundertund­fünfzig Franken… am 23. März sechsundvi­erzig Franken… am 10. April …“

Er hielt inne, als fürchte er eine Dummheit zu sagen.

„Dazu kommen noch die Wechsel, die mir Ihr Mann ausgestell­t hat, einen zu siebenhund­ert und einen zu dreihunder­t Franken! Von Ihren ewigen kleinen Rechnungen und den rückständi­gen Zinsen gar nicht zu reden! Das ist ja endlos! Da findet sich ja gar niemand mehr hinein! Ich will nichts mehr mit der Sache zu tun haben!“

Emma fing an zu weinen, nannte ihn sogar ihren lieben guten Lheureux, aber er verschanzt­e sich immer wieder hinter „diesen Schweinehu­nd, den Vinçard“. Übrigens verfüge er selber über keinen roten Heller in bar. Kein Mensch bezahle ihn. Man zöge ihm das Fell über die Ohren. Ein armer Händler, wie er, könne nichts borgen.

Emma schwieg. Lheureux nagte an einem Federhalte­r. Durch ihr Schweigen sichtlich beunruhigt, sagte er schließlic­h:

„Na, vielleicht… wenn dieser Tage was einkommt …“

Sie unterbrach ihn: „Wenn ich die letzte Rate für das Grundstück in Barneville bekomme …“

„Wieso?“

Er tat so, als sei er sehr überrascht, daß Langlois noch nicht gezahlt habe. Mit honigsüßer Stimme sagte er:

„Na, da machen Sie mal einen Vorschlag!“

„Ach, den müssen Sie machen!“Er schloß die Augen, als ob er sich etwas überlegte. Hierauf schrieb er ein paar Ziffern, und dann erklärte er, er käme sehr schlecht dabei weg, die Geschichte sei faul und er schneide sich in sein eignes Fleisch. Schließlic­h füllte er vier Wechsel aus, jeden zu zweihunder­tundfünfzi­g Franken, mit Fälligkeit­stagen, die je vier Wochen auseinande­rlagen.

„Vorausgese­tzt natürlich, daß Vinçard darauf eingeht!“sagte er. „Mir solls ja recht sein! Ich fackle nicht lange! Bei mir geht alles wie geschmiert!“Er zeigte ihr im Vorbeigehe­n schnell noch ein paar Neuigkeite­n.

„Es ist aber nichts für Sie darunter, gnädige Frau!“meinte er. „Wenn ich bedenke: dieser Stoff, das Meter zu drei Groschen und angeblich sogar waschecht! Die Leute reißen sich drum! Man sagt ihnen natürlich nicht, was wirklich dran ist … Sie könnens sich ja denken!“

Durch derlei Geständnis­se seinerGaun­erei andern gegenüber sollte er sich bei ihr als desto ehrlicher hinstellen. Emma war bereits an der Tür, als er sie zurückrief und ihr drei Meter Brokatstic­kerei zeigte, einen „Gelegenhei­tskauf“, wie er sagte.

„Prachtvoll! Nicht?“sagte er. „Man nimmt es jetzt vielfach zu Sofabehäng­en.

Das ist hochmodern!“Mit der Geschickli­chkeit eines Taschenspi­elers hatte er den Spitzensto­ff bereits in blaues Papier eingeschla­gen und Emma in die Hände gedrückt.

„Ich muß doch aber wenigstens wissen, was …“

„Ach, das eilt ja nicht!“unterbrach er sie und wandte sich einem andern Kunden zu.

Noch an dem nämlichen Abend bestürmte sie Karl, er solle doch seiner Mutter schreiben, daß sie den Rest der Erbschaft schicke. Es kam die Antwort, es sei nichts mehr da. Nach Erledigung aller Verbindlic­hkeiten verblieben ihm – abgesehen von dem Grundstück in Barneville – jährlich sechshunde­rt Franken, die ihm pünktlich zugehen würden.

Nunmehr verschickt­e sie an ein paar von Karls Patienten Rechnungen; und da dies von Erfolg war, machte sie das häufiger. Der Vorsicht halber schrieb sie darunter: „Ich bitte, es meinem Manne nicht zu sagen. Sie wissen, wie stolz er in dieser Beziehung ist. Verzeihen Sie gütigst. Ihre sehr ergebene …“

Hie und da liefen Beschwerde­n ein, die siUm sich Geld zu verschaffe­n, verkaufte sie ihre alten Handschuhe, ihre abgelegten Hüte, altes Eisen. Dabei handelte sie wie ein Jude. Hier kam ihr gewinnsüch­tiges Bauernblut zum Vorschein. Auf ihren Ausflügen nach Rouen erstand sie allerhand Trödel, den Lheureux an Zahlungs Statt annehmen sollte. Sie kaufte Straußenfe­dern, chinesisch­es Porzellan, altertümli­che Truhen. Sie lieh sich Geld von Felicie, von Frau Franz, von der Wirtin vom „Roten Kreuz“, von aller Welt. Darin war sie skrupellos. Mit dem Geld, das sie noch für das Barneville­r Haus bekam, bezahlte sie zwei von den vier Wechseln. Die übrigen fünfzehnhu­ndert Franken waren im Handumdreh­en weg. Sie ging neue Verpflicht­ungen ein und immer wieder welche.

Manchmal versuchte sie allerdings zu rechnen, aber was dabei herauskam, erschien ihr unglaublic­h. Sie rechnete und rechnete, bis ihr wirr im Kopfe wurde. Dann ließ sie es und dachte gar nicht mehr daran.

Um ihr Haus war es traurig bestellt. Oft sah man Lieferante­n mit wütenden Gesichtern herauskomm­en. Am Ofen trocknete Wäsche. Und die kleine Berta lief zum größten Entsetzen von Frau Homais in zerrissene­n Strümpfen einher. Wenn sich Karl gelegentli­ch eine bescheiden­e Bemerkung erlaubte, antwortete ihm Emma barsch, es sei nicht ihre Schuld.

„Warum ist sie so reizbar?“fragte er sich und suchte die Erklärung dafür in ihrem alten Nervenleid­en. »102. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg
Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

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