Scheitert das System Kaczynski?
Polen Warnschuss für den PiS-Chef. Amtsinhaber Duda verfehlt die absolute Mehrheit gegen den liberalen Kandidaten Trzaskowski in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen deutlich
Warschau Andrzej Duda wollte von einer Niederlage nichts wissen. „Es gab in den vergangenen fünf Jahren viele schwere Entscheidungen, die ich zu treffen hatte“, sagte der polnische Präsident am Sonntagabend unter dem Jubel seiner Anhänger. „Und dennoch habe ich mein Ergebnis von 2015 übertroffen.“Tatsächlich wiesen die ersten Prognosen den rechtsnationalen Amtsinhaber mit 41,8 Prozent als Gewinner der Präsidentschaftswahl aus, die wegen der Corona-Pandemie um sieben Wochen verschoben worden war. Das waren rund sieben Prozent mehr als in der ersten Runde 2015, als er Amtsinhaber Bronislaw Komorowski sensationell schlug. Aber das Ergebnis für Duda blieb deutlich unter den Erwartungen und reichte bei weitem nicht aus, um sich auf Anhieb die Wiederwahl zu sichern. Dafür wäre die absolute Mehrheit nötig gewesen.
Nun muss der 48-jährige Präsident in einem Stichentscheid am 12. Juli gegen den gleichaltrigen Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski antreten. Der Kandidat der liberalkonservativen Bürgerplattform erzielte am Sonntag überraschend starke 30,4 Prozent der Stimmen. Er lag damit klar vor dem lange Zeit hoch gehandelten Szymon Holownia. Der prominente Fernsehmoderator war als unabhänBewerber der rechten Mitte angetreten, kam aber nur auf 13,4 Prozent. Die übrigen acht Kandidaten erreichten meist geringe einstellige Resultate. Mit amtlichen Ergebnissen wurde zwar erst in der Nacht auf Montag gerechnet. Aber Trzaskowskis Anhänger feierten die Prognosen schon wie einen Sieg, trotz des Rückstands auf Duda. Denn klar ist auch: Nun werden die Karten völlig neu gemischt.
Die meisten Wähler der ausgeschiedenen neun Oppositionskandidaten dürften eher Trzaskowski zuneigen als dem Amtsinhaber. Für die Stichwahl sagen die Demoskopen daher ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. In den kommenden beiden Wochen dürfte dem Land auch ein gnadenloser Lagerwahlkampf bevorstehen. Denn Trzaskowski ist angetreten, die Macht der rechtsnationalen PiS-Partei zu brechen, die seit 2015 die Regierung und den Präsidenten stellt. Das Staatsoberhaupt verfügt in Polen zwar vor allem über außenpolitische Befugnisse. Mit seinem Veto, das nur von drei Fünfteln des Parlaments überstimmt werden kann, kann der Präsident aber nahezu alle Gesetzesvorhaben stoppen und die Regierungspolitik auf diese Weise ausbremsen.
Die Ausgangslage vor der Stichwahl gilt nach dem Ergebnis vom Sonntag als völlig offen. Das Momentum allerdings scheint eher aufseiten von Trzaskowski zu sein. So verlor Duda seit April mehr als zehn Prozentpunkte an Zustimmung. Wichtigster Grund dafür war ein heftiger Streit im Regierungslager um die Wahlverschiebung. Aber auch die Wirtschaftskrise wegen der Corona-Pandemie spielte der Opposition in die Hände. Um die aktuellen Probleme aus den Schlagzeilen zu verdrängen, setzte Duda im Schlussspurt seines Wahlkampfes zunehmend auf Polarisierung. Statt sich als einigender Landesvater zu präsentieren, nahm er den Begriff Wahlkampf wörtlich und teilte aus, vor allem gegen die LGBT-Bewegung von Homosexuellen und Transgender, denen er „neobolschewistische“Methoden vorwarf.
Damit zeigte Duda offener denn je, dass er als Präsident weiter die antiliberale Politik der PiS unterstützen wird, auf deren Ticket er 2015 ins Amt kam. Parteichef Jaroslaw Kaczynski bekennt sich seit langem zu dem Plan, Polen in eine neue, eine autoritäre Vierte Republik zu verwandeln, in der Patriotismus und Katholizismus die Leitplanken der Politik sind. Trzaskowski und die bürgerlich-liberale, aber auch die linke Opposition wollen dies verhindern. Dazu wiederum wäre das Präsidentenamt ein wichtigiger ger Hebel. In der Stichwahl sehen viele Kommentatoren aus allen Teilen des politischen Spektrums deshalb bereits ein Alles-oder-nichtsDuell um die Macht im Land.
Die große Bedeutung der Abstimmung ließ sich auch am Andrang vor den Wahllokalen ablesen. Trotz des landesweiten Ferienbeginns und der anhaltenden CoronaPandemie bildeten sich schon am frühen Morgen teils lange Schlangen. Das hatte zwar vor allem mit den geänderten Regeln für die Abstimmung unter Corona-Bedingungen zu tun. Einlass fanden jeweils nur so viele Menschen, dass sich bei geltender Maskenpflicht nicht mehr als eine Person auf vier Quadratmetern bewegen musste. Aber auch die Beteiligung spielte eine Rolle. Sie lag mit 62,9 Prozent so hoch wie noch nie bei einer Wahl im postkommunistischen Polen.
Noch nie hatten auch so viele im Ausland lebende Polen an einer Wahl teilgenommen. Dagegen nutzten überraschend wenige Bürger die neu eingeführte Möglichkeit zur Briefwahl, die in Polen bislang nur für Menschen mit Behinderung zur Verfügung gestanden hatte. Gerade einmal 150000 Anträge gingen bei der Staatlichen Wahlkommission ein, bei 30 Millionen Stimmberechtigten. Nach Einschätzung vieler Beobachter sprach daraus vor allem Misstrauen gegenüber den Behörden.
Wahlbeteiligung erreicht historischen Wert