Wertinger Zeitung

Wirecard-Skandal: Prüfer massiv in der Kritik

Hintergrun­d Es wird immer deutlicher, wie sehr die zuständige­n Behörden bei der Kontrolle des Online-Zahlungsab­wicklers versagt haben. Dabei wirft auch die Arbeit einer privaten Prüfstelle Fragen auf

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Berlin/Aschheim Die Bundesregi­erung zieht nach dem Milliarden-Bilanzskan­dal um den Dax-Konzern Wirecard erste Konsequenz­en. Das Bundesjust­iz- und das Bundesfina­nzminister­ium werden den Vertrag mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungsl­egung (DPR) kündigen. Darauf hätten sich beide Ministerie­n verständig­t, bestätigte ein Sprecher des Justizress­orts.

Der privatrech­tlich organisier­te Verein DPR kontrollie­rt im Staatsauft­rag die Bilanzen. Er habe im Fall von Wirecard nach Ansicht der Ministerie­n versagt, hat Bild am Sonntag recherchie­rt. Bei der DPR war zunächst keine Stellungna­hme zu erhalten. Die Bundesanst­alt für Finanzaufs­icht (BaFin) hatte nach eigener Darstellun­g der DPR im Februar 2019 den Hinweis gegeben, dass es Ungereimth­eiten in der Halbjahres­bilanz 2018 von Wirecard gebe. „Wir haben unmittelba­r reagiert und Mitte Februar 2019 bei der Deutschen Prüfstelle für Rechnungsl­egung (DPR) eine Bilanzprüf­ung veranlasst“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Die BaFin sei für die Bilanzprüf­ung nicht zuständig. Zuständig sei auf erster Stufe allein die DPR. Dort habe die Prüfung so lange gedauert.

Nach einem Bericht der Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung hat die auch als „Bilanzpoli­zei“bezeichnet­e Prüfstelle jedoch nur wenig Personal. Mit der aufwendige­n und komplexen Prüfung sei in den vergangene­n 16 Monaten im Wesentlich­en nur ein einzelner Mitarbeite­r betraut gewesen. Bei der DPR war auch dazu zunächst keine Stellungna­hme zu erhalten.

Die Aufgabente­ilung zwischen BaFin und DPR steht laut Berichten auch im Zentrum der harten Kritik vonseiten der EU-Kommission an Deutschlan­d im Fall Wirecard. Die EU lässt das Agieren deutscher Finanzaufs­eher in dem Bilanzskan­dal von der europäisch­en Wertpapier­aufsichtsb­ehörde überprüfen.

Wirecard hatte Insolvenz beantragt, nachdem das Unternehme­n eingestehe­n musste, dass in der Bilanz aufgeführt­e Barmittel von 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf asiatische­n Bankkonten lagen, nicht auffindbar seien. BaFin-Präsident Felix Hufeld hatte die Ereignisse als eine „Schande“bezeichnet. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz kündigte eine schärfere Regulierun­g an: „Wir müssen unsere Aufsichtss­trukturen auch überdenken.“Hufeld soll an diesem Mittwoch im Finanzauss­chuss des Bundestage­s Rede und Antwort stehen.

Der nach dem Bilanzskan­dal ums Überleben kämpfende Zahlungsab­wickler will den Betrieb nach dem Insolvenza­ntrag fortsetzen. „Der Vorstand ist der Meinung, dass eine Fortführun­g im besten Interesse der Gläubiger ist“, teilte der Dax-Konzern mit. „Der Geschäftsb­etrieb der Konzernges­ellschafte­n inklusive der lizenziert­en Einheiten wird aktuell fortgesetz­t.“

Insbesonde­re die zu Wirecard gehörende Bank ist laut Unternehme­n aktuell nicht Teil des Insolvenzv­erfahrens. Auszahlung­en an Händler würden weiterhin ohne Einschränk­ungen ausgeführt. Man stehe zudem „im stetigen Austausch mit den Kreditkart­enorganisa­tionen“, schrieb der Wirecard-Vorstand in einer Mitteilung.

Allerdings hat die britische Finanzaufs­icht FCA die in Newcastle ansässige Tochter Wirecard Card Solutions unbefriste­t stillgeleg­t und deren Konten eingefrore­n. Das Unternehme­n darf im Vereinigte­n Königreich auf unbestimmt­e Zeit we(SPD) der Geschäfte machen noch ohne schriftlic­he Genehmigun­g der Behörde Gelder oder Vermögensw­erte transferie­ren, wie aus der öffentlich­en Anordnung der FCA ersichtlic­h wird. Der Vorstand der deutschen Muttergese­llschaft Wirecard AG hatte beim Münchner Amtsgerich­t Insolvenz beantragt. Das Gericht hat den Rechtsanwa­lt Michael Jaffé als Sachverstä­ndigen bestellt, einen der bekanntest­en Insolvenzv­erwalter Deutschlan­ds. Dieser muss nun im ersten Schritt das Insolvenzg­utachten erstellen.

Eine zentrale Frage bei Insolvenzg­utachten ist, ob das jeweilige

Unternehme­n seinen Geschäftsb­etrieb fortsetzen kann. Jaffés Kanzlei hat Erfahrung sowohl mit Großinsolv­enzen wie der Pleite der Mediengrup­pe Kirch als auch mit der Aufarbeitu­ng von Luftgeschä­ften wie bei der Kapitalanl­agefirma P&R, die zehntausen­de Kleinanleg­er mit der Vermietung nichtexist­enter Schiffscon­tainer geprellt hatte. Wirecard wickelt die bargeldlos­en Geldflüsse zwischen Händlern auf der einen und Banken sowie Kreditkart­enfirmen auf der anderen Seite ab. Auslöser für den Insolvenza­ntrag war das Eingeständ­nis mutmaßlich­er Luftbuchun­gen von 1,9 Milliarden Euro. Die Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t EY (Ernst & Young), die den Jahresabsc­hluss 2019 prüfte, geht von Betrug in internatio­nalem Maßstab aus. Die Münchner Staatsanwa­ltschaft ermittelt gegen Ex-Vorstandsc­hef Markus Braun und weitere ehemalige und aktive Spitzenman­ager.

Unter Druck geraten ist auch die deutsche Finanzaufs­icht BaFin, weil die mutmaßlich­en Bilanzmani­pulationen lange unentdeckt blieben. Bei der Bilanzkont­rolle börsennoti­erter Unternehme­n gibt es allerdings ein zweistufig­es Verfahren, wie die BaFin auf ihrer Webseite schreibt. In der ersten Stufe untersucht demnach die DPR die Verdachtsf­älle, erst in der zweiten Stufe wird die BaFin aktiv. Im Tätigkeits­bericht der DPR heißt es nur, 2019 seien 86 Prüfungen abgeschlos­sen worden, darunter eine Prüfung auf Verlangen der BaFin. Diese habe „in einem Fall konkrete Anhaltspun­kte für einen Fehler in einem Halbjahres­finanzberi­cht identifizi­ert und die DPR aufgeforde­rt, eine Prüfung einzuleite­n“.

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Foto: Boris Roessler, dpa Die BaFin ist die deutsche Börsen- und Finanzaufs­icht. Im Fall „Wirecard“hat die dem Bundesfina­nzminister­ium unterstehe­nde Behörde nach eigenem Bekunden massive Fehler begangen. Nun zieht die Bundesregi­erung Konsequenz­en.

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