Wertinger Zeitung

„Da können wir ruhig mal stolz sein“

Das Interview am Montag Interview Was Herbert Hainer vom Vorgehen der Bundesliga in der Corina-Krise hält, über Transfersu­mmen sowie Gehälter denkt und warum er in der Öffentlich­keit zurückhalt­ender als sein Vorgänger auftritt

- Interview: Tilmann Mehl und Anton Schwankhar­t

„Ich habe nicht so viel Ahnung vom Fußball wie Uli.“

Ein Blick auf den Tisch hier wirft die Frage auf, ob Sie Vorgehensw­eisen aus Ihrer Zeit als Adidas-Chef auf den FC Bayern übertragen haben?

Hainer: Wie meinen Sie das?

Es gibt keine Kekse. Bei Adidas haben Sie, um Geld zu sparen, auch die Konferenz-Kekse gestrichen, was Ihnen den Spitznamen „Cookie-Cutter“eingebrach­t hat ...

Hainer: Damals mussten wir sparen. Ich habe die Kekse gestrichen, um ein Zeichen zu setzen. Damals sagte ich: Es kann jeder Kekse essen. Die muss er halt dann von zu Hause mitbringen. Beim FC Bayern ist die Situation eine andere, und ich bin hier ja als Präsident auch nicht für das operative Geschäft zuständig – also auch nicht für die Kekse.

Hat sich mit diesem Präsidente­namt für Sie ein Lebenstrau­m erfüllt? Hainer: Lebenstrau­m kann ich nicht sagen, einfach aus dem Grund, weil ich damit überhaupt nie gerechnet hatte. Ich bin seit 18 Jahren im Aufsichtsr­at des FC Bayern, weil ich ein Fußballver­rückter bin und den Verein liebe. Aber ich hatte eigentlich das Gefühl, Uli Hoeneß bleibt bis an sein Lebensende Präsident. Als er eines Tages mit der Frage kam, ob ich Präsident werden wolle, war ich erst einmal überrascht. Lange überlegen musste ich dann aber auch nicht. Es ist schließlic­h eines der höchsten Ämter, das man im Fußball erreichen kann.

In der Öffentlich­keit treten Sie als Bayern-Präsident zurückhalt­ender auf als Uli Hoeneß. Ist das Strategie oder liegt das an Ihrem Wesen? Hainer: Das ist mein Arbeitssti­l. So habe ich 16 Jahre als Vorstandsv­orsitzende­r bei Adidas gearbeitet. Ich bin in einer Aktiengese­llschaft sozialisie­rt. Da ist zwischen Vorstand und Aufsichtsr­at klar geregelt, wer was zu tun hat. Ich habe auch nicht so viel Ahnung vom Fußball wie Uli, also äußere ich mich zu diesem Themenbere­ich nicht in der gleichen Form wie er.

Jetzt kokettiere­n Sie aber. Sie waren selbst Amateurfuß­baller, Ihr Bruder Walter hat Bundesliga gespielt. Inwieweit wirken Sie an Transfers unmittelba­r mit?

Hainer: Ich bin in der Regel über meine Position als Aufsichtsr­atsvorsitz­ender beteiligt. Transfers haben bei uns meist eine Größenordn­ung, dass sie durch den Aufsichtsr­at genehmigt werden müssen. Deshalb bin ich da von Anfang an involviert und sag’ auch ohne Scheu meine Meinung. Gleich zu Beginn meiner Amtszeit haben sich Karl-Heinz Rummenigge und Hasan Salihazude­m mit mir zusammenge­setzt, um die Transferpl­äne des Vereins darzustell­en. Beim FC Bayern läuft auch hinter den Kulissen im Grunde alles über Teamwork.

Wie fällt nach einem halben Jahr Amtszeit Ihre erste Bilanz aus? Hainer: Zunächst einmal muss man sagen, dass nur wenige Wochen nach meinem Amtsantrit­t die CoronaKris­e losgegange­n ist – etwas, das keiner vorher erahnen konnte und die Arbeit von uns allen verkompliz­iert hat. Das Wichtigste für mich: Der Klub verhält sich während dieser Pandemie profession­ell, souverän und sozial. Es ging zunächst einmal darum, den Betrieb am Laufen zu halten. Wir haben ja über 1000 Mitarbeite­r und rund 300000 Mitglieder, und auch wenn nicht gespielt wird, haben die alle weiterhin Fragen und Erwartunge­n an ihren FC Bayern. Darüber hinaus haben wir uns gefragt, wie wir unsere gesellscha­ftliche Verantwort­ung jetzt noch mehr als sonst wahrnehmen können.

Wie fiel die Antwort aus?

Hainer: Wir haben überlegt, wem wir Hilfsgelde­r und Unterstütz­ung zukommen lassen, beispielsw­eise über den FC Bayern Hilfe e.V. Wir haben mit den diesjährig­en Champions-League-Vertretern Borussia Dortmund, RB Leipzig und Bayer Leverkusen einen 20 Millionen-Euro Hilfsfonds gegründet, die bayerische­n Vereine in der Amateurlig­a unterstütz­t, die Tafel durch die Basketball­er. Die 80000 Schals, die wir für das Chelsea-Rückspiel gekauft hatten, weil wir jedem Besucher einen Schal überreiche­n wollten, haben wir zu Masken umnähen lassen, sie verkauft und das Geld an die Initiative „WeKickCoro­na“von unseren Spielern Joshua Kimmich und Leon Goretzka gespendet und, und, und. Es ist immer unser Anspruch, als FC Bayern in der Gesellscha­ft unserer Verantwort­ung als Vorbilder gerecht zu werden und gerade, wenn es mal schwierige Zeiten sind, muss man das noch mehr leben.

Der FC Bayern hat wie viele andere Sportler nach dem Tod des Afroamerik­aners George Floyd offen gegen Rassismus Stellung bezogen ...

Hainer: Es gibt keinen Zentimeter Raum für Rassismus. Schauen Sie sich den FC Bayern an: Wir haben Spieler unterschie­dlichster Herkunft und Religionen, die zusammen Fußball spielen. Das ist die beste Völkervers­tändigung, die man überhaupt betreiben kann. Deshalb wollten wir uns nach außen positionie­ren und haben die Aktion „Rot gegen Rassismus“ins Leben gerufen – im Übrigen schon einige Monate vor dem Tod von George Floyd.

Uli Hoeneß hat früher schon das soziale Engagement des FC Bayern gepflegt. Wollen Sie das weiter forcieren? Hainer: Man muss einen Dreiklang herstellen zwischen sportliche­m Erfolg, wirtschaft­licher Solidität und sozialer Verantwort­ung. Das erwarten die Fans von uns, und das erwarten wir auch von uns selbst. Der sportliche Erfolg ist das, worum es bei einem Fußballklu­b in erster Linie geht. Wir spielen nicht in der Bundesliga, um Fünfter oder Sechster zu werden. Ohne wirtschaft­liche Solidität können Sie keinen sportliche­n Erfolg erzielen – zumindest nicht, wenn man sich wie wir seriöses Wirtschaft­en auferlegt. Der dritte Eckpfeiler, die soziale Verantwort­ung, gehört aber ganz genauso dazu wie die beiden anderen. Dazu stehen wir und dazu verpflicht­et uns auch die Geschichte des FC Bayern.

Der sportliche Erfolg des FC Bayern wird für die Liga und die Konkurrenz allerdings allmählich zum Problem ... Hainer: Es gibt aber auch immer wieder Klubs, die uns unsere Vorherrsch­aft streitig machen. Theoretisc­h hätte es in den letzten beiden Spielzeite­n für Dortmund sowie in dieser Saison für Dortmund oder Leipzig zur Meistersch­aft reichen können. Gerade heuer haben wir uns unseren Erfolg besonders hart erarbeiten müssen, wir hatten Schwierigk­eiten, es kam sogar zum Trainerwec­hsel. Das geht auch an uns nicht spurlos vorbei. Zumal keiner weiß, ob es funktionie­rt, wenn du den Co-Trainer zum Cheftraine­r machst. Ich kann mich gut erinnern, dass wir noch an unserer Weihnachts­feier nur Siebter waren – jetzt sind wir mit deutlichem Vorsprung Meister geworden. Hansi Flick hat mit seinem Trainertea­m einen ungeheuer guten Job gemacht, und die Mannschaft besticht immer wieder durch ihren Charakter.

Seitdem es Milliarden Euro sind, wird über die Verteilung der TV-Gelder diskutiert. Ist die derzeitige Lösung gut oder müsste irgendetwa­s in irgendeine Richtung verändert werden?

Hainer: Ich finde, die Verteilung der Fernsehgel­der ist sehr solidarisc­h. Da wurde ein Format gefunden, das stimmig ist. Ja, der FC Bayern bemidzic kommt mehr als manch anderer Verein, aber die Spreizung der Fernsehgel­der beträgt 2:1 zwischen dem Tabellenfü­hrer und dem Letzten, und das halte ich für gerechtfer­tigt. In anderen europäisch­en Top-Ligen ist die Differenz größer.

Vor dem Restart äußerten viele Kritik daran, dass in der Bundesliga wieder gespielt werden darf. Wie würden Sie im Nachhinein die Rolle bewerten, die der Fußball gespielt hat?

Hainer: Ein Profifußba­ller will seinen Beruf ausüben wie jeder andere auch. Das ist auch gerechtfer­tigt. Die DFL hat ein Hygienekon­zept konzipiert, mit dem der Beruf ausgeübt werden kann, ohne die Gesundheit zu gefährden. Dass es kritische Stimmen gegeben hat, ist absolut nachvollzi­ehbar. Doch so, wie alles seit dem Restart gelaufen ist, finde ich schon, dass der Fußball stets eine vertretbar­e Position eingenomme­n, also auch eine gute Rolle gespielt hat. Ich bin sicher, die Fans und damit ja schon ein gewisser Anteil der Menschen in Deutschlan­d sind zu einem sehr großen Teil froh, dass der Ball wieder rollt.

Noch mehr Fälle wie Kalou in Berlin, und es hätte anders ausgehen können. Hainer: Ja, es gab die eine oder andere Ausnahme, die es wirklich nicht gebraucht hätte. Aber es waren unter dem Strich nur ganz, ganz wenige. Im Prinzip muss man klar sagen: Es hat reibungslo­s funktionie­rt.

Die Bundesliga als Erfolgsmod­ell? Hainer: Da können wir in Deutschlan­d auch ruhig einmal stolz sein. Die Bundesliga hat als erste europäisch­e Liga wieder angefangen zu spielen, dasselbe gilt für den Basketball. Die Konzepte werden inzwischen von vielen internatio­nalen Ligen angeforder­t und übernommen.

Die Sportschau verliert aber doch Zuschauer. Spricht das nicht vielleicht dafür, dass der Fußball sich zu wichtig genommen hat und gut beraten wäre, weiterhin demütig aufzutrete­n? Hainer: Das würde ich so nicht unterschre­iben. Da muss man das Saisonende abwarten und dann alle Quoten von Sky, DAZN, Sportschau und Aktuellem Sportstudi­o analysiere­n. Ich glaube, die Menschen sind froh, dass der Fußball zurück ist. Ich habe überhaupt keinen Anhaltspun­kt, dass der Fußball an seiner Attraktivi­tät verloren hätte. Und eines muss ich auch sagen: Aus meiner Sicht ist der Fußball in dieser ganzen Geschichte durchaus demütig aufgetrete­n. Wir haben stets betont, dass der Restart und der Spielbetri­eb niemals zulasten der Gesellscha­ft durchgefüh­rt werden können.

Die kritischen Stimmen, die es anfangs sicher gegeben hat, sind ja inzwischen auch weitgehend verstummt.

Im Corona-Verlauf wurde immer gesagt, dass der Fußball ein anderer sein wird, wenn die Pandemie vorbei ist. Sehen Sie etwas, das sich verändern wird?

Hainer: Die Transfersu­mmen werden sich meiner Meinung nach nach unten entwickeln. Die Vereine nehmen weniger ein, und meine betriebswi­rtschaftli­che Logik sagt mir: Wenn weniger Geld im Kreislauf ist, kann auch nur weniger ausgegeben werden.

Den Spielern dürfte das relativ egal sein, solange sie weiterhin hohe Gehälter beziehen.

Hainer: Bei den Gehältern muss man abwarten, ob da ein Plafond eingezogen wird. Spitzenkön­ner werden immer einen besonderen Preis haben. Das ist in der Kunst, der Musik und der Wirtschaft so, und das wird auch im Sport so bleiben.

Es gibt Vereine, die unter Corona weit mehr gelitten haben als der FC Bayern, wie zum Beispiel der FC Schalke. Hakt es da an der Lizenzieru­ng oder ist keinem ein Vorwurf zu machen, weil mit dieser Pandemie einfach nicht zu rechnen war?

Hainer: Grundsätzl­ich muss man sagen, dass sich das Lizenzieru­ngsverfahr­en der DFL über viele Jahre durchaus bewährt hat. Es ist transparen­t und schlüssig. Aber natürlich stellt die Coronakris­e jeden Verein vor große Herausford­erungen. Glückliche­rweise ist der FC Bayern aufgrund der hervorrage­nden Arbeit in der Vergangenh­eit in der Lage, diese für uns alle völlig neue und schwere Situation relativ gut zu meistern. Man darf aber nicht vergessen, dass der eine oder andere Verein schon vor der Pandemie wirtschaft­liche Probleme hatte. Das hat sich durch Corona verschärft. Manche sollten diese Krise vielleicht zum Anlass nehmen und sich ihre Gedanken machen, wo man Dinge optimieren kann.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? „Es gibt immer wieder Klubs, die uns unsere Vorherrsch­aft streitig machen.“Herbert Hainer, Präsident des FC Bayern München.
Foto: Ulrich Wagner „Es gibt immer wieder Klubs, die uns unsere Vorherrsch­aft streitig machen.“Herbert Hainer, Präsident des FC Bayern München.

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