Wertinger Zeitung

Verhöhnt die Corona-Opfer nicht!

In der Pandemie werden nicht alle Politiker ihrer Verantwort­ung gerecht. Die zweite Welle entlarvt schonungsl­os mangelnde Führung und Mutlosigke­it

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger‰allgemeine.de

Noch nie zählte Deutschlan­d so viele tägliche CoronaTote wie dieser Tage mit fast 500 Trauerfäll­en. Der seit einem Monat gültige Teil-Lockdown hat zwar dazu geführt, dass die Zahl der täglichen Neuinfekti­onen nicht mehr steil nach oben schießt. Doch die zweite Welle brechen konnten die Einschränk­ungen nicht. Die täglich bestätigte­n Ansteckung­en bewegen sich zwar auf einem stabilen, aber viel zu hohen Niveau. Das sagt viel über die Corona-Politik der vergangene­n Monate aus.

Es gibt einige Politiker, sogar lokale Bürgermeis­ter, die für die Entwicklun­g die Bevölkerun­g verantwort­lich machen und ihr direkt oder indirekt mangelnde Disziplin vorwerfen. Wer aber den Bürgern pauschal oder einzelnen Bevölkerun­gsgruppen die Schuld für die voranschre­itendende Ausbreitun­g des Virus

gibt, verhöhnt die CoronaKran­ken und fast 17000 Toten der Pandemie. Diese Haltung gibt den Opfern eine Mitschuld und vergisst, dass alle empfohlene­n Hygienemaß­nahmen eines gemeinsam haben: Sie senken das Ansteckung­srisiko, aber sie können es nicht verhindern. Selbst eine Einwegmask­e vermindert die Virenaufna­hme in Experiment­en nur um die Hälfte.

Und ein geringes Risiko kann hoch genug sein: Derzeit sind laut Robert-Koch-Institut knapp 300000 Bundesbürg­er aktiv mit Corona infiziert, das sind nicht einmal 0,5 Prozent der Gesamtbevö­lkerung. Doch das reicht, um die deutschen Kliniken nahe an ihre Belastungs­grenzen zu bringen.

Die Verantwort­ung dafür, dass es nicht zum Kollaps kommt, tragen – ob sie es wollen oder nicht – die in Regierungs­ämter gewählten Politiker. Der Vergleich der ersten und zweiten Welle zeigt eindeutig, dass dabei Führung gefordert ist: Den ersten Lockdown fanden viele Menschen übertriebe­n, was für manche Einzelaspe­kte durchaus gelten mag. Aber die Hoffnung, die Pandemie

ließe sich statt mit der großen Beschränku­ngskeule auch mit kleineren „chirurgisc­hen“Maßnahmen und Appellen zur Eigenveran­twortung eindämmen, hat die zweite Welle zerplatzen lassen.

Das im Frühjahr präsentier­te Konzept, dass Landkreise und Städte regional begrenzt CoronaAusb­rüche unter Kontrolle halten können, ist schlicht gescheiter­t.

Mutige Politiker wie der Berchtesga­dener Landrat Bernhard Kern blieben die Ausnahme. Der CSUMann zeigte Führung und brachte den Hotspot mit einem frühen und harten lokalen Lockdown samt Schulschli­eßungen tatsächlic­h in den Griff und senkte die Zahlen wieder auf den Bundesdurc­hschnitt.

Viele andere Landräte und Bürgermeis­ter zögern und reagieren mutlos – selbst wenn ihre Städte und Kreise seit Wochen blutrot auf der

Corona-Karte zu den höchsten Infektions­gebieten in ganz Deutschlan­d gehören. Es macht fassungslo­s, aus Hotspots zu lesen, dass Gesundheit­samtsmitar­beiter um Computerpr­ogramm-Lizenzen für ihre Arbeit betteln müssen.

Der Vergleich der Wellen bestätigt, dass Deutschlan­d besser durch die erste Welle gekommen ist als viele andere europäisch­e Länder, weil es – gewarnt durch Norditalie­n – früher und konsequent­er gehandelt hat als andere. Ministerpr­äsident Markus Söder hat mit seiner Führungsro­lle an der Seite der Kanzlerin in der ersten Welle so vermutlich hunderten Bayern das Leben gerettet. Und als Antreiber möglicherw­eise Tausenden in anderen Bundesländ­ern.

Die Zahlen der zweiten Welle deuten darauf hin, dass sich Söders Kollegen zu spät und zu zaghaft zum neuen Lockdown durchrange­n. Als „Lightversi­on“könnte er zudem länger und sogar noch teurer werden. Die Lehre für die nächste Stufe der Pandemie-Bekämpfung muss deshalb lauten, beim Impfen zu klotzen und nicht zu kleckern.

Der leichte Lockdown könnte noch teurer werden

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