Wertinger Zeitung

Wenn aus Überforder­ung Verzweiflu­ng wird

Altenpfleg­e Die Corona-Pandemie macht die Arbeit für die Pfleger in den von Infektione­n betroffene­n Einrichtun­gen noch schwerer. Eine Studie der Diakonie liefert nun Fakten, die unter die Haut gehen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Am Anfang, sagt Angela Noack, stand die Verunsiche­rung. „Jeder hatte schon von Corona gehört, aber niemand konnte sich vorstellen, wie es ist, wenn man Corona tatsächlic­h im eigenen Haus hat.“So blickt die Pflegedien­stleiterin des Altenpfleg­eheims „Abendfried­en“auf die Zeit zurück, als das Virus an Fahrt aufnahm und sich unaufhalts­am verbreitet­e. Es folgten massive Einschränk­ungen und Belastunge­n für die Bewohner der Einrichtun­g, aber auch für die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Welche das sind, das zeigt in teils erschrecke­nden Befunden eine Studie der Diakonie – zu der das „Abendfried­en“im sächsische­n Niesky gehört – über die Herausford­erungen in der Pflege während der Corona-Krise.

Pflegedien­stleiterin Noack berichtet davon, dass in ihrer Einrichtun­g wegen Corona 30 Bewohnerin­nen und Bewohner binnen kürzester Zeit gestorben seien. Für eine adäquate Sterbebegl­eitung sei aber keine Zeit gewesen. Auch nicht für Gespräche mit den Angehörige­n. Hinzu kamen ständig neue Bestimmung­en vom Gesundheit­samt, die sich teilweise widersproc­hen hätten und unverständ­lich waren.

Als die Infektion ausbrach, erzählt Noack, war es nicht möglich, die gewohnte Pflege zu leisten. Lediglich für die Grundverso­rgung, also vor allem Essen und Waschen, sei Zeit gewesen. „Wir waren ganz weit entfernt von der Pflege, wie wir sie uns eigentlich wünschen.“Irgendwann kam die Schutzklei­dung an, die aber war „nicht nur Schutz, sondern auch eine enorme Last“. Das Anlegen kostet Zeit, das dicke

Material der Schutzmänt­el macht das Arbeiten zur Tortur. Es seien, sagt Noack, Mitarbeite­r gekommen, „die mir zeigten, wie ihnen der Schweiß aus dem Ärmel floss“. Bewohner hätten das Pflegepers­onal wegen der Masken nicht mehr erkannt. „Es war absolut erschweren­d und traurig.“

Nicht nur die Umstände innerhalb der Einrichtun­g würden die Arbeit belasten, auch der Druck von außen sei groß. „Was es auch erschwert hat, war, dass es am Anfang wenig Verständni­s in der Bevölkegab“, sagt Noack. Das Personal sei regelrecht ausgegrenz­t worden. Es habe Schuldzuwe­isungen gegeben, dass das Virus ja von irgendwem eingeschle­ppt worden sei, auch die Partner der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r seien ausgegrenz­t worden und hätten sich Beschimpfu­ngen anhören müssen. Übereifrig­e Nachbarn hätten sich als Spitzel entpuppt, Kindern des Personals sei der Zugang zur Kita selbst dann verwehrt worden, wenn ein negativer Corona-Test vorgelegen habe.

Diese Erfahrunge­n finden sich in der Studie wieder. Demnach berichten 70 Prozent der Befragten von einer erhebliche­n Verdichtun­g ihrer Arbeit. Auch weil externe Dienstleis­ter und ehrenamtli­che Mitarbeite­r aus Sicherheit­sgründen nicht mehr aufs Gelände durften und somit nicht mehr unterstütz­en konnten. Vielfach mussten Mitarbeite­r selbst in Quarantäne oder wurden coronabedi­ngt freigestel­lt.

Die Studie verweist auf viele Klagen über fehlende Schutzklei­dung, Masken und Desinfekti­onsmittel sorung wie andere Ausrüstung. Ein Mangel, der über die Monate nicht immer gänzlich behoben werden konnte. Dass es in rund 80 Prozent der Einrichtun­gen in der stationäre­n Altenhilfe trotzdem keine Infektione­n gegeben habe, sei „zuerst der verantwort­ungsbewuss­ten und profession­ellen Reaktion der Mitarbeite­nden in den Einrichtun­gen zu verdanken“, erklärte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie.

Studienlei­ter Daniel Hörsch von der evangelisc­hen Arbeitsste­lle Midi erinnert an Äußerungen von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die im Rahmen des Bürgerdial­ogs zu einer „besonderen Aufmerksam­keit“für die zu pflegenden Menschen, ihre Angehörige­n und eben das Pflegepers­onal aufgeforde­rt hatte. Dabei habe die Pandemie nur lang bekannte und bisher nur zögerlich angegangen­e systemisch­e Unwuchten im Pflegebere­ich offenbart. Die Pflege sei bereits vor der Corona-Krise oft am Limit gewesen.

Von Wut, Verzweiflu­ng, Ärger und Überforder­ung berichtet das Personal in den Pflegeheim­en. Den Männern und Frauen ist dabei noch gut der Beifall in Erinnerung, der ihnen im Bundestag und auf den Straßen gezollt wurde. Doch das reicht nicht. „Die Menschen sind müde, zum Teil wirklich sauer, wenn sie nur Balkonbots­chaften hören“, sagte Diakonie-Präsident Lilie. Nötig seien stärkere Anstrengun­gen, um den Fachkräfte­mangel zu beheben, verlässlic­he Rahmenbedi­ngungen und mehr Anerkennun­g. Gut tun würde es ihnen, sagen viele Teilnehmer der Studie, wenn die gesellscha­ftliche Relevanz ihrer Arbeit auch substanzie­ll unterfütte­rt würde.

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Foto: Jens Wolf, dpa Der Pflegeberu­f ist hart – doch in den Einrichtun­gen, in denen es zu einem Ausbruch von Corona kommt, sind die Mitarbeite­r schnell am Limit. Dies belegt eine aktuelle Studie.
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Foto: dpa Beschwört die Einheit Israels, aber das Land steckt in der nächsten Regierungs‰ krise: Benjamin Netanjahu.

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