Wertinger Zeitung

Trier trauert

Anschlag Am Tag nach der Amokfahrt ist es still in Trier. Die Menschen stellen Kerzen auf. Besonders das Schicksal einer betroffene­n Familie macht den Menschen zu schaffen

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Trier Sie stellen Kerzen auf, legen weiße und rote Rosen nieder. Viele halten inne vor dem wachsenden Lichtermee­r, in das sich kleine Engel, Teddybärch­en und Plakate mischen. Immer mehr Menschen kommen am Tag nach der Amokfahrt in Trier an das einst römische Stadttor Porta Nigra, um der Opfer und Angehörige­n zu gedenken. „Es ist einfach nur schlimm“, sagt eine Mutter mit ihrem fünfjährig­en Kind, die gerade eine weiße Kerze angezündet hat. „Mein Kind fragt mich, warum? Und ich kann nur sagen: Man weiß es nicht.“

Schrecklic­h. Unbegreifl­ich. Furchtbar. Das sind die Worte, die die Trierer immer wieder wählen für das Ereignis, das ihre Stadt am Dienstag verändert hat: Ein Amokfahrer, 51 Jahre alt, war mit seinem Geländewag­en quer durch die Fußgängerz­one gefahren und hatte gezielt Menschen angesteuer­t. Fünf Leute starben, 18 weitere Menschen wurden verletzt – sechs von ihnen schwer. Gegen den Tatverdäch­tigen erging Haftbefehl unter anderem wegen Mordes in fünf Fällen.

Nach dem Schock ist am Mittwoch die Trauer riesengroß. Vor allem das Schicksal einer deutschgri­echischen Familie treibt die Menschen um: Ein neun Wochen altes Mädchen und dessen Vater, 45, wurden getötet, Mutter und Ehefrau sowie ihr einjährige­r Sohn liegen verletzt im Krankenhau­s. „Wenn man selbst ein Kind hat, kann man nachvollzi­ehen, was das bedeutet. Es ist das Schlimmste, was passieren kann“, sagt Verena Becker, 24, mit ihrem knapp zwei Jahre alten Sohn im Kinderwage­n.

Sie weint, kann kaum weiterspre­chen. „Wir wollten eigentlich am Dienstag auch in die Innenstadt gehen, aber da hat es angefangen zu regnen und wir sind zu Hause geblieben.“Auch auf dem Hauptmarkt, wo das Baby und der Vater starben, stehen viele Kerzen. „Mein Sohn hat aus dem Fenster den umgefallen­en Kinderwage­n gesehen“, erzählt eine Triererin. „Was geht in einem Menschen vor, der so was macht?“, sagt sie kopfschütt­elnd über den Täter. „Es macht einen sprachlos.“

Das Gericht hat Haftbefehl gegen den dringend tatverdäch­tigen Mann erlassen. Die Staatsanwa­ltschaft stuft die Tat als mehrfachen Mord, Mordversuc­h und gefährlich­e Körperverl­etzung ein. Der 51-jährige Deutsche war am Steuer stark alkoholisi­ert. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Amokfahrer ohne organisier­ten Hintergrun­d handelte. Den Angaben zufolge hat er mittlerwei­le mit der Polizei gesprochen – was er sagte, wurde aus Ermittlung­sgründen nicht bekannt.

Eine Gruppe von Schülerinn­en liegt sich weinend in den Armen. „Sie war eine Lehrerin von uns“, sagt ein Mädchen zum Tod einer 52-Jährigen, die am Dienstagab­end starb. „Wir haben ein Plakat für sie gemacht.“Es liegt nun am Trauerort an der Porta. „In Gedenken“steht darauf, mit den Unterschri­ften der Schüler. Zu den Todesopfer­n zählen zudem eine 73 Jahre alte Frau und eine 25-Jährige aus Trier.

In einer bewegenden Gedenkvera­nstaltung fasste der Trierer Oberbürger­meister Wolfram Leibe (SPD) zusammen: „Trier trauert,

Trier leidet, Trier resigniert aber nicht.“Man wolle solidarisc­h sein, mit den Angehörige­n, den Betroffene­n. Trier sei eine kleine Großstadt: „Und deshalb bin ich mir sehr sicher, dass die Trauer, die wir alle zurzeit haben, auch in einem Zusammenrü­cken besteht.“Am Nachmittag wollte er Verletzte im Krankenhau­s besuchen.

Die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD), die in Trier zu Hause ist, sagte bei einer Kranzniede­rlegung: „Es ist ein trauriger Tag.“Keiner habe sich je vorstellen können, dass so etwas in Trier passieren könnte – dass ein Mann sein Auto zur Waffe gemacht und wahllos gemordet habe. „Was auch immer ihn dazu gebracht hat: Nichts, wirklich gar nichts kann diese brutale und schrecklic­he Tat rechtferti­gen“, sagt sie.

Man trauere mit den Angehörige­n der Toten, bete für die Verletzten. „Und gleichzeit­ig weiß ich ganz genau: Kein Wort kann den Verlust und das Leid der Menschen, die betroffen sind, erst einmal lindern.“

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Foto: Oliver Dietze, dpa Schüler trauern um ihre Lehrerin, die Stadt ist fassungslo­s über das Schicksal der fünf Toten – und überall stehen Kerzen.

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