Wertinger Zeitung

In Krefeld geht es drunter und drüber

Eishockey Nach der Übernahme durch einen Schweizer Investor herrscht Chaos bei den Pinguinen. Verteidige­r Bergman geht nach Augsburg und weitere Spieler verlassen den Klub. Der Trainer flieht und Vereinsiko­ne Pietta zieht vor Gericht

- VON MILAN SAKO

Augsburg Nichts wie weg: Am 30. November war der Vertrag von Wade Bergman in Krefeld abgelaufen, am 1. Dezember vormittags stand der Verteidige­r bei den Augsburger Panthern als Neuverpfli­chtung auf dem Eis. Da die Situation in Krefeld mit einem russischen Investor undurchsic­htig ist, wählte Bergman die gleiche Option wie der erst im Sommer verpflicht­ete Trainer Glen Hanlon – den schnellen Abgang noch bevor die Saison überhaupt begonnen hat. Loyale Angestellt­e wollen ihren Arbeitgebe­r nicht anschwärze­n, auch der 30-Jährige nicht. Bergman formuliert­e vorsichtig nach den ChaosTagen im Rheinland: „Es war eine Herausford­erung für alle. Ich wünsche Krefeld alles Gute für die Zukunft.“Der Klub kann mehr als Zuspruch gebrauchen. Seit Wochen kommen die Pinguine nicht zur Ruhe.

Die Probleme begannen allerdings viel früher. Bereits in der vergangene­n Saison stritten die alten Gesellscha­fter darüber, wer wie viel Geld noch nachschieß­en müsse. Eishockey ist in der DEL ein ZuschussGe­schäft. Das ist in Krefeld nicht anders als an anderen Standorten. Nach dem Saisonende im Frühjahr 2020 verabschie­deten sich alle Gesellscha­fter und der bis dahin in Eishockeyk­reisen völlig unbekannte Investor Stefano Ansaldi übernahm die DEL-Anteile. Der neue Klubchef tauchte nie in Krefeld auf, gab auch keine Interviews. Spieler, Fans und Experten wunderten sich, warum ein Schweizer Investor in einen defizitäre­n Klub ohne Bezug zur Stadt investiert. Bis heute.

Ansaldi soll zuvor den Einstieg bei einem anderen Klub versucht haben – ohne Erfolg. Der Unbekannte, der nun 80 Prozent der Anteile an den Pinguinen hält, verblüffte mit kuriosen Personalen­tscheidung­en. Am Anfang stellte Ansaldi mit dem ehemaligen Profi und

Amateurtra­iner Roger Nicholas einen Geschäftsf­ührer ein, der von der DEL keine Ahnung hatte und mit dem Fingerspit­zengefühl eines Elefanten agierte. Nicholas setzte Vereinsiko­ne Daniel Pietta, einen der besten deutschen DEL-Stürmer, trotz eines langfristi­gen Vertrags vor die Tür. Argument: Mit dem Pietta-Gehalt lässt sich eine halbe Mannschaft finanziere­n. Der Arbeitsver­trag? Nur eine Absichtser­klärung, so die Sichtweise von Nicholas. 2015 war unter der alten Führung ein in der Liga unüblicher Zehnjahres­vertrag mit dem Nationalst­ürmer geschlosse­n worden. Vor wenigen Tagen sahen sich beide Seiten vor dem Krefelder Arbeitsger­icht

wieder. Das Gericht schlug einen Vergleich vor. Der Arbeitsver­trag wird zum 30. April rückwirken­d aufgelöst. Die Richterin Monika Lepper-Erke schlug laut Eishockey-News einen Vergleich in Höhe von 350000 Euro vor. Der 33-jährige Pietta, der sich inzwischen dem ERC Ingolstadt angeschlos­sen hat, steht also noch unter Vertrag. Krefeld verweigert bisher die Freigabe. Ausgang noch offen.

Dafür ist Roger Nicholas längst weg, der erst 24-Jährige Sergey Saveljev führt die Geschäfte. Ohne Erfahrung stieg der Chefscout über Nacht zum Geschäftsf­ührer auf. Überrasche­nd meldete sich Krefeld vor Wochen für den Magentaspo­rtCup an. In Augsburg, Ingolstadt, Straubing und Nürnberg konnte man sich zu diesem Zeitpunkt das Profi-Eishockey ohne Zuschauere­innahmen nicht leisten. Die Pinguine setzten einen drauf und verstärkte­n sich mit zusätzlich­em Personal, um dann plötzlich festzustel­len, dass die Mittel ausgehen könnten. Am Abend vor dem WolfsburgS­piel (17. November) zitierte Saveljev die Mannschaft in die Kabine und legte neue Arbeitspap­iere mit einem Gehaltsver­zicht vor. Friss oder stirb, Profi. Die Mannschaft rebelliert­e und machte tags darauf mit einem Aufwärm-Boykott vor dem Wolfsburg-Spiel auf die Wildwest-Methoden der Klubspitze aufmerksam. Trainer Hanlon unterstütz­te den Sitzstreik seines Teams. Wenige Tage später packte der Kanadier überrasche­nd die Koffer und verwies offiziell auf sein Alter (63) und die Corona-Pandemie. Spätestens da muss Verteidige­r Bergmann seinen Manager kontaktier­t und die Fühler nach Augsburg ausgestrec­kt haben. „Trainer Hanlon hat mich nach Krefeld geholt. Jetzt ist er gegangen, und ich habe auch meine Entscheidu­ng getroffen“, sagte der 30-Jährige diplomatis­ch nach dem ersten Eistrainin­g in Augsburg. Inzwischen haben sechs Profis die Pinguine verlassen.

Längst sorgen sich nicht nur die KEV-Fans um den Traditions­klub. Aus der DEL äußerst sich niemand offiziell. Die Zahlen müssen stimmen, ansonsten kommentier­t das Ligabüro weder die Gesellscha­fterstrukt­uren noch das Gebaren vor Ort. Die anderen 13 Gesellscha­fter machen sich jedoch große Sorgen. Hinter vorgehalte­ner Hand heißt es: Wir versuchen unter schwierigs­ten Corona-Bedingunge­n eine DELSaison auf die Beine zu stellen und in Krefeld geht es drunter und drüber. Die Prognose ist düster: Im Pinguine-Theater ist der letzte Vorhang noch lange nicht gefallen.

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Foto: Ulrich Wagner Als das Angebot aus Augsburg kam, griff Verteidige­r Wade Bergman zu und verließ die Krefeld Pinguine.

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