Symbolpolitik im besten Sinne
So sehr sie in Berlin auch über Markus Söder stänkern – in München ist er auf seine Kritiker zugegangen und lässt dem Parlament den Raum, der ihm zusteht
Symbolpolitik hat einen ähnlich zweifelhaften Ruf wie das Placebo. Beides ist im Kern ohne Substanz, „nur symbolisch“eben, kann aber dennoch Wirkung entfalten. Nur ein Beispiel: Wenn Politiker bei Kranzniederlegungen die Schleife richten, dann tun sie das nicht, weil irgendetwas unordentlich drapiert oder die Schrift auf der Schleife nicht zu lesen wäre. Sie tun es, weil sie es tun müssen, um Ernsthaftigkeit, Mitgefühl und Solidarität zu demonstrieren. Täten sie es nicht, würde an ihrer Ernsthaftigkeit, ihrem Mitgefühl oder ihrer Solidarität gezweifelt.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder steht in Verdacht, sich selbst für einen politischen Riesen und die Abgeordneten im Bayerischen Landtag für Zwerge zu halten. Zugegeben: Dieses Phänomen ist nicht neu. Bei seinen Vorgängern
Horst Seehofer („Mäusekino“) oder Edmund Stoiber („Leichtmatrosen“) trat das phasenweise sogar ganz offen zutage. Und vielleicht bringt es das hohe Amt ja einfach mit sich, dass man aus der Vogelperspektive von weit oben tief nach unten schaut. So oder so – entscheidend für das politische Image eines Regierungschefs ist, dass er dem Eindruck, er halte sich für den einzig Schlauen und alle andern für doof, entschlossen entgegentritt.
Die Pandemie hat Söders politisches Ansehen in eine Höhe katapultiert, die kurz zuvor noch für die im Wahljahr 2018 deutlich unter 40 Prozent gestürzte CSU unerreichbar schien. Für die große Mehrheit der Bürger ist er der richtige Mann zur richtigen Zeit. Das nervt seine politischen Gegner und seine Koalitionspartner im Bund wie in Bayern. Und manchmal platzt es aus ihnen heraus, wie aktuell bei Rolf Mützenich. Als „theatralisch und selbstverliebt“geißelt der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag Söders Auftreten bei der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz.
„Schon wieder“sei das so, grantelt Mützenich.
Im Landtag in München sind derlei Giftigkeiten zurzeit nicht zu hören. Hier ist Söder auf seine Kritiker zugegangen. Zweimal verständigten sich die Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin auf neue Corona-Regeln. Zweimal trug Söder in einer Regierungserklärung im Landtag vor, wie die
Staatsregierung die Beschlüsse in Bayern umsetzt. Juristisch ist das belanglos, weil die Regierung als Exekutive darüber ganz alleine entscheiden kann. Der Landtag als Gesetzgeber hat da erst mal keine Zuständigkeit. Dennoch kam Söder den Parlamentariern entgegen. Er erklärte sich in zwei Sondersitzungen, stellte sich stundenlangen Debatten, hörte sich sogar die teilweise absurden Wortbeiträge aus den Reihen der AfD an und blieb auch noch auf seinem Stuhl im Plenarsaal sitzen, wenn sich die Reihen vor ihm schon erkennbar zu leeren begannen – ein Akt klassischer Symbolpolitik.
Dass es in Bayern etwas besser läuft als anderswo, dass hier nicht so viele Schräg-, Schief- oder Garnicht-Denker ihren teils hanebüchenen Unsinn verbreiten, ist aber nicht allein das Verdienst Söders und der CSU. Grüne, SPD, FDP haben nicht lockergelassen, Freie Wähler und allen voran Landtagspräsidentin Ilse Aigner haben ihren Teil dazu beigetragen, dass im Landtag die Dinge auf den Tisch kommen, über die in dieser schwierigen Zeit gesprochen werden muss. Dass über die Corona-Politik der Staatsregierung jetzt abgestimmt wird – wenn auch nur indirekt über rechtlich nicht bindende Dringlichkeitsanträge –, ist ein Erfolg für die Demokratie. Gleiches gilt für die neu eingeführten regelmäßigen Regierungsbefragungen.
Das ist Symbolpolitik im besten Sinne, weil es Legitimität schafft und klarmacht, dass immer noch die Mehrheit das Sagen hat.
Die wichtigen Dinge kommen auf den Tisch