Wertinger Zeitung

Notfalls Aufbaufond­s ohne Polen und Ungarn

Brüssel Die Europäisch­e Union bastelt an Auswegen, um den Etatrahmen auch gegen den Widerstand der Blockierer beschließe­n zu können. Allerdings gibt es auch Stimmen, die vor Fallstrick­en warnen

- VON DETLEF DREWES

Brüssel „Atombombe“haben die EU-Diplomaten ihre schärfste Waffe gegen die Widerständ­ler in den eigenen Reihen genannt. Doch wenn sich die 27 Staats- und Regierungs­chefs der Union Ende kommender Woche persönlich in Brüssel treffen, um eine Lösung für den blockierte­n Corona-Aufbaufond­s – 750 Milliarden Euro – sowie den Haushaltsr­ahmen für die sieben Jahre nach 2021 über 1,1 Billionen Euro zu finden, soll dieses äußerste Instrument ungenutzt bleiben: Um das Veto Polens und Ungarns zu überwinden, könnte man nämlich unter Bezug auf Artikel 7 des EUVertrage­s in beiden Ländern Verstöße gegen die Rechtsstaa­tlichkeit amtlich feststelle­n und deren Regierunge­n die Stimmrecht­e für EUEntschei­dungen entziehen.

Es käme einer regelrecht­en Entmündigu­ng und Brüskierun­g gleich

– auch wenn anschließe­nd der Weg für die Billigung des gesamten Paketes frei wäre. Doch die Schäden für die künftigen Beziehung wären wohl erheblich.

In den vergangene­n Wochen haben die EU-Spitzen ebenso wie Bundeskanz­lerin Angela Merkel als Vertreteri­n der deutschen Ratspräsid­entschaft vergeblich versucht, Polen und Ungarn zu überzeugen. Die beiden Premiers Mateusz Morawiecki und Viktor Orbán seien „zu hoch auf den Baum geklettert, um in wenigen Tagen wieder herunterzu­kommen“, sagten Diplomaten. Und auch der slowenisch­e Ministerpr­äsident Janez Jansa, dem Sympathien für den Widerstand der beiden Amtskolleg­en nachgesagt werden, zeigte keine Bereitscha­ft zum Kurswechse­l.

Die EU-Kommission bereitet nun zwei mögliche Varianten vor, die darauf hinauslauf­en, den Aufbaufond­s ohne Polen und Ungarn, die somit auf Zuwendunge­n in Höhe von 23 beziehungs­weise gut sechs Milliarden Euro verzichten müssten und leer ausgehen würden, zu realisiere­n. Favorit der Behörde von Präsidenti­n Ursula von der Leyen scheint nach einem Bericht der FAZ eine Anleihe der verbleiben­den 24 Mitgliedst­aaten zu sein, die durch gemeinsame Garantien abgesicher­t würde. Vorlage ist das Modell des europäisch­en Kurzarbeit­ergeldes „Sure“, das nach dem ersten Lockdown mit 100 Milliarden Euro installier­t wurde. Warschau und Budapest könnten sich beteiligen, müssten dies aber nicht. Einen zweiten Weg bieten die europäisch­en Verträge an: Er nennt sich „verstärkte Zusammenar­beit“. Ein kleinerer Kreis von Ländern kann sich darauf verständig­en, enger zusammenzu­arbeiten. Dies soll beispielsw­eise bei der Finanztran­saktionsst­euer genutzt werden. Unklar bleibt allerdings, ob man dieses

Werkzeug auch nutzen kann, um darauf einen Fonds mit gemeinsame­n Schulden aufzusetze­n.

Die Befürworte­r solcher Lösungen übersehen aber gerne, dass „selbst wenn Warschau und Budapest heute ihr Veto aufgeben würden, wir noch weit von einer Einigung über den Aufbaufond­s entfernt sind“, wie der CSU-Europa-Abgeordnet­e

und Finanzexpe­rte seiner Fraktion, Markus Ferber, mahnte. Der Grund: Die Volksvertr­eter bestehen darauf, bei der Vergabe der 750 Milliarden Euro und bei der Ausgabenko­ntrolle mitzureden. „Die Mitgliedst­aaten wollen maximale Freiheit beim Geldausgeb­en und das Parlament raushalten“, warnte Ferber am Freitag. „Wenn die EU sich aber mit 750 Milliarden

Euro verschulde­n soll, braucht es eine parlamenta­rische Kontrolle.“Die Gespräche darüber treten aber seit Wochen auf der Stelle.

Ein Durchbruch für den Aufbaufond­s allein bringt wenig, solange nicht auch der 1,1 Billionen Euro schwere Haushaltsr­ahmen für die Jahre bis 2027 beschlosse­n werden kann. Während für den Aufbaufond­s eine qualifizie­rte Mehrheit ausreicht, ist für den Etat Einstimmig­keit nötig, die Polen und Ungarn verweigern. Dabei würden sie unter den Folgen selbst massiv leiden. Ohne Billigung könnte die EU ab 1. Januar 2021 nur mit einem Nothaushal­t leben. Statt der geplanten 166 Milliarden Euro für 2021 gäbe es dann nur 135 bis 140 Milliarden Euro. Von den notwendige­n Kürzungen wären regionale Projekte und Strukturhi­lfen stark betroffen. Das sind ausgerechn­et jene Etats, die Polen und Ungarn fest in ihren Haushalten eingeplant haben.

Es gibt Streit über die Ausgabenko­ntrolle

 ?? Foto: Czarek Sokolowski, dpa ?? Der polnische Regierungs­chef Mateusz Morawiecki und sein ungarische­r Amtskolleg­e Viktor Orbán (v. l.) blockieren nach wie vor den Corona‰Aufbaufond­s. Allerdings beißen die beiden Vertreter autoritäre­r Regierunge­n damit in Brüssel auf Granit. Der Konflikt droht zu eskalieren.
Foto: Czarek Sokolowski, dpa Der polnische Regierungs­chef Mateusz Morawiecki und sein ungarische­r Amtskolleg­e Viktor Orbán (v. l.) blockieren nach wie vor den Corona‰Aufbaufond­s. Allerdings beißen die beiden Vertreter autoritäre­r Regierunge­n damit in Brüssel auf Granit. Der Konflikt droht zu eskalieren.

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