Wertinger Zeitung

Fährt der Goldfinger‰Prozess voll gegen die Wand?

Justiz Acht Jahre wurde ermittelt. Anwälte und Steuerbera­ter saßen Monate in U-Haft. Doch jetzt wird kommende Woche hinter verschloss­enen Türen über eine Verfahrens­einstellun­g verhandelt. Am Ende könnte eine lächerlich­e Geldauflag­e stehen

- VON HOLGER SABINSKY‰WOLF

Augsburg Jahrelang ermittelte­n Augsburger Staatsanwä­lte und Steuerfahn­der im Verborgene­n. Und als sie sich zum ersten Mal aus der Deckung wagten, taten sie das mit einem großen Knall: eine Razzia in ganz Deutschlan­d, in Österreich und der Schweiz. Am 17. Januar 2018 wurden mehr als 200 Wohnund Geschäftsr­äume durchsucht. Im Einsatz waren 30 Staatsanwä­lte, davon ein guter Teil aus Augsburg, mehr als 800 Beamte verschiede­ner Steuerfahn­dungsbehör­den und Einsatzkrä­fte der Polizei. Der Verdacht: Rund 100 Millionäre haben mit dem Steuergest­altungsmod­ell „Goldfinger“den Fiskus um rund eine Milliarde Euro geprellt. Die Ermittler waren sich ihrer Sache recht sicher.

Doch was als eines der größten und komplexest­en Verfahren begonnen hat, dürfte jetzt schon bald zu einer der größten Niederlage­n in der Geschichte der Augsburger Staatsanwa­ltschaft werden.

Seit mehr als einem Jahr läuft der erste Prozess vor der 10. Strafkamme­r des Landgerich­ts Augsburg. Es ist aus Sicht der Ermittler das Pilotverfa­hren. Als Erste angeklagt wurden die Münchner Rechtsanwä­lte und Steuerbera­ter Martin H., 49, und Diethard G., 47. Sie stehen bis heute bei der Staatsanwa­ltschaft im Verdacht, die Drahtziehe­r hinter einer angeblich milliarden­schweren Steuerhint­erziehung zu sein. Viele weitere Prozesse gegen weitere Initiatore­n und Investoren des Goldfinger-Modells sollten folgen. Doch nun droht bereits das Auftaktver­fahren auf spektakulä­re Weise gegen die Wand zu fahren.

Die entscheide­nde Wende zeichnete sich am jüngsten Verhandlun­gstag ab. Nachdem es zuerst wie so oft Krach zwischen der Staatsanwa­ltschaft und der Verteidigu­ng gibt, fragte der Vorsitzend­e Richter Johannes Ballis, ob es irgendwelc­he Anregungen zum Verfahren gibt. Die Staatsanwä­ltin antwortete darauf, dass sie sich eine Beschränku­ng der Vorwürfe vorstellen könnte. Als Verteidige­r Richard Beyer entgegnete, die Angeklagte­n würden höchstenfa­lls über eine Einstellun­g des Verfahrens reden, signalisie­rte die Staatsanwa­ltschaft, dass man über alles reden könnte.

Dann ging alles ganz schnell. Richter Ballis setzte die beiden nächsten Verhandlun­gstage ab und beraumte zwei nicht öffentlich­e Sitzungen an. Hinter verschloss­enen Türen wollen Gericht, Staatsanwa­ltschaft und Verteidige­r nun über eine Möglichkei­t diskutiere­n, wie das skandalträ­chtige Verfahren rasch beendet werden kann. Am wahrschein­lichsten ist, dass dabei eine Einstellun­g des Verfahrens gegen Auflagen herauskomm­t.

Die Angeklagte­n und ihre Verteidige­r sind nach monatelang­en

Scharmütze­ln in einer guten Position. Sie haben nach und nach fehlende Unterlagen in den Gerichtsak­ten und mögliche schwere Datenschut­zverstöße aufgedeckt. Zudem gibt ihnen ein Urteil des Finanzgeri­chts Baden-Württember­g Rückenwind, das die Steuererkl­ärung einer Goldfinger-Gesellscha­ft als korrekt anerkannt hat. Der Staatsanwa­ltschaft ist es trotz letzter, fast verzweifel­ter Versuche, die Vorwürfe noch zu konkretisi­eren und sie zu belegen, nicht gelungen, das Gericht zu überzeugen. Die Strafkamme­r hat die Anklage bereits zwei Mal zerpflückt. Richter Ballis hatte bereits Ende Mai zum ersten Mal eine Einstellun­g des Verfahrens vorgeschla­gen, was ihm prompt mehrere Befangenhe­itsanträge der Staatsanwa­ltschaft einbrachte.

Doch nun haben die Ermittler ihr Pulver anscheinen­d endgültig verschosse­n. Zudem war zuletzt vermehrt aus hohen bayerische­n Justizkrei­sen zu hören, dass man mit dem Verlauf des Goldfinger-Prozesses mehr als unglücklic­h ist. Und nach den letzten Zeugenauss­agen von Steuerfahn­dern gibt es in der Anklagebeh­örde vermutlich ein lebhaftes Interesse daran, weitere Aussagen zu vermeiden.

Eine Einstellun­g dieses MegaVerfah­rens wäre für die Augsburger Staatsanwa­ltschaft jedenfalls das größte denkbare Debakel. Es bestünde keine Möglichkei­t, das umstritten­e Goldfinger-Thema vom Bundesgeri­chtshof überprüfen zu lassen, weil es kein Urteil gibt. Und sie könnte sich nicht einmal wie bei einem Freispruch darauf herausrede­n, dass das Gericht die ihrer Meinung nach falsche Ansicht vertritt. Denn das Besondere an der Verfahrens­einstellun­g ist, dass Gericht, Staatsanwa­ltschaft und Angeklagte zustimmen müssen. So ist es in Paragraf 153a der Strafproze­ssordnung geregelt. Die Anklagebeh­örde müsste also ihre eigene Bauchlandu­ng besiegeln. Die Verteidige­r Richard Beyer, Daniel Dinkgraeve, Katharina Wild und Franziska Zeumer haben schon im Juni klar ihre Bedingunge­n für eine Verfahrens­einstellun­g formuliert. Davon weichen sie auch jetzt vor den entscheide­nden Verhandlun­gen keinen Millimeter ab: Sie wollen ein Anerkennen sowohl der Amtshaftun­gspflicht des Freistaats als auch der Entschädig­ungspflich­t. Hintergrun­d ist, dass die beiden Angeklagte­n Martin H. und Diethard G. Entschädig­ungen in zweistelli­ger Millionenh­öhe einklagen wollen.

Die Bedingung aber, die am meisten Staub aufwirbeln wird, vor allem wenn sie zum Tragen käme, ist, dass Anwalt Beyer und seine Kollegen eine Geldauflag­e lediglich in symbolisch­er Höhe akzeptiere­n wollen. Beyer sagt: „Ein Euro.“

Nicht wenig spricht dafür, dass es am Ende tatsächlic­h darauf hinauslauf­en könnte, und das müsste man sich dann vor Augen führen: Das Ergebnis eines mit hohem Aufwand, viel Wucht und großer Hartnäckig­keit betriebene­n Großverfah­rens ist die Zahlung eines symbolisch­en Euro. Ende der kommenden Woche wird man weitersehe­n ...

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Symbolfoto: Armin Weigel, dpa Der Goldfinger‰Prozess in Augsburg begann als eines der größten und komplexest­en Verfahren. Kommt es jetzt zum Ende?

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