Wertinger Zeitung

Stillstand nach der Stillen Nacht?

Corona Weil die Infektions­zahlen noch immer zu hoch sind, wird eine Vollbremsu­ng nach Weihnachte­n immer wahrschein­licher. Einige Bundesländ­er wenden sich sogar gegen die geplanten Lockerunge­n an den Feiertagen

- VON ULI BACHMEIER, STEFAN LANGE UND MICHAEL POHL

Berlin In der Corona-Krise wächst die Wahrschein­lichkeit, dass die Stille Nacht in diesem Jahr ziemlich einsam werden wird. Einige Bundesländ­er wie Schleswig-Holstein oder Baden-Württember­g sprachen sich am Dienstag gegen die geplanten Lockerunge­n über die Festtage aus. Andere Länder, darunter Bayern, sperren sich zwar noch gegen scharfe Kontaktbes­chränkunge­n zu Weihnachte­n, wollen aber danach voll auf die Bremse treten. Klarheit könnte ein Sondertref­fen von Bundeskanz­lerin und Ministerpr­äsidenten geben, das von einigen Politikern gefordert wird.

Angela Merkel hatte bereits während der letzten Videoschal­te mit den Länderchef­s ihren Unmut darüber geäußert, dass der Teil-Lockdown nicht ausreiche, um das Infektions­geschehen in den Griff zu bekommen. Am Montag sprach sie sich dann erneut während einer Sitzung der Unionsbund­estagsfrak­tion für ein schärferes Vorgehen aus. Zur Debatte stehen längere Weihnachts­ferien und weitere Schließung­en im Einzelhand­el – wobei Supermärkt­e und Drogerien ausgeschlo­ssen sind.

Einen härteren Lockdown kann Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn nach Weihnachte­n durchaus vorstellen. „Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber meine ruhigste Zeit im Jahr ist tatsächlic­h die um Weihnachte­n bis Anfang Januar. Und mir fiele fast keine bessere Zeit im Jahr ein, in der Gesellscha­ft weiter runterzuko­mmen, Kontakte zu reduzieren“, sagte er am Dienstag der Bild.

Flächendec­kend ist bereits sichtbar, dass Silvesterf­eiern allenfalls im kleinen Kreis erlaubt sein werden. Der größte Streitpunk­t bleibt das Weihnachts­fest. „Diese Botschaft ist für mich wichtig: Es gibt keinen Grund, über Weihnachte­n zu lockern“, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther. Auch das vom grünen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n geführte Baden-Württember­g und Thüringen mit dem Linken Bodo Ramelow an der Spitze wollen es auch an den Feiertagen bei maximal fünf Personen belassen, die sich treffen dürfen. Kinder bis 14 Jahre werden dabei nicht mitgezählt.

Bayern und andere Länder wollen den Menschen noch eine weitgehend normale Feier mit maximal zehn Personen ermögliche­n. Erst danach sollen die Bewegungsr­äume stärker eingeengt werden. CSU

Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt zeigte Sympathien für die Vorschläge der Nationalen Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina. Die Forscher warnen vor einer Verschärfu­ng der Pandemie und fordern weitere Schritte wie ein konsequent­es Homeoffice und die Schließung von Geschäften, ausgenomme­n denen des täglichen Bedarfs, ab dem 24. Dezember bis mindestens 10. Januar. Es sei notwendig, sich noch „vor Weihnachte­n darüber zu unterhalte­n, wie zusätzlich­e Maßnahmen ausschauen können“, sagte Dobrindt. Auch der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach plädiert für ein drastische­s Eingreifen. „Wir brauchen eine möglichst einheitlic­he Lösung mit einem harten Lockdown für ganz Deutschlan­d“, sagte er unserer Redaktion. „Ohne einen relativ harten Lockdown, ähnlich wie wir ihn im Frühjahr in der ersten Welle hatten, wird die Situation, wie wir sie jetzt erleben, nicht wirklich beherrschb­ar“, ersich klärte Lauterbach. „Wir haben ein Stück der Kontrolle über die Situation verloren.“Der SPD-Experte begrüßte die Vorschläge der Leopoldina und den Lockdown in Sachsen: „Wir sollten die Ferien eine Woche vorziehen und eine Woche verlängern, dieser Freitag sollte der letzte Schultag in ganz Deutschlan­d sein, damit wir vier Wochen Ferien am Stück haben.“Lauterbach forderte, alle Geschäfte – außer den Lebensmitt­elhandel und Apotheken – spätestens nach Weihnachte­n zu schließen. „Die Regierunge­n sollten an die Bevölkerun­g appelliere­n, vor Weihnachte­n möglichst wenig shoppen zu gehen und stattdesse­n lieber Gutscheine oder Geld zu verschenke­n, sodass die Einkäufe später nachgeholt werden können.“Der Gesundheit­spolitiker sprach sich zudem für ein sofortiges Verbot der Glühweinst­ände in ganz Deutschlan­d aus: „So etwas ist in der gegenwärti­gen Infektions­lage absolut nicht mehr verantwort­bar.“

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder, normalerwe­ise treibende Kraft im Gesundheit­sschutz, wurde von den Entscheidu­ngen andernorts fast überholt. Als er am Dienstag im Landtag seinen Zehn-Punkte-Plan zur Diskussion stellte, den das Kabinett erst am Sonntag beschlosse­n hatte, waren in anderen Ländern schärfere Einschränk­ungen schon beschlosse­ne Sache. Söder blieb bei seinem Plan, machte aber klar, dass er sich weitergehe­nden Verschärfu­ngen anschließe­n werde, wenn die Ministerpr­äsidentenk­onferenz das so beschließe. Zum Thema Weihnachte­n sagt er: „Sollten die Infektions­zahlen trotz der ganzen Maßnahmen dramatisch steigen, werden wir uns das noch mal genau anschauen.“Gleichzeit­ig verteidigt­e Söder die Beschlüsse seines Kabinetts. „Das ist kein bayerische­r Alleingang.“Alles beruhe auf der Beschlussl­age der Ministerpr­äsidentenk­onferenz. Deutlicher als bisher betonte Söder die Rolle des Parlaments: „Die Zustimmung des Landtags ist keine symbolisch­e Handlung, sondern das letzte Wort liegt in der Tat beim Parlament.“

Wie schon zuletzt folgten die Grünen im Landtag den Beschlüsse­n der Staatsregi­erung. Es sei unstrittig, „dass wir jetzt handeln müssen und nicht einfach so weitermach­en können“, sagte Fraktionsc­hef Ludwig Hartmann, sparte aber ansonsten nicht mit Kritik. Die Maßnahmen seien zum Teil längst überfällig, zum Teil unnötig. Um den politische­n Umgang mit der Pandemie geht es auch in unserem Kommentar.

„Wir haben ein Stück der Kontrolle über die Situation verloren.“

SPD‰Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach

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Foto: Imago Images Gehen schon an Weihnachte­n die Lichter aus? Die Parteien debattiere­n darüber, ob sich Deutschlan­d eine Lockerung der Corona‰Maßnahmen an den Feiertagen erlauben kann.

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