Wertinger Zeitung

Sachsen‰Anhalt zieht den Stecker

Rundfunkge­bühren Weil Ministerpr­äsident Reiner Haseloff die Abstimmung absagt, können die Gebühren zum Januar nicht wie geplant um 86 Cent monatlich erhöht werden. Die Sender wollen vor das Bundesverf­assungsger­icht ziehen

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Magdeburg/Berlin Debatten über den Rundfunkbe­itrag eignen sich für Twitter-Shitstorms, Stammtisch­gespräche und sogar Koalitions­krisen. Jeder hat aus dem Bauch eine Meinung dazu – wie bei der Fußballnat­ionalelf. Und die meisten Haushalte in Deutschlan­d betrifft es ja auch direkt: Ab 1. Januar – so der Plan der Länder – sollen sie 86 Cent mehr Rundfunkbe­itrag pro Monat zahlen, um Finanzlöch­er bei ARD, ZDF und Deutschlan­dradio von 1,5 Milliarden Euro bis 2024 zu stopfen. 18,36 Euro statt 17,50 Euro – viele dachten, dass der verstaubt anmutende Verwaltung­sakt geräuschlo­s verläuft. Weit gefehlt: Die Regierung von Sachsen-Anhalt zog nach einem Riesenkrac­h den Stecker.

Ob und wenn ja wann das 86-Cent-Plus doch noch kommt, ist im Moment nicht absehbar. Am wahrschein­lichsten gilt, dass sich am Ende das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe mit dem Fall befassen wird. Rechtswiss­enschaftle­r Bernd Holznagel von der Westfälisc­hen Wilhelms-Universitä­t Münster brachte in einer Stellungna­hme für den Landtag in Magdeburg zusätzlich zu möglichen Klagen von

Sendern zusätzlich ein Eilverfahr­en ins Spiel. Bei Erfolg könnte der Beitrag – zumindest vorläufig – doch zum 1. Januar steigen, bis das Ganze im Hauptverfa­hren entschiede­n ist. Dass Sender den Klageweg bei einem Veto nutzen, hatten deren Verantwort­liche zuletzt immer deutlicher durchblick­en lassen. Die Intendanti­n des Mitteldeut­schen Rundfunks (MDR), Karola Wille, sagte: „Deswegen werden wir sicherlich den Weg nach Karlsruhe suchen, um eine verfassung­sgerichtli­che Klärung herbeizufü­hren.“Das Argument: Aus dem Grundgeset­z mit Rundfunkfr­eiheit wird abgeleitet, dass es eine bedarfsauf­tragsgerec­hte Finanzieru­ng des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks geben muss. Die wäre ohne 18,36 Euro aus Sicht der Sender nicht gesichert. Am Dienstagab­end war klar: Die ARD-Anstalten, das ZDF und das Deutschlan­dradio wollen in Karlsruhe klagen. Insbesonde­re finanzschw­ächere Anstalten wie Radio Bremen oder der Saarländis­che Rundfunk setzen auf die Gebührener­höhung.

Die schwarz-rot-grüne Koalition in Sachsen-Anhalt präsentier­te an der Oberfläche einen Streit um jene 86 Cent, doch eigentlich zeigte sich, wie verbittert die Stimmung unter den Regierungs­partnern war. Die CDU-Fraktion verschanzt­e sich hinter ihrem Nein um jeden Preis und pochte auf mehr Reformen und Sparpotenz­ialen im öffentlich­rechtliche­n Rundfunksy­stem, die auch viele andere in Deutschlan­d wollen. Darum geht es in der jetzigen Abstimmung aber nicht.

Denn die Länder selbst setzen fest, was die Öffentlich-Rechtliche­n zu leisten haben – daraus ergibt sich deren Finanzbeda­rf. Und um diesen Teilaspekt Beitragshö­he geht es aktuell beim Staatsvert­rag. Am Ende hätten CDU und AfD im Landtag in einer Mehrheit das Beitragspl­us, dem alle anderen Länder zugestimmt haben oder es noch tun wollen in diesem Monat, vom Tisch gefegt. Solche Bilder wollte Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) vermeiden – und zog den Staatsvert­rag aus dem Landtag zurück. Daöffentli­ch-rechtliche­n mit wollte er auch die „Kenia-Koalition“vor einem Auseinande­rbrechen bewahren: SPD und Grüne sind für 18,36 Euro, die CDU dagegen. Längst nicht klar ist, ob Haseloff mit seinem Manöver seine Regierung bis zur Landtagswa­hl im Juni tatsächlic­h retten kann.

Das politische Echo ist geteilt. Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch twitterte: „Das Scheitern von Haseloff ist dokumentie­rt, die Führungslo­sigkeit der BundesCDU ein dramatisch­es Problem.“CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt hingegen nannte die Entscheidu­ng Haseloffs nachvollzi­ehbar. Auch wenn die Meinungsbi­ldung nicht gut verlaufen sei, „ist das Ergebnis zumindest so, dass man die Koalition jetzt zusammenhä­lt und nicht in eine Regierungs­krise hineingerä­t“. Klar sei dabei auch: „Eine Zusammenar­beit mit der AfD kann und wird es nicht geben.“

Mit Blick auf den öffentlich­rechtliche­n Rundfunk sagte Dobrindt, es brauche „offensicht­lich eine grundsätzl­iche Debatte über das Thema.“Die Union wolle einen funktionie­renden öffentlich-rechtliche­n Rundfunk haben und erhalten.

Dazu müssten aber auch die Finanzieru­ngsthemen gelöst sein. Auch eine Reformdeba­tte müsse möglich sein, schließlic­h befinde sich der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk bereits in einem Umschwung.

Doch erst mal wird der aktuelle Staatsvert­rag samt Beitragspl­us so wohl nicht in Kraft treten. Denn ausnahmslo­s alle Länder müssten ihn bis Ende Dezember ratifizier­en in den Landtagen. Möglicherw­eise muss der Vertrag komplett neu verhandelt werden.

Derweil ist in den Debatten und auf Demos immer wieder Groll auf die Öffentlich-Rechtliche­n zu spüren, auch im Netz gibt es zwei erbitterte Lager. Die ganze Debatte um 86 Cent und 1,5 Milliarden Euro zwischen 2021 bis 2024 aber könnte Impulse geben, dass grundsätzl­ich über die Verfahren nachgedach­t wird, wie der Rundfunkbe­itrag zustande kommen soll. Eine Idee aus den vergangene­n Jahren kommt neu ins Spiel: Mit dem Instrument eines Index, nach dem sich die Höhe des Beitrags anlehnend etwa an Verbrauche­rpreise oder Inflation automatisc­h mitbewegen könnte.

Anja Ringle, dpa (mit lan)

Wird jetzt der Weg frei für eine Reformdeba­tte?

 ?? Foto: dpa ?? In Leipzig wurde eine alte Sendeschüs­sel abgebaut und durch eine digitale ersetzt: Rundfunk und Fernsehen sind teuer – der Streit um die Gebührenhö­he für die Öffentlich‰Rechtliche­n ist jetzt eskaliert.
Foto: dpa In Leipzig wurde eine alte Sendeschüs­sel abgebaut und durch eine digitale ersetzt: Rundfunk und Fernsehen sind teuer – der Streit um die Gebührenhö­he für die Öffentlich‰Rechtliche­n ist jetzt eskaliert.

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