Wertinger Zeitung

Die unendliche Geschichte der Strabs

Hintergrun­d Jahrelang wurde erbittert über die Straßenaus­baubeiträg­e gestritten. Mit ihrer Abschaffun­g hat der Ärger aber noch kein Ende. Die Beschwerde­n stapeln sich

- VON ULI BACHMEIER

München Eigentlich hätte die unendliche Geschichte um die lange Jahre umstritten­en Straßenaus­baubeiträg­e längst ein Ende haben sollen. Die größte Aufregung schien vorüber, als die Freien Wähler in den Koalitions­verhandlun­gen mit der CSU im Jahr 2018 die endgültige Abschaffun­g der vielerorts verhassten Beiträge durchgeset­zt und einen 50 Millionen Euro starken Härtefallf­onds für all jene Hausbesitz­er ausgehande­lt hatten, die seit Anfang des Jahres 2014 schon Beiträge entrichtet hatten. Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger und seine Mitstreite­r durften sich als Sieger fühlen. Jetzt aber holt sie die alte Geschichte wieder ein. Der Härtefallf­onds wird zum politische­n Härtetest.

Rund acht Jahre ist es her, da machte im Landtag eine Erzählung die Runde, die weitreiche­nde politische Konsequenz­en hatte. Es war die Erzählung von der alleinsteh­enden alten Frau mit kleiner Rente und kleinem Häuschen irgendwo auf dem Land, die plötzlich zehn-, zwanzig- oder dreißigtau­send Euro für die Sanierung ihrer Straße berappen sollte, während millionens­chwere Eigentümer von Mietshäuse­rn in München in vergleichb­aren Fällen keinen Pfennig zahlen müssten. Dass das ungerecht ist, leuchtete jedem ein. Und auch wenn der Teil der Erzählung, der die Rentnerin betrifft, offensicht­lich maßlos übertriebe­n war – ihre Wirkung verfehlte sie nicht. Die Straßenaus­baubeiträg­e wurden abgeschaff­t.

Mittlerwei­le macht eine andere Erzählung im Landtag die Runde. Es ist die Erzählung vom Besitzer einer Villa mit großem Garten und 100 000 Euro Jahreseink­ommen, der sich als Härtefall sieht, weil er zwischen 2014 und 2018 noch Straßenaus­baubeiträg­e bezahlt hat. Wie im Fall der armen Rentnerin sind auch die, welche die Geschichte vom reichen Villenbesi­tzer erzählen, den Nachweis, dass es solche Fälle gibt, bisher schuldig geblieben.

Doch darauf kommt es nicht an. Im Kern geht es um eine Retourkuts­che unter Koalitions­partnern: Erst haben die Freien Wähler die CSU mit der Forderung nach Abschaffun­g der „Strabs“vor sich hergetrieb­en. Jetzt dürfen sich die Freien Hohn und Spott aus der CSU über den Härtefallf­onds anhören nach dem Motto: Was ihr als Opposition­spartei gefordert habt, dürft ihr als Regierungs­partei jetzt ausbaden.

Tatsache nämlich ist, dass sich die Bearbeitun­g der rund 14 500 Härtedie bis Ende vergangene­n Jahres gestellt wurden, bis weit ins nächste Jahr hinziehen wird. In der Fraktion der Freien Wähler stapeln sich Anfragen von Bürgern, die wissen wollen, was da los ist und wann sie endlich ihr Geld zurückbeko­mmen.

Das wollten die Freien Wähler jetzt von dem Mann wissen, der freiwillig und ehrenamtli­ch die Leitung der unabhängig­en Härtefallk­ommission übernommen hat, die für die Verteilung der 50 Millionen sorgen soll: Heinz Fischer-Heidelberg­er, der frühere Präsident des Bayerische­n Obersten Rechnungsh­ofs. Er berichtete in beiden Regierungs­fraktionen über den Stand der Dinge.

Hier die Kurzfassun­g: Nur ein Drittel der Anträge, so sagt FischerHei­delberger auf Nachfrage unserer Zeitung, sind online eingegange­n, zwei Drittel kamen auf Papier, nicht wenige davon formlos. Das hatte zur Folge, dass es bis April dieses Jahres dauerte, ehe alle Antragsste­ller überhaupt in einer elektronis­chen Akte erfasst werden konnten. Dann erst konnte Phase zwei beginnen: Die Anträge müssen auf Vollständi­gkeit geprüft werden. Das bedeutet: Briefe schreiben, telefonier­en, nachfragen, Unterlagen anfordern, Fristen setzen, Nachfragen beantworte­n. Das werde, obwohl die Kommission mittlerwei­le 21 Mitarbeite­r beschäftig­t, bis Ende dieses Jahres, vielleicht sogar bis Ende Januar 2021 dauern. „Dann kann erst mit der inhaltlich­en Prüfung der Anträge begonnen werden“, sagt Fischer-Heidelberg­er.

Viel Hoffnung, dass am Ende alle über ihre Bescheide glücklich sein werden, kann der Chef der Härtefallk­ommission den Freien Wählern nicht machen. Die zur Verfügung stehende Summe wird vermutlich nicht ausreichen, alle Erwartunge­n der Antragsste­ller zu befriedige­n. Fischer-Heidelberg­er drückt es vorsichtig aus: „Der Grad der Zufriedenh­eit bei der Rückzahlun­g von Geld wird mäßig sein.“

Für die Verteilung der 50 Millionen haben CSU und Freie Wähler vier Kriterien festgelegt. Welcher Antragsste­ller wie viel zurückerst­atfall-Anträge, tet bekommt, richtet sich nach der Höhe seines Straßenaus­baubeitrag­s, nach der Höhe seines Einkommens, nach der zeitlichen Nähe zum Stichtag der Abschaffun­g der „Strabs“und nach „systemisch­en Härten“. Die ersten drei Kriterien lassen sich wahrschein­lich in eine nachvollzi­ehbare Formel fassen. Was genau „systemisch­e Härten“sind, ist aber noch unklar. Im Gesetz steht dazu nichts drin. Und dass derart unbestimmt­e Rechtsbegr­iffe erst im Nachhinein von den Gerichten präzisiert werden, ist eine Erfahrungs­tatsache.

Es ist also gut möglich, dass die unendliche Geschichte um die Straßenaus­baubeiträg­e auch dann noch nicht zu Ende ist, wenn die Härtefallk­ommission ihre Arbeit beendet und irgendwann im kommenden Jahr alle Rückerstat­tungsbesch­eide verschickt hat. Das letzte Kapitel schreiben wahrschein­lich erst die Verwaltung­sgerichte. Es sieht alles danach aus, dass die Abschaffun­g der Straßenaus­baubeiträg­e für die Freien Wähler kein zweites Mal ein Wahlkampfs­chlager mehr sein wird.

 ?? Symbolfoto: Alexander Kaya ?? Früher wurden Grundstück­seigentüme­r zur Kasse gebeten, wenn marode Straßen ausgebaut wurden. Dann wurden diese Stra‰ ßenausbaub­eiträge abgeschaff­t. Doch nun geht es um Härtefälle – und der Ärger geht immer weiter.
Symbolfoto: Alexander Kaya Früher wurden Grundstück­seigentüme­r zur Kasse gebeten, wenn marode Straßen ausgebaut wurden. Dann wurden diese Stra‰ ßenausbaub­eiträge abgeschaff­t. Doch nun geht es um Härtefälle – und der Ärger geht immer weiter.

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