Bei Anruf Betrug
Prozess Ein Physiker verliert durch Telefonate mit einem falschen Polizisten zehntausende Euro. Wie ihm geht es jedes Jahr vielen Menschen, die auf diese Masche hereinfallen. Die Spur führt diesmal in die Türkei
Augsburg Der Mann im Zeugenstuhl redet schon eine Stunde, lässt kein Detail aus. Er hat eine Botschaft. Durch Anrufe eines falschen Polizisten hat er viel Geld verloren. „Ich will“, sagt er nach seinem Auftritt vor dem Landgericht, „dass die Leute gewarnt sind. Es kann wirklich jedem passieren.“Das stimmt. Die Täter gehen raffiniert vor, bringen auch Akademiker, Lehrer, Ärzte dazu, sich völlig absurd zu verhalten. Auch ihn, der trotz seiner 80 Jahre körperlich wie geistig fit wirkt. Henri Beham (Name geändert) hat ein bewegtes Leben hinter sich. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Physikers und Nobelpreisträgers Rudolf Mößbauer führte es ihn in die USA, dann nach Deutschland zurück. Bis vor wenigen Jahren war er als Kommunalpolitiker in einer Augsburger Stadtrandgemeinde aktiv. Zum Schutz von Angehörigen hat er gebeten, seinen Namen nicht zu nennen.
Für den Physiker beginnt der Krimi, der erst nach einer Woche enden sollte, mit einem Anruf im Festnetz. Der Fremde stellt sich als Oberkommissar der Augsburger Kripo vor, bittet um Mithilfe. Die Polizei wisse von einer osteuropäischen Bande, die in Behams Wohngegend Raubzüge plane. Aus Sicht der Ermittler, so der Anrufer, sei er der ideale Köder, um die Täter hinter Schloss und Riegel zu . Der Rentner, der eine Lebenskrise hinter sich hat, willigt ein. „Ich fühlte mich gebraucht, ich wollte helfen.“
Tag 1: Beham, der dem falschen Kommissar erzählt hat, über wie viel Bargeld er verfügt, wird gebeten, bei seiner Hausbank 35.000 Euro abzuheben. Noch während des Telefonats weist der Angerufene das Geld durch Onlinebanking an, dann fährt er zu seiner Bank. Sein Mobiltelefon steckt eingeschaltet in seiner Jackentasche. Damit, wie der „Oberkommissar“ihm eingeschärft hat, verdeckte Ermittler eingreifen könnten, wenn ihm Gefahr drohe. Ein häufig verwendeter Trick. Denn in Wahrheit wollen die Täter mithören, um die nächsten Schritte ihres Opfers planen zu können. Der „Oberkommissar“hat Beham einen Telefonmitschnitt vorgespielt. Zu hören ist, wie ein Mann mit osteuropäischem Akzent seinen Namen nennt. Es fallen die Worte „dann ist deine Familie tot“.
Der frühere Kommunalpolitiker ist beeindruckt. Er vertraut der Polizei, fühlt sich gut beschützt. Noch am Vormittag hebt Beham die 35.000 Euro ab und fährt zum Botanischen Garten. Am Handy gibt er, wie gewünscht, Seriennummern bestimmter Geldscheine durch, setzt sich in der Carron-du-Val-Straße auf eine Parkbank. Dann wird er aufgefordert: „Verlassen Sie schnell den Gefahrenbereich.“Zurück bleibt der Beutel mit dem Geld. Wieder Zuhause meldet sich der „Oberkommissar“erneut, verpflichtet Beham zu strengstem Stillschweigen. So erfahren weder seine Tochter noch seine Tennisfreunde, was der Physiker gerade erlebt.
Tag 2: Morgens wieder ein Anruf des „Oberkommissars“. Beham erfährt, dass die Täter das Geld nicht abgeholt hätten. Mit seiner Hilfe soll ihnen erneut eine Falle gestellt werden. Der Angerufene hebt 30.000 Euro ab, geht zur Parkbank, lässt einen Beutel mit Geld zurück.
Tag 3: Noch einmal wird der Rentner zu seiner Bank geschickt. Doch der Geldautomat ist defekt, spuckt nur fünf Euro aus. Eine Bankmitarbeiterin kommt zu Hilfe. Am Ende kann der Physiker in zwei Tranchen 32.955 Euro abheben. Dieses Mal soll er zum Eiskanal. Er fährt Umwege, biegt in Seitenstraßen ab, da er sich von einem dunk
BMW verfolgt fühlt. Der „Oberkommissar“hat ihn am Handy vor dem Auto gewarnt, das er hinter sich sieht. Zu Fuß geht Beham zum Kuhsee, stellt an einer Parkbank den mit Geld gefüllten Stoffbeutel ab.
Tag 5 und 6: Die Bande steuerte nach Erkenntnissen der Kripo ihre Opfer und die Geldabholer aus der Türkei. Noch immer ahnt der Physiker nichts, als er ein letztes Mal als Köder dienen soll. An zwei Tagen hebt er 35.000 Euro ab, wird zur Parkbank in der Carron-du-ValStraße gelotst. Doch dieses Mal haben die Täter Pech. Sie setzen einen neuen Mann als Geldabholer ein, doch dieser ist ein Zivilfahnder der Polizei. Dieser übergibt, wie von den Kriminellen angewiesen, die 35.000 Euro einer Frau, die er vor einem Baumarkt in Lechhausen trifft. Die Unbekannte gibt sich zu erkennen, als er sie mit „Blume“, dem Erkennungszeichen, anspricht. Dann wird sie von seinen Kollegen festgenommen.
Die 11. Strafkammer hat die 42-Jährige jetzt zu fast fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Wegen gewerbsund bandenmäßigen Betrugs. Wie sie gestand, hatte ihr jüngerer Bruder, der in der Türkei lebt, sie angestiftet. Dreimal hatte sie das Geld an der Parkbank abgeholt. Nach Erkenntnissen der Kripo steckt ihr Bruder mit einem Komplizen hinter den betrügerischen Anrufen. Wie in der Verhandlung herauskam, hat die Angeklagte von der Beute 35.000 Euro behalten dürfen. „Geld frisst Hirn“, formulierte ihr Verteidiger Klaus Rödl, als er beim Gericht um Milde für seine Mandantin warb. Die 42-Jährige wie ihr Ehemann arbeiteten als Putzkraft. Damit ist es jetzt auch für ihn vorbei, da er in U-Haft auf seinen Prozess wartet. Ihr Mann und ein Juwelier im Raum Frankfurt sollen den Transfer der Gelder in die Türkei organisiert haben.
Allein in Nordschwaben wurden bis Ende November 1200 solcher Betrugsversuche angezeigt. 14 der Angerufenen fielen auf sie herein und verloren ihre Ersparnisse, rund 650.000 Euro. Die Geldabholer tragen in der Bande das größte Risiko, von der Polizei geschnappt zu werden. So endete jetzt beinah zeitgleich vor dem Landgericht ein zweiter Betrugsprozess gegen einen Geldabholer.
Der 25-Jährige (Verteidiger Felix Dimpfl) wurde zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Molen naten verurteilt. Zwei Frauen, ein Ehepaar und ein Mann ließen sich von der Bande täuschen. Sie haben 301.400 Euro an Geld und Schmuck verloren. Henri Beham saß alle Prozesstage als Zuhörer im Gerichtssaal. Er wollte begreifen, was er noch immer nicht versteht. „Wer mich kennt weiß, ich bin extrem vorsichtig.“Der Physiker ist überzeugt, durch Anrufe falscher Polizisten werden weiter viele Leute ihr Geld verlieren.
Wie raffiniert die Täter vorgehen, zeigt der Fall einer Augsburgerin, der im Prozess vor der 7. Strafkammer zur Sprache kam. Die Geschäftsfrau misstraute dem Anrufer, der sich als Jürgen Schneider vom Kommissariat 4 vorstellte. Zweimal rief sie selbst bei der Polizei an. In Wahrheit landeten ihre Anrufe, da die Verbindung manipuliert war, in der Türkei. Auch sie war bereit, der Polizei zu helfen, um Täter zu fangen. Die promovierte Geschäftsfrau fuhr zur Bank, holte Gold und kostbaren Schmuck und ging wie angeordnet in einen Supermarkt. Zwei Kilo Gold und Schmuck lagen in ihrem Auto, das unversperrt auf dem Parkplatz stand. Als sie fünf Minuten später aus dem Laden kam, war sie um 90.000 Euro ärmer.