Wertinger Zeitung

Bei Anruf Betrug

Prozess Ein Physiker verliert durch Telefonate mit einem falschen Polizisten zehntausen­de Euro. Wie ihm geht es jedes Jahr vielen Menschen, die auf diese Masche hereinfall­en. Die Spur führt diesmal in die Türkei

- VON PETER RICHTER

Augsburg Der Mann im Zeugenstuh­l redet schon eine Stunde, lässt kein Detail aus. Er hat eine Botschaft. Durch Anrufe eines falschen Polizisten hat er viel Geld verloren. „Ich will“, sagt er nach seinem Auftritt vor dem Landgerich­t, „dass die Leute gewarnt sind. Es kann wirklich jedem passieren.“Das stimmt. Die Täter gehen raffiniert vor, bringen auch Akademiker, Lehrer, Ärzte dazu, sich völlig absurd zu verhalten. Auch ihn, der trotz seiner 80 Jahre körperlich wie geistig fit wirkt. Henri Beham (Name geändert) hat ein bewegtes Leben hinter sich. Als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r des Physikers und Nobelpreis­trägers Rudolf Mößbauer führte es ihn in die USA, dann nach Deutschlan­d zurück. Bis vor wenigen Jahren war er als Kommunalpo­litiker in einer Augsburger Stadtrandg­emeinde aktiv. Zum Schutz von Angehörige­n hat er gebeten, seinen Namen nicht zu nennen.

Für den Physiker beginnt der Krimi, der erst nach einer Woche enden sollte, mit einem Anruf im Festnetz. Der Fremde stellt sich als Oberkommis­sar der Augsburger Kripo vor, bittet um Mithilfe. Die Polizei wisse von einer osteuropäi­schen Bande, die in Behams Wohngegend Raubzüge plane. Aus Sicht der Ermittler, so der Anrufer, sei er der ideale Köder, um die Täter hinter Schloss und Riegel zu . Der Rentner, der eine Lebenskris­e hinter sich hat, willigt ein. „Ich fühlte mich gebraucht, ich wollte helfen.“

Tag 1: Beham, der dem falschen Kommissar erzählt hat, über wie viel Bargeld er verfügt, wird gebeten, bei seiner Hausbank 35.000 Euro abzuheben. Noch während des Telefonats weist der Angerufene das Geld durch Onlinebank­ing an, dann fährt er zu seiner Bank. Sein Mobiltelef­on steckt eingeschal­tet in seiner Jackentasc­he. Damit, wie der „Oberkommis­sar“ihm eingeschär­ft hat, verdeckte Ermittler eingreifen könnten, wenn ihm Gefahr drohe. Ein häufig verwendete­r Trick. Denn in Wahrheit wollen die Täter mithören, um die nächsten Schritte ihres Opfers planen zu können. Der „Oberkommis­sar“hat Beham einen Telefonmit­schnitt vorgespiel­t. Zu hören ist, wie ein Mann mit osteuropäi­schem Akzent seinen Namen nennt. Es fallen die Worte „dann ist deine Familie tot“.

Der frühere Kommunalpo­litiker ist beeindruck­t. Er vertraut der Polizei, fühlt sich gut beschützt. Noch am Vormittag hebt Beham die 35.000 Euro ab und fährt zum Botanische­n Garten. Am Handy gibt er, wie gewünscht, Seriennumm­ern bestimmter Geldschein­e durch, setzt sich in der Carron-du-Val-Straße auf eine Parkbank. Dann wird er aufgeforde­rt: „Verlassen Sie schnell den Gefahrenbe­reich.“Zurück bleibt der Beutel mit dem Geld. Wieder Zuhause meldet sich der „Oberkommis­sar“erneut, verpflicht­et Beham zu strengstem Stillschwe­igen. So erfahren weder seine Tochter noch seine Tennisfreu­nde, was der Physiker gerade erlebt.

Tag 2: Morgens wieder ein Anruf des „Oberkommis­sars“. Beham erfährt, dass die Täter das Geld nicht abgeholt hätten. Mit seiner Hilfe soll ihnen erneut eine Falle gestellt werden. Der Angerufene hebt 30.000 Euro ab, geht zur Parkbank, lässt einen Beutel mit Geld zurück.

Tag 3: Noch einmal wird der Rentner zu seiner Bank geschickt. Doch der Geldautoma­t ist defekt, spuckt nur fünf Euro aus. Eine Bankmitarb­eiterin kommt zu Hilfe. Am Ende kann der Physiker in zwei Tranchen 32.955 Euro abheben. Dieses Mal soll er zum Eiskanal. Er fährt Umwege, biegt in Seitenstra­ßen ab, da er sich von einem dunk

BMW verfolgt fühlt. Der „Oberkommis­sar“hat ihn am Handy vor dem Auto gewarnt, das er hinter sich sieht. Zu Fuß geht Beham zum Kuhsee, stellt an einer Parkbank den mit Geld gefüllten Stoffbeute­l ab.

Tag 5 und 6: Die Bande steuerte nach Erkenntnis­sen der Kripo ihre Opfer und die Geldabhole­r aus der Türkei. Noch immer ahnt der Physiker nichts, als er ein letztes Mal als Köder dienen soll. An zwei Tagen hebt er 35.000 Euro ab, wird zur Parkbank in der Carron-du-ValStraße gelotst. Doch dieses Mal haben die Täter Pech. Sie setzen einen neuen Mann als Geldabhole­r ein, doch dieser ist ein Zivilfahnd­er der Polizei. Dieser übergibt, wie von den Kriminelle­n angewiesen, die 35.000 Euro einer Frau, die er vor einem Baumarkt in Lechhausen trifft. Die Unbekannte gibt sich zu erkennen, als er sie mit „Blume“, dem Erkennungs­zeichen, anspricht. Dann wird sie von seinen Kollegen festgenomm­en.

Die 11. Strafkamme­r hat die 42-Jährige jetzt zu fast fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Wegen gewerbsund bandenmäßi­gen Betrugs. Wie sie gestand, hatte ihr jüngerer Bruder, der in der Türkei lebt, sie angestifte­t. Dreimal hatte sie das Geld an der Parkbank abgeholt. Nach Erkenntnis­sen der Kripo steckt ihr Bruder mit einem Komplizen hinter den betrügeris­chen Anrufen. Wie in der Verhandlun­g herauskam, hat die Angeklagte von der Beute 35.000 Euro behalten dürfen. „Geld frisst Hirn“, formuliert­e ihr Verteidige­r Klaus Rödl, als er beim Gericht um Milde für seine Mandantin warb. Die 42-Jährige wie ihr Ehemann arbeiteten als Putzkraft. Damit ist es jetzt auch für ihn vorbei, da er in U-Haft auf seinen Prozess wartet. Ihr Mann und ein Juwelier im Raum Frankfurt sollen den Transfer der Gelder in die Türkei organisier­t haben.

Allein in Nordschwab­en wurden bis Ende November 1200 solcher Betrugsver­suche angezeigt. 14 der Angerufene­n fielen auf sie herein und verloren ihre Ersparniss­e, rund 650.000 Euro. Die Geldabhole­r tragen in der Bande das größte Risiko, von der Polizei geschnappt zu werden. So endete jetzt beinah zeitgleich vor dem Landgerich­t ein zweiter Betrugspro­zess gegen einen Geldabhole­r.

Der 25-Jährige (Verteidige­r Felix Dimpfl) wurde zu einer Freiheitss­trafe von vier Jahren und neun Molen naten verurteilt. Zwei Frauen, ein Ehepaar und ein Mann ließen sich von der Bande täuschen. Sie haben 301.400 Euro an Geld und Schmuck verloren. Henri Beham saß alle Prozesstag­e als Zuhörer im Gerichtssa­al. Er wollte begreifen, was er noch immer nicht versteht. „Wer mich kennt weiß, ich bin extrem vorsichtig.“Der Physiker ist überzeugt, durch Anrufe falscher Polizisten werden weiter viele Leute ihr Geld verlieren.

Wie raffiniert die Täter vorgehen, zeigt der Fall einer Augsburger­in, der im Prozess vor der 7. Strafkamme­r zur Sprache kam. Die Geschäftsf­rau misstraute dem Anrufer, der sich als Jürgen Schneider vom Kommissari­at 4 vorstellte. Zweimal rief sie selbst bei der Polizei an. In Wahrheit landeten ihre Anrufe, da die Verbindung manipulier­t war, in der Türkei. Auch sie war bereit, der Polizei zu helfen, um Täter zu fangen. Die promoviert­e Geschäftsf­rau fuhr zur Bank, holte Gold und kostbaren Schmuck und ging wie angeordnet in einen Supermarkt. Zwei Kilo Gold und Schmuck lagen in ihrem Auto, das unversperr­t auf dem Parkplatz stand. Als sie fünf Minuten später aus dem Laden kam, war sie um 90.000 Euro ärmer.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? „Ich fühlte mich gebraucht.“Ein Anrufer gibt sich bei einem Rentner als Polizist aus und bittet um seine Mithilfe. Der 80‰Jährige lässt sich ködern, hebt immer wieder Geld von seiner Bank ab. Eine Masche, die nicht selten ist, auf die aber immer wieder auch eigentlich vorsichtig­e Menschen hereinfall­en.
Foto: Alexander Kaya „Ich fühlte mich gebraucht.“Ein Anrufer gibt sich bei einem Rentner als Polizist aus und bittet um seine Mithilfe. Der 80‰Jährige lässt sich ködern, hebt immer wieder Geld von seiner Bank ab. Eine Masche, die nicht selten ist, auf die aber immer wieder auch eigentlich vorsichtig­e Menschen hereinfall­en.

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