Wenn die Fans die Klubs verlassen
Fußball Den Vereinen fehlen nicht nur Eintrittsgelder. Immer mehr Anhänger verlieren das Interesse. Daraus folgen Verluste beim Merchandising und die bange Frage: Bleibt das so?
Köln/Freiburg Als alles noch normal war, richtete Helen Breit ihr Wochenende wie viele andere Fans nach dem Spielplan der Bundesliga aus. Wenn der SC Freiburg spielte, egal ob im heimischen Schwarzwald-Stadion oder auswärts, war die 33-Jährige dabei. In Zeiten von Corona und Geisterspielen jedoch fühle es sich an wie eine „ewige Sommerpause“. Manchmal, so stelle sie mit Erschrecken fest, wisse sie gar nicht, wann der SC spiele. Fußball ist dem Vorstandsmitglied der Fanvereinigung „Unsere Kurve“nicht mehr ganz so wichtig. Die Entfremdung vom Fußball – ja, die gebe es, sagte die Sprecherin der Interessenvertretung: „Die Frage ist: Ist es etwas Dauerhaftes oder hängt es nur mit der Corona-Krise zusammen und damit, dass man Fußball überhaupt nicht mehr im Stadion erleben kann?“
Fanforscher Harald Lange prophezeite aber jetzt schon, dass sich die Fans „millionenfach“abwenden werden. Die Aktualität wirkt dem nicht entgegen. Dass statt einer weitgehenden Reform bei der NeuVerteilung der TV-Gelder ab 2021/22 am Montag nur eine MiniReform heraussprang, stößt aktiven Fans sauer auf. Und grundsätzlich haben viele wenig Verständnis dafür, dass die Bundesliga und anderer Profisport in Zeiten von verschärften Kontaktbeschränkungen im Dezember fortgesetzt wird. In einer YouGov-Umfrage antworteten 49 der Befragten darauf:
„Nein.“
Bemerkenswert ist, dass selbst Arminia Bielefeld, erstmals seit elf Jahren wieder Erstligist, die Entfremdung spürt. „Wir haben extreme Rückgänge im MerchandisingBereich und setzen als Bundesligist weniger um als im Zweitliga-Jahr“, räumte Sportchef Samir Arabi in der TV-Sendung „Sky90“ein. Obwohl die Arminia nun gegen Bayern statt Aue spielt, verkauft sie also weniger Trikots, Kaffeebecher oder Bettwäsche. Das Merchandising macht im Einnahme-Mix der Bundesliga bisher den kleinsten Teil aus. Im DFLReport entsprechen 176 Millionen Euro 4,4 Prozent.
„Wir reden schon von einem substanziellen Faktor“, sagte allerdings der Kölner Sportökonom Christoph Breuer. „Momentan fallen ja die Spieltagseinnahmen weg – umso wichtiger wären eigentlich Merchandising-Einnahmen, um die Gesamteinnahmen stabil zu halten.“Je mehr sich Menschen mit einem Klub verbunden fühlen, desto eher seien sie bereit, dafür Geld auszugeben. Ein Grund für einen möglichen Rückgang seien Geisterspiele – diese seien aber nur ein Faktor neben dem sportlichen Erfolg. „Im Siegestaumel ist die Kaufbereitschaft im Stadion, wenn man emotionalisiert ist und die Atmosphäre miterlebt hat, für Merchandising-Produkte deutlich höher, als wenn man zu Hause sitzt und überlegt, was man online shoppen könnte“, sagte Breuer.
Der FC Schalke 04 weist im ersProzent ten Halbjahr 2020 fast eine Million Euro weniger Umsatz im Merchandising aus, steckt aber auch in einer Dauerkrise. Freiburg verzeichnet trotz Corona-Krise sogar einen leicht gestiegenen Umsatz gegenüber 2019. „Es ist davon auszugehen, dass in der Liga insgesamt die Merchandising-Verkäufe rückläufig sein werden“, prophezeite Breuer. Schließlich gelinge es durch Geisterspiele im Fernsehen nur eingeschränkt, die Fans zu emotionalisieren. „Jetzt hat man das Gefühl, es kann niemand Teil des Ganzen sein. Der Fußball ist exklusiv“, sagte Breit. Sie erklärte: „Es verschieben sich die Prioritäten.“Die Frage sei, ob Fußball künftig „noch Priorität eins bis drei oder Priorität sieben bis zehn hat.“