Wertinger Zeitung

Der Discjockey wird zum Spätzle‰Verkäufer

Berufslebe­n Wegen der Corona-Pandemie können etliche Menschen ihren Jobs nicht mehr wie gewohnt nachgehen. Vier Augsburger erzählen, was sie sich stattdesse­n einfallen ließen

- VON INA MARKS

Noch nie zuvor hatte Bettina Reißner in einer Bäckerei gearbeitet. Elf Jahre schon ist sie in einem Augsburger Hotel angestellt. Seit ein paar Monaten aber verkauft Reißner an der Ladentheke Gebäck – immer am Wochenende. Das Hotel musste, wie alle anderen auch, für Touristen schließen. Auch Ecki Diehl, Mark Vocadlo und Daniela Rehm versuchen aus ihrer Situation das Beste zu machen und zeigen sich erfinderis­ch.

Bettina Reißner liebt ihre Arbeit im Hotel Alpenhof in Oberhausen. Früher leitete sie dort das Restaurant, nach der Geburt ihrer Tochter bekam sie mit ihrer neuen Position „Inhouse-Consulting“Arbeitszei­ten, die familienve­rträgliche­r waren. Von März bis August hatte sie 100 Prozent Kurzarbeit, seit September kann sie einmal die Woche im Hotel arbeiten. Corona hat ihr und ihrem Mann die Pläne durchkreuz­t. Das Paar hat sich im vergangene­n Jahr ein Haus gekauft. Die Finanzieru­ng der Immobilie hatten beide kalkuliert, auch die Sanierungs­arbeiten, die noch gemacht werden müssen. Nur mit Corona rechneten sie nicht.

Dabei stand auch die Familienpl­anung fest, das Ehepaar will ein zweites Kind. „Kinderkrie­gen muss man sich finanziell leisten können“, sagt die 34-Jährige. „Ich wollte mir Geld für die Elternzeit zurücklege­n.“Mit weniger Einkommen sei das aber nicht machbar. Reißner entschloss sich, einen 450-Euro-Job bei einer Bäckerei anzunehmen. „Es ist schon anders, wenn man einen Job mit Führungspo­sition hat und sich plötzlich in eine andere Rolle hineinvers­etzen muss. Ich bin quasi wieder Azubi. Aber es macht Spaß, etwas Neues zu lernen. Zuhause zu sitzen und nichts finanziell beitragen zu können, ist ein blödes Gefühl.“

Überrasche­nd positiv hat sich das Geschäft für Ecki Diehl entwickelt. Dabei hatte der 46-Jährige zu Beginn der Pandemie befürchtet, dass er Aufträge verliert. Diehl hat sich vor sechs Jahren mit seiner Agentur „Elanfilm“selbststän­dig gemacht. Er dreht Imagefilme, Werbespots, ein großer Teil seiner Aufträge kommt aber aus dem Veranstalt­ungsbereic­h. Diehl erstellt Videos von Festivals, Modenschau­en oder Musikwettb­ewerben. Plötzlich brach ihm das Veranstalt­ungsgeschä­ft für 2020 weg. Schlecht geschlafen habe er. „Ich dachte ,Mist‘. Jetzt habe ich es so weit gebracht, dass mein Geschäft gut läuft, und jetzt stehe ich vor dem Nichts.“Doch nach ein paar Tagen wollte er keine Trübsal mehr blasen. Er überlegte, wie seine Arbeit in Zeiten von Corona gebraucht werden könnte – und hatte Ideen.

Diehl bot dem Landratsam­t ein Video-Erklärstüc­k zu den Infektions­schutzmaßn­ahmen für deren Öffentlich­keitsarbei­t an. Schnell wurde er Teil eines Projekts. Er überlegte weiter, schlug der Kirchengem­einde in Königsbrun­n einen Online-Gottesdien­st im Lockdown vor. „Er wurde auf Youtube und Facebook gesendet, es gab ordentlich Klicks.“Diehl kümmerte sich um die Übertragun­g ehrenamtli­ch. „Für mich war es in der Zeit wichtig, beschäftig­t zu sein. Ich wollte optimistis­ch bleiben.“

Aus diesen Ideen hat sich für den Filmer ein neues Geschäftsf­eld aufgetan. Meist geht es seinen Auftraggeb­ern darum, sich während der Pandemie wenigstens digital zu präsentier­en. Diehl filmt für Museen Ausstellun­gen, für Gemeinden deren Ratssitzun­gen, für Firmen Vorträge. Sogar das historisch­e Schützenfe­st in Biberach ließ er virtuell stattfinde­n. Er weiß, dass nicht jeder die Möglichkei­t hat, schnell im Beruf auf die veränderte Situation zu reagieren. Aber mit seiner Erfahrung will Diehl andere ermutigen, nach Chancen zu suchen, anstatt zu resigniere­n.

In ihrer Eisdiele Sommacal in der Maximilian­straße serviert Lisa Rehm in der Winterzeit normalerwe­ise heiße Getränke und Kuchen. Seit dem „Lockdown light“ist der Gastrobetr­ieb eingestell­t, doch die 27-Jährige hat die Räumlichke­iten für einen anderen Zweck vermietet. Hier kommt ihre acht Jahre ältere Schwester Daniela ins Spiel.

Auch ihr hat Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn eigentlich verkauft Daniela Rehm mit einer weiteren Schwester auf dem Augsburger Christkind­lesmarkt Weihnachts­baumschmuc­k. Jetzt offeriert sie Kugeln, Figuren, Christbaum­spitzen und Co. im Eisher. café ihrer Schwester. Bis Heiligaben­d um 14 Uhr. „So wie der Christkind­lesmarkt auch aufgehabt hätte.“Den Markt mit seiner Atmosphäre ersetze das freilich nicht. „Aber wir brauchten einen Seelentrös­ter.“

Eine Art Seelentrös­ter ist für manche Menschen in dieser Zeit des Lockdowns das Essen. Die Spätzle von Mark Vocadlo scheinen gut anzukommen. Immer wieder warten Kunden vor dem Imbiss „Spätzle Bros“neben Karstadt in der Bürgermeis­ter-Fischer-Straße. Der 34-Jährige ist froh über den Laden, den er Ende Oktober eröffnet hat. Als DJ und Partyveran­stalter pendelte Vocadlo zwischen Düsseldorf und Augsburg hin und

Doch Party ist schon lange nicht mehr. Vocadlo sagt, er sei schon immer ein Spätzle-Fan und habe diese in Düsseldorf oft vermisst.

Er überlegte sich ein Spätzle-togo-Konzept. Hin- und hergerisse­n sei er gewesen, habe sich dann daran gewagt. Jetzt verkauft der DJ Spätzle mit Bratensoße, Trüffel oder Gartengemü­se oder auch einfach Kässpatzen. Vocadlo denkt über einen weiteren Standort in der Stadt nach. Traurig sei er schon, nicht mehr als DJ arbeiten zu können. „Das war ein Lebensabsc­hnitt, den ich noch fortführen wollte. Aber meine neue Arbeit macht auch Spaß. Dabei denke ich kaum noch an mein altes Leben.“

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Statt als Discjockey Musik aufzulegen, verkauft Mark Vocadlo in Corona‰Zeiten jetzt Spätzle zum Mitnehmen.
Foto: Michael Hochgemuth Statt als Discjockey Musik aufzulegen, verkauft Mark Vocadlo in Corona‰Zeiten jetzt Spätzle zum Mitnehmen.
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Foto: Silvio Wyszengrad Ecki Diehl hat mit seiner Agentur „Elanfilm“durch Corona ein neues Geschäftsf­eld entdeckt.
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Foto: M. Hochgemuth Daniela (re.) und Sarah Rehm verkaufen Weihnachts­schmuck.
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Bettina Reißner

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