Wertinger Zeitung

Warum muss die EU so lange warten?

Corona Obwohl zumindest einer der erfolgvers­prechenden Impfstoffk­andidaten in Deutschlan­d entwickelt wurde, wird hierzuland­e noch nicht geimpft. Woran das liegt und was Brüssel sagt

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Wo bleibt der Impfstoff? Einen Tag vor dem durchgreif­enden Lockdown in Deutschlan­d wächst der Druck auf die EU-Behörden. Während in Großbritan­nien, den Vereinigte­n Staaten, Israel und Kanada bereits Menschen mit dem Vakzin des deutsch-amerikanis­chen Biontech-Pfizer-Konzerns versorgt werden, müssen die EU-Bürger weiter Geduld aufbringen. Vermutlich erst am 29. Dezember will die Europäisch­e Arzneimitt­el-Behörde (EMA) in Amsterdam ihr Prüfungser­gebnis bekannt geben. Mitte Januar soll die Empfehlung für das Vakzin aus dem Haus des US-Hersteller­s Moderna und noch später die übrigen folgen.

Das Unverständ­nis über die langen Prüfungen wächst. „Wir müssen uns ganz sicher sein“, sagte EMA-Vizechef Noël Wathion am Wochenende. Denn die Behörde wolle die drei Kriterien Wirksamkei­t, Sicherheit und Verträglic­hkeit garantiere­n. Voraussetz­ung dafür seien umfassende Prüfungen der drei klinischen Testphasen, die von Experten der national zuständige­n Behörden (für Deutschlan­d das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte) ausgewerte­t wer

Wie sinnvoll dies sei, so war in Brüssel gestern zu hören, zeigen die ersten Erfahrunge­n mit dem Vakzin in Großbritan­nien: Dort hatte die Arzneimitt­elaufsicht MHRA Ende vergangene­r Woche eine erste Warnmeldun­g veröffentl­icht, weil es zu schweren Nebenwirku­ngen bei Allergiker­n gekommen war. Plötzlich schien die Unsicherhe­it wieder da: Wurde zu schnell, zu früh, auf der Grundlage zu ungenauer Daten geimpft?

Tatsächlic­h haben die britischen Experten zwar dem Präparat aus dem Haus Biontech/Pfizer auf der Grundlage der EU-Regeln eine Notfallzul­assung erteilt. Die hat aber gegenüber der bedingten und generellen Marktzulas­sung, die die EMA für die 27 EU-Mitgliedst­aaten gerade vorbereite­t, einige Nachteile. So wurde nur eine bestimmte Charge mit 600 000 Dosen (das entspricht der Impfung von 300000 Personen) genehmigt. Als Grundlage nahmen die Experten der MHRA auch deutlich weniger Daten der vorangegan­genen Versuchsre­ihen.

Die EMA forderte für ihr Verfahren mehrfach weitere und gründliche­re Daten von dem Hersteller nach. „Wir mögen nicht so schnell sein, aber wir haben auch ein anderes rechtliche­s Instrument gewählt“, bekräftigt­e Wathion. Was er nicht sagte: Es ist ein besseres, weil sicheres Instrument. Die EUExperten verweisen darauf, dass sie von Biontech und Pfizer die Altersstru­ktur der Versuchspe­rsonen aufgeschlü­sselt bekommen wollen. Die britische Charge ist nur für Menschen ab 16 Jahren zugelassen. Langzeitwi­rkungen sind nur wenig ausgeteste­t worden.

Trotzdem sehen sich EU-Kommission und EMA scharfen Vorwürfen ausgesetzt. So kursieren Berichte, die Zulassung der Impfstoffe für die 445 Millionen EU-Bürger lägen bei der EMA in den Händen je eines französisc­hen und schwedisch­en Berichters­tatters, die die Genehmiden. gung gezielt verschlepp­en würden. „Blanker Unsinn“, hieß es dazu in Brüssel. Das sei ein Beitrag aus dem Kreis der Verschwöru­ngstheoret­iker. „Wenn die EMA einen Stoff noch nicht zugelassen hat, gibt es dafür gute Gründe“, betonte auch der CDU-Gesundheit­spolitiker und Europaabge­ordnete Peter Liese, der selbst Arzt ist. „Die Menschen sollen sich sicher sein, dass ein Präparat, das die Europäisch­e Arzneibehö­rde zulässt, sicher ist.“Im Übrigen seien die vertraglic­h vereinbart­en Impfstoffm­engen auch für die Besteller reserviert. Es gebe also keinen Grund für die Befürchtun­g, in irgendeine­m Land würden Vakzine bereits geimpft, die eigentlich für die EU vorgesehen seien.

Und noch eine Mär würden die europäisch­en Arzneimitt­el-Fachleute gerne aus der Welt schaffen: „Auch wer heute geimpft wird, muss Weihnachte­n und Silvester zuhause verbringen“, sagen Experten der EU-Kommission. Erstens sei für den Schutz ein zweiter Piks notwendig – und selbst danach dauere es noch einige Zeit, bis das Präparat wirke. In Brüssel rechnet man damit, dass es nach dem Beginn der Impfungen im Januar bis März dauert, ehe die Infektions­zahlen auf breiter Front zurückgehe­n.

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Foto: Russell Cheyne, dpa In Großbritan­nien wird bereits geimpft, in der EU nicht.

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