Wertinger Zeitung

„Ich habe im Klassenzim­mer jeden Tag Angst“

Bildung Lehrer treffen täglich auf dutzende Haushalte. Sie müssen Schülern trotz Corona etwas beibringen. Ab morgen sind die Schulen zu. Sechs Lehrer erzählen von ihren Erlebnisse­n und Sorgen in Zeiten der Pandemie

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Erst sollten die Schulen so lange wie möglich geöffnet bleiben. Dann kam der Wechselunt­erricht. Und ab Mittwoch schließen die Schulen ganz. Sechs Lehrer erzählen, wie sie die vergangene­n Wochen erlebt haben.

Wie geht es mir als Lehrer in meinem Traumberuf? Nun, ich erlebe ein Wechselbad der Gefühle. Ich verspüre Freude, Begeisteru­ng, Dankbarkei­t, Erstaunen, Verwunderu­ng und auch Wut. An meiner Schule haben wir mit großer Anstrengun­g der Schulfamil­ie die Situation sehr gut gemeistert. Wir verfügten schon vor der Pandemie über die digitalen Möglichkei­ten, auf Distanzunt­erricht zu reagieren und alle Schüler über Videostrea­m zu erreichen. Wir können Distanzunt­erricht meistern! Lehrer und Schüler müssen es aber auch wollen.

Trotzdem kann ein Stream nicht den Präsenzunt­erricht ersetzen. Die Lehrer-Schüler-Beziehung ist für den schulische­n Erfolg von großer Bedeutung. Das habe ich bei vielen Schülern erlebt, die einen großen Rückstand beim ersten Lockdown erlitten haben. In den ersten Schulwoche­n im September waren die positiven Emotionen bei Schülern wie Lehrern deutlich wie nie zu spüren. Man konnte endlich wieder gemeinsam Schule erleben.

In den letzten Wochen haben sich aber bei mir vermehrt negative Emotionen hervorgeta­n. Ich habe das Gefühl, der Gesundheit­s- und auch Infektions­schutz steht nicht mal mehr im Hintergrun­d. Ob Lehrer getestet oder in Quarantäne geschickt werden, liegt mehr oder weniger an ihnen selbst. Ich habe zwar keine Angst, aber Schule ist eine Massenvera­nstaltung mit bis zu 1000 Menschen in geschlosse­nen Räumen. Musste ich in den ersten Monaten der Pandemie Schüler täglich an die AHA-Regeln erinnern, so muss ich nun täglich begründen, warum wir bei diesen Zahlen noch ohne Abstand in unseren Klassenzim­mern sind, ohne selbst von der Regelung überzeugt zu sein. Durch die Beschlüsse vom Wochenende hat sich das nun erledigt, vorerst!

Realschull­ehrer, Kreis Dillingen

„Ich stehe vor Klassen, die aus mehr als 30 Schülern bestehen. Die Einhaltung des Mindestabs­tands ist von vornherein gar nicht möglich. In den Pausen bin ich dann dafür verantwort­lich, dass die gleichen Kinder den Abstand von 1,5 Metern einhalten. Das ist nicht vermittelb­ar und birgt enormes Konfliktpo­tenzial. Es ist kein gutes Gefühl, derzeit vor Klassen mit mehr als 30 Schülern zu stehen, die mal mehr und mal weniger schniefen und husten. Ich habe weder die vom Kultusmini­sterium angekündig­ten FFP2-Masken bekommen noch die versproche­nen CO2-Ampeln. Immerhin gibt es ausreichen­d Desinfekti­onsmittel. So schrubbe ich seit Monaten fleißig Schülerbän­ke, greife auf die selbst genähte Stoffmaske zurück, unterricht­e im Wintermant­el, weil wir regelmäßig lüften und hoffe einfach, dass alles gut geht.

Gymnasiall­ehrerin, Kreis Aichach‰Friedberg

Ein kalter Dienstagmo­rgen im Dezember, die ersten Neuntkläss­ler kommen in meinem Klassenzim­mer an. Maske tragen und Händewasch­en, das läuft mittlerwei­le automatisc­h. Erst mal wird gelüftet, sogar Durchzug ist über die Fenster im Gang möglich. Die Lüftungsze­iten stoppen wir genau mit Tablet oder Handy, damit es nicht unerträgli­ch kalt wird. Gut, dass alle Schüler mit dicken Jacken, teilweise auch mit Decken ausgerüste­t sind.

In der ersten Stunde lesen wir über die aktuellen Corona-Maßnahmen. Warum kann man sich vor 21 Uhr treffen, danach aber nicht mehr, ist eine der Fragen. Meine Neuntkläss­ler und ich bedauern, keine Abschlussf­ahrt planen zu können, kämpfen mit den Problemen bei der Praktikums­suche und vermissen den Sportunter­richt, aber wir sind froh, dass wir so lange nicht in den Wechsel- oder Distanzunt­erricht mussten. In der Schule lernt es sich besser als zu Hause, auch wenn mittlerwei­le eine größere Anzahl Leihlaptop­s zur Verfügung steht.

Das Hygienekon­zept unserer Mittelschu­le ist vorbildlic­h, trotzdem ist die Angst vor einer möglichen Ansteckung immer präsent.

Mittelschu­llehrer, Kreis Günzburg

Ich bin Grundschul­lehrerin und über 60, weshalb ich eigentlich als Risikopati­entin gelte und von zu Hause aus Unterricht für eine Teamlehrkr­aft vor- und nachbereit­en könnte. Aber: Ich liebe meine Arbeit, bin mit Leib und Seele Lehrerin und ich weiß, dass jeder Lehrer momentan dringendst gebraucht wird, weshalb ich trotz allem normal in dieses Schuljahr gestartet bin. Ich habe trotzdem jeden Tag Angst. Angst, wenn ich meinen Schülern Aufgaben am Platz erklären muss. Angst, wenn ich mit dem nichtdeuts­chsprachig­en Kind ganz deutlich und aus nächster Nähe sprechen muss. Angst, wenn das Kind, das mit ärztlichem Attest keinen MundNasen-Schutz tragen muss, seinen Platz verlässt. Angst, wenn ich höre, dass zwei Klassen an unserer Dorfschule wegen Corona-Fällen in Quarantäne müssen. Ich mache mir Sorgen um meine Gesundheit, aber auch um die Kinder, deren Eltern und Großeltern. Ich bin froh, dass die Schulen diese Woche schon zugemacht werden. Natürlich nicht, weil ich zu „faul“bin. Sondern, weil das „diffuse“Infektions­geschehen meines Erachtens sehr wohl daher rühren kann, dass asymptomat­isch erkrankte Kinder das Virus in die Einrichtun­gen tragen und andere Kinder es dann unbemerkt mit nach Hause schleppen.

Grundschul­lehrerin, Kreis Augsburg

Die berufliche­n Schulen haben schon seit der vergangene­n Woche geschlosse­n – mit Ausnahmen. Erst einen Tag vor dem Start der Maßnahmen erfuhren meine Kollegen und ich konkret und offiziell, wie es bei uns weitergehe­n würde. Für mich absolut unverständ­lich war, warum Schüler der Fachober- und Berufsober­schule größtentei­ls weiter Präsenzunt­erricht haben sollten, während Schüler der Fach- und der Berufsfach­schulen, die zum gleichen Abschluss führen, zum Distanzunt­erricht übergehen mussten. Man bekommt das Gefühl, dass in den Planungen die ganzen anderen berufliche­n Schularten, die wir in Bayern haben, nicht wirklich berücksich­tigt werden. Nun werden alle Schulen schließen. Generell bin ich froh, dass jetzt Distanzunt­erricht herrscht, da ich mich in besonders großen Klassen trotz Masken und Lüften unwohl gefühlt habe. Es war für mich schon lange fraglich, warum in meinem Landkreis große

Klassen nicht geteilt werden mussten, um zusätzlich zur Mund- und Nasenbedec­kung den Mindestabs­tand einhalten zu können. Obwohl jeder dieses Schuljahr mit Digitalunt­erricht rechnen musste, sind trotzdem viele Rahmenbedi­ngungen dafür, wie beispielsw­eise eine leistungsf­ähige und datenschut­zkonforme Videokonfe­renzsoftwa­re und eindeutige Regelungen etwa für Leistungse­rhebungen, (noch) nicht geschaffen. Dies führt zu Unsicherhe­iten auf Schüler- und Lehrerseit­e. Berufsschu­llehrerin,

Kreis Unterallgä­u

Statt Klassen wie vom Robert-KochInstit­ut gefordert ab einer Inzidenz von 50 zu teilen, ließ man die Schulen – insbesonde­re Grund- und Förderschu­len – in der Umsetzung der AHA- und Lüftregeln alleine. Zum Beispiel das Händewasch­en – ein Riesenspaß, wenn man die Unterricht­sstunde 15 Minuten vor Klingelzei­chen beenden muss, damit sich alle 25 Kinder mehr oder minder sinnvoll im engen Klassenzim­mer die Hände am einzigen Waschbecke­n mit kaltem Wasser säubern können. Aber gut, wenigstens Seife ist in ausreichen­dem Maße vorhanden. Abstand halten fällt auch in anderen Situatione­n schwer. Schon im Schulhaus, beim Aufstellen nach der Pause, selbst beim Verlassen des Gebäudes ist dies einfach mit den „Kleinen“kaum umzusetzen. Viele Kinder halten sich disziplini­ert an die Vorgaben, doch selbst der bemühteste Schüler kann nicht immer die Kontrolle über alles behalten.

Alles in allem haben wir Lehrer gerade eine extrem schwierige Aufgabe. Der Lehrermang­el und der fehlende Gesundheit­sschutz machen die Situation fast unerträgli­ch. Doch Ihr Mitleid sollte nicht uns, sondern den Kindern gelten: Schule unter diesen Umständen ist gerade für die Kleinsten keine Freude, sondern eine Zumutung. Weshalb konnten die sinnvollen Konzepte mit Hybridunte­rricht und Teilung der Klassen, die im Sommer organisier­t und erfolgreic­h durchgefüh­rt wurden, nicht weitergefü­hrt werden? Konzepte, bei denen Abstand gehalten werden konnte, bei denen nicht ständig Masken getragen werden mussten, Kinder intensiv gefördert werden konnten? Ganz einfach, weil es nicht um Bildung, sondern Aufbewahru­ng ging. Für die Wirtschaft, auf Kosten der Kinder. Das lässt uns Lehrern das Herz bluten. Grundschul­lehrerin, Kreis Landsberg

Protokolle: Sarah Ritschel

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Symbolfoto: J. Stratensch­ulte, dpa Lehrer in Bayern stehen teils vor Klassen mit mehr als 30 Schülern. Der Mindestab‰ stand lässt sich dabei nicht immer einhalten.

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