Inferno vor Weihnachten
Gedenken Vor 60 Jahren touchiert ein Flugzeug einen Kirchturm in München und stürzt mitten in der Innenstadt ab. 52 Menschen sterben. Erinnerungen an ein dramatisches Unglück, das nicht das erste dieser Art in der Landeshauptstadt war
München Dichter Nebel hängt über der Stadt, als die zweimotorige Maschine der United States Air Force am 17. Dezember 1960 um 14.05 Uhr vom Flughafen München-Riem abhebt. An Bord sind sieben CrewMitglieder und 13 Zivilisten, Studenten der Maryland-Universität. Das Flugzeug steuert einen RoyalAir-Force-Stützpunkt im Westen Londons an, von dort aus wollen die Passagiere zum Weihnachtsurlaub in die amerikanische Heimat weiterfliegen. Doch bereits nach wenigen Minuten wird klar, dass sie dort nie ankommen werden.
Bereits vor dem Start gibt es Probleme. Wie Techniker später berichteten, musste der linke Motor repariert werden. Die Maschine startet trotzdem, aufgetankt mit 6000 Litern Kerosin. Eine Minute später fällt der reparierte Motor aus, die Maschine verliert an Höhe. Später stellt sich heraus, dass sich Wasser in der Kraftstoffpumpe des linken Triebwerks angesammelt hatte. Eis kann Einlassventile blockieren und so ein Absterben des Motors bewirken.
Der Pilot entschließt sich, umgehend zurückzukehren und schwenkt im Blindflug in eine Rechtskurve, die Instrumente zeigen eine Flughöhe von nur 150 Metern. Und es verliert weiter an Höhe. Um 14.09 Uhr passiert die Katastrophe. Das Flugzeug touchiert mit einer Tragfläche das goldglänzende Kreuz des 97 Meter hohen Turms der SanktPaul-Kirche. Die Maschine gerät ins Trudeln, ein Teil des Flügels reißt ein Loch in ein Hausdach. Der Großteil der Trümmer fällt auf eine Kreuzung nördlich des Oktoberfestgeländes. Eine voll besetzte Straßenbahn fährt vorbei, als einer der herabstürzenden Motoren einen Waggon trifft und von den Schienen stößt. Treibstoff ergießt sich in die Tram und entzündet den Wagen explosionsartig. Eine meterhohe Feuerwand lodert gen Himmel, aus dem Hölleninferno steigen riesige Rauchwolken auf.
Die Detonation des Aufschlags erschüttert das ganze Stadtviertel. Hermann Streber, damals Kaplan in der St.-Paul-Kirche, macht gerade
Mittagspause. „Ich hörte ein tiefes Brummen und dann den Anprall, ich bin zum Fenster gesaust und sah auf der Straße überall Trümmer liegen“, erinnert er sich später.
Die Notrufe in den Einsatzzentralen von Polizei und Feuerwehr überschlagen sich. Die Straße ist übersät mit verkohlten Leichen und brennenden Trümmerteilen. Der Verkehr staut sich und blockiert die Zufahrt für die herbeieilenden Lösch- und Rettungswagen. Gaffer strömen hinzu, kesseln den Unglücksort
regelrecht ein. Obwohl der Brand von der Feuerwehr München innerhalb von 30 Minuten gelöscht werden konnte, kommt für die 20 Flugzeuginsassen und 32 Fahrgäste in der Straßenbahn jede Hilfe zu spät. Mehr als 100 Verletzte müssen mit teilweise schweren Verbrennungen in umliegende Krankenhäuser transportiert werden.
Am nächsten Tag ist das Kreuz auf der Turmspitze der Sankt-PaulKirche in einem schiefen Winkel nach Norden umgebogen. Vor dem ehemaligen Pschorrkeller liegt das Flugzeugwrack. Rußspuren markieren den Weg des verbrannten Benzins bis zur Tramhaltestelle. Der ausgebrannte Straßenbahnanhänger steht als stummer Zeuge der Katastrophe noch dort. Der Anblick erinnert die Münchner an einen Flugzeugabsturz, der sich erst zwei Jahre zuvor in Riem ereignet hatte.
Am 6. Februar 1958 stürzte eine Maschine von British Airways auf dem Weg nach Manchester über München ab. In der Kabine saßen die Spieler der Fußballmannschaft Manchester United, die von Fans und Sportjournalisten begleitet wurden. 44 Passagiere waren an Bord, 23 kamen ums Leben, 21 wurden verletzt, nachdem das Flugzeug beim Startversuch wegen Schneeglätte von der Startbahn abkam und explodierte.
In den 60er-Jahren dann zog die Stadt München Konsequenzen aus beiden Unglücken: 1962 schaffte sie für die Feuerwehr Trockentanklöschfahrzeuge mit je 750 Kilogramm Löschpulver an. Darüber hinaus installierte die Stadt statt mehrerer kleiner Gruppenwachen große Zugwachen samt Dienstwohnungen, damit ausreichend Einsatzkräfte in Ausnahmesituationen besser erreichbar sind.
Zudem heizten die Unglücke die Diskussionen über neue, stadtfernere Standorte für Flughäfen an. Allerdings dauerte es in der bayerischen Landeshauptstadt noch 32 weitere Jahre, bis mit dem Airport Franz-Josef-Strauß ein neuer Flughafen im Erdinger Moos eröffnet wurde. Mit einem Aufkommen von 47,9 Millionen Gästen lag der Münchner Flughafen 2019 auf Platz neun in Europa.