Ansturm macht die Händler nicht glücklich
Einkaufen Wegen des anstehenden Lockdowns bilden sich im Zentrum und am Stadtrand Warteschlangen vor Geschäften. Es gibt Kritik an der kurzen Vorlaufzeit der Entscheidung. Wie Händler jetzt kalkulieren
Augsburg Es ist kein gewöhnlicher Wochenanfang in Augsburg. Der Montag ist der vorletzte Tag vor dem bundesweiten Lockdown, der für Handel und Kunden weitreichende Einschnitte mit sich bringt. Viele Geschäfte müssen wegen Corona bis 10. Januar schließen. Der Einkauf von Weihnachtsgeschenken wird offenbar für viele Menschen nun zur Terminhetze. Die Innenstadt ist am Montag viel stärker frequentiert als sonst zum Wochenstart.
Die Händler machen gute Umsätze, dennoch ist die Klage über die Umsetzung des Lockdowns unüberhörbar. Marcus Vorwohlt, Chef des Textilhauses Rübsamen, spricht von einer „Katastrophe“und macht die betriebsinterne Rechnung auf: „Zusammengerechnet bedeuten die Tage bis 10. Januar ein zehnprozentige Minus des Jahresumsatzes.“
Man müsse an den besten Tagen des Jahres schließen, sagt Vorwohlt: „Es ist furchtbar.“Es sind Aussagen, die Andreas Gärtner vom Einzelhandelsverband derzeit immer wieder zu hören bekommt. „Die Sorgen der Händler sind sehr groß.“Für viele Branchen sei es die umsatzstärkste Zeit. Bücher, Schmuck und Textilien zählen zu den bevorzugten Weihnachtsgeschenken. Dieses Jahr werde es anders aussehen. Gärtner denkt nun an Dienstag, den letzten großen Verkaufstag für den Handel, wo aller Voraussicht nach ein immenser Kundenandrang zu erwarten ist: „Man hat den Eindruck gewonnen, dass jetzt erst viele Kunden begonnen haben, Geschenke zu kaufen.“
Dass der Einschnitt die Händler vor allem zwischen den Jahren hart treffen werde, davon ist Gärtner überzeugt: „Das ist normalerweise die Phase, in der Gutscheine oder Geldgeschenke eingelöst werden.“Schon jetzt sei klar, dass solche Einkäufe erst ab Montag, 11. Januar, möglich seien. Sicher sei dies aber nicht. Was dann? Gärtner befürchtet dann Schlimmes: „Sollte der
Lockdown verlängert werden, gehen wohl bei vielen Händlern die Lichter aus.“
Rübsamen-Chef Vorwohlt bestätigt das. In seinem Unternehmen kämen alle Kosten auf den Prüfstand. Wie tief die finanziellen Einschnitte sein werden, bleibe abzuwarten: „Wir müssen jetzt radikalst den Rotstift ansetzen und sparen, wo es geht.“Speziell für den Textilhandel ist die Lage schwierig, weil die Lager voll sind und bei einem normalen Geschäftsverlauf neue Ware bestellt werden sollte. Corona macht einen Strich durch die Rechnung. Die Folgen sind zu sehen: Es gibt große Rabattaktionen. Ware wird zu reduzierten Preisen verkauft. Es gehe darum, überhaupt noch etwas Umsatz zu machen. Vorwohlt verweist auf die firmeneigene Strategie: „Wir sind seit Montag im Austausch mit Lieferanten und versuchen Warenlieferungen zu stoppen, zu stornieren und weiter nach hinten zu legen.“Es gelte, erst einmal liquide zu bleiben. Textilhäuser müssten zahlungsfähig bleiben, denn spätestens im Februar komme die neue Ware, die bezahlt werden müsse. Vorwohlt: „Das ist keine leichte Aufgabe, wenn ab Mittwoch kein Umsatz mehr kommt.“
Am Montag ist bei den Händlern die Verunsicherung auch deshalb groß, weil noch nicht geregelt ist, wie zum Beispiel ein Haus reagieren muss, das im Sortiment auch Lebensmittel bereithält. Supermärkte dürfen weiter geöffnet bleiben, dies gilt auch für den Stadtmarkt und
Wochenmärkte. Ein Fragezeichen steht hinter der staatlichen Unterstützung für den Handel. Vorwohlt ist skeptisch: „Das ist die schlimmste Krise im Einzelhandel, die es je gab.“Die finanzielle Unterstützung der Regierung werde nicht reichen, um den Schaden zu kompensieren.
Zu den Betrieben, die ab Mittwoch schließen müssen, gehören auch Friseure. Am Montag war zu beobachten, dass sich vor manchen Salons Warteschlangen bildeten. Kurzfristig hatten einzelne Betriebe montags geöffnet, um Kunden zu bedienen. Friseure gehören dem Handwerk an. Ulrich Wagner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, bringt wenig Verständnis dafür auf, dass sie nun ebenfalls zu einer mehrwöchigen
Schaffenspause verdonnert werden: „Mit Blick auf die höchsten Hygienestandards, in die unsere Friseurbetriebe viel investiert haben, und darauf, dass uns kein erhöhtes Infektionsgeschehen durch Friseurbesuche bekannt ist, ist die Entscheidung nicht nachvollziehbar.“
Dass die Politik die Vorlaufzeit auf nur zwei Tage b begrenzt hat, führte am Montag zu teils langen Warteschlangen. Beim Einrichtungshaus Ikea stauten sich Kunden vor der Eröffnung in meterlangen Schlangen. Bei Karstadt standen zur Mittagszeit im Erdgeschoss knapp 50 Kunden an allen geöffneten Kassen, auch vor Postfilialen standen schlangen, obgleich diese geöffnet bleiben dürfen. Wie stark die Innenstadt mittags frequentiert war, zeigt eine Auswertung des Unternehmens Hystreet. Es erfasst Passanten, die in der Fußgängerzone unterwegs sind. In der Annastraße wurden zwischen 12 und 13 Uhr etwas mehr als 2000 Passanten registriert. Dies waren mehr als im gleichen Zeitraum am Samstag (1920 Passanten) und mehr als am Montag voriger Woche (1400).
Nicht jeder, der am Montag in der Innenstadt unterwegs ist, ist auf der Suche nach Geschenken. Viktoria Diehl sagt, sie habe bereits alle Besorgungen für Weihnachten erledigt. Sie sei nur in der Stadt, um Lebensmittel einzukaufen. Aus den Geschäften, die ab Mittwoch zu sind, brauche sie nichts mehr. „Ich nutze die letzten zwei Tage nicht mehr, um noch Besorgungen in der Stadt zu machen, weil ich befürchte, dass viel los sein wird“, meint Sabine Geweth. Sie verbringe nur die Mittagspause in der Innenstadt. Birgit Schiele will die Geschäfte in der Stadt am letzten Tag vor dem Lockdown meiden. Sie sei nur da, um auf dem Stadtmarkt Lebensmittel zu kaufen. Ulrich Wagner von der Handwerkskammer nimmt bereits jetzt die Politik in die Pflicht: „Wichtig für alle betroffenen Branchen und deren Kunden ist nun eine rechtzeitige und planbare Strategie, wie es ab dem 11. Januar weitergehen soll.“
In der Annastraße waren am Montag viele Passanten unterwegs.