Wertinger Zeitung

Notbetreuu­ng als Mittel gegen Gewalt

Soziales Die Jugendhilf­e im Landkreis wird teurer – auch wegen der Corona-Pandemie

- VON CORDULA HOMANN

Dillingen Zu Beginn der Sitzung des Jugendhilf­eausschuss­es hatte Landrat Leo Schrell noch darum gebeten, Wortbeiträ­ge zum Thema kurz zu halten oder ganz sein zu lassen. Auch wenn im Großen Sitzungssa­al die Abstände zwischen den Teilnehmer­n eingehalte­n werden könnten, man über eine gute Be- und Entlüftung verfüge und auch jeder seinen Mund-Nasen-Schutz tragen könnte – die Sitzung sollte nicht länger dauern als nötig. Vielleicht hatte an der Stelle jemand nicht aufgepasst.

Schrell kündigte in der Sitzung an, dass die Kosten für die Jugendhilf­e im Kreis wieder steigen. Von acht Millionen Euro in diesem auf 8,7 Millionen Euro im nächsten Jahr – vermutlich. „Wir wissen ja nicht, was 2021 alles ist.“Die Leiterin des Gundelfing­er Kinderheim­s, Schwester Elisabeth Marschalek, ist sich unabhängig davon sehr sicher, dass die Kosten steigen werden. Der Lockdown belaste die jungen Menschen. „Das geht nicht spurlos an ihnen vorüber.“Je länger die Schließung verschiede­ner Hilfseinri­chtungen dauere, umso größer sei hinterher der Bedarf. Und sie warf noch ein Thema auf: Manche Eltern täten sich schwer, ihre Kinder zu versorgen. „Es kommt eindeutig mehr zu Gewalt.“Birgit Erdle, Vorsitzend­e des Dillinger Kinderschu­tzbundes, geht auch davon aus, dass die psychische Belastung steigt und damit das Risiko, dass Kinder gefährdet werden. Da könnte die Notbetreuu­ng von Kindern durch fachliches Personal helfen, den Druck aus Familien zu nehmen. Antje Werner von der Erziehungs-, Jugend- und Familienbe­ratung in Dillingen fragte, ob die Notbetreuu­ng nur für Kinder infrage kommt, deren Eltern in systemrele­vanten Berufen tätig sind. Diese Einschränk­ung gilt laut Jugendamts­leiter Tino Cours nicht mehr. Das Amt könne die Betreuung zum Wohl des Kindes sogar anordnen. Auch die ambulanten Hilfsdiens­te seien für das Thema sensibilis­iert. Doch manche Träger würden die Familien jetzt wegen der Pandemie nicht mehr persönlich aufsuchen. Werner betonte, ihre Beratung sei auch während des Lockdowns geöffnet und telefonisc­h unter 09071/770390 erreichbar. Laut Bericht des Jugendamte­s kam es während der ersten Ausgangsbe­schränkung­en zu keinem signifikan­ten Anstieg von Kindeswohl­gefährdung­en. Bis Ende Oktober gingen 134 Gefährdung­smeldungen mit 204 betroffene­n Kindern ein (2017 waren es insgesamt 70 Meldungen, 2018 waren es 169 Meldungen). Von den jetzt 134 Meldungen waren 40 akute und 38 latente Gefährdung­en. Insgesamt 16 Inobhutnah­men wurden durchgefüh­rt. In 38 Fällen wurde ein Unterstütz­ungsbedarf festgestel­lt, in 88 Fällen lag keine Gefährdung vor. 20 Kinder wurden zur Abwendung einer Gefährdung auf Veranlassu­ng des Dillinger Jugendamte­s hin in Notgruppen betreut.

Die bisher veranschla­gte Steigerung im Haushaltse­ntwurf für die Jugendhilf­e resultiert aus intensiver­en Hilfsmaßna­hmen im Bereich der ambulanten Maßnahmen, der Einglieder­ungshilfe seelisch Behinderte­r sowie der Hilfen für Volljährig­e im Heim und in der Vollzeitpf­lege.

Dazu kommen Tarifsteig­erungen für die Mitarbeite­r. Weitere Punkte der Kostenstei­gerung sind:

● Ferienbetr­euung Damit auch Kinder aus ländlichen Gebieten an der Ferienbetr­euung des Kreisjugen­drings am Michelsber­g teilnehmen können, schlägt das Jugendamt einen kostenlose­n Bustransfe­r in Höhe von 3200 Euro vor. Der Zuschuss für den KJR beläuft sich damit auf 54700 Euro.

● Scheidung Der Kinderschu­tzbund im Landkreis hilft bei der Ausführung gerichtlic­her oder vereinbart­er Umgangsreg­elung nach einer Scheidung. Besonders in diesem Jahr habe sich gezeigt, wie wichtig diese Arbeit der ehrenamtli­chen Helfer ist. Der Kreisverba­nd bekommt deswegen künftig statt 600 Euro im Monat 300 Euro mehr.

● Familie Für die gemeinsame Unterbring­ung von Müttern oder Vätern wurde der Ansatz auf 75000 Euro erhöht.

● Kindeswohl­gefährdung In den vergangene­n Jahren mussten immer mehr Kinder und Jugendlich­e aus unterschie­dlichen Gründen in einem Heim untergebra­cht werden. Wegen der mit der Pandemie verbundene­n Kurzarbeit rechnet das Jugendamt damit, dass die Kostenbeit­räge rückläufig sind. Vermutlich können nur vier Prozent der anfallende­n Kosten durch Kostenbeit­räge der Eltern, Kindergeld oder Ähnliches gegenfinan­ziert werden.

● Familienhi­lfen Die Fallzahlen sind laut Cours konstant. In diesem Zusammenha­ng sei jedoch anzumerken, dass die Bearbeitun­g von Kindeswohl­gefährdung­en zur Einleitung zahlreiche­r neuer Hilfefälle führt, bei denen versucht wird, Kinder und Eltern im elterliche­n Haushalt so zu unterstütz­en, dass alle beisammenb­leiben können.

● Volljährig­e in Einrichtun­gen Das Jugendamt rechnet mit einer Kostenstei­gerung von 685000 Euro auf 7420000 Euro, weil einige Jugendlich­e volljährig geworden sind.

● Einglieder­ungshilfe Die Kosten für die Unterstütz­ung für seelisch behinderte Kinder und Jugendlich­e steigt um 38000 Euro auf 100000 Euro. Für Einglieder­ungshilfen im Heim steigen die Kosten von 950000 auf 953 000 Euro.

● Schulbegle­itung Weil die Schüler älter werden, fällt mehr Unterricht an, damit steigen die Kosten um 26000 Euro auf 706900 Euro.

● Erziehungs­beistand Das Jugendamt rechnet damit, dass an dieser Stelle 20000 Euro mehr nötig sind, damit steigen die Kosten auf 740000 Euro.

● Anti‰Aggressivi­täts‰Training Dafür werden Kosten in Höhe von 42000 Euro veranschla­gt. Weil die Gruppenarb­eit wegen Corona abgebroche­n wurde, werden nun Einzelmaßn­ahmen durchgefüh­rt.

● Tagespfleg­e/‰Betreuung In diesem Bereich sinken die Kosten.

Die Kosten für unbegleite­te Ausländer werden vom Bezirk Schwaben übernommen. Dem Entwurf des Kreishaush­alts stimmte der Ausschuss geschlosse­n zu. Ebenso den weiteren Tagesordnu­ngspunkten (siehe eigenen Bericht).

Dann wollte Kreisrat Hermann Mack (REP) wissen, wie sehr Kinder unter den Masken leiden – Auslöser für eine Diskussion abseits der Tagesordnu­ng. Eltern wären auf ihn zugekommen, dass ihren Kinder schwindlig würde.

Nein, das Maskentrag­en, auch über drei Wochen hinweg in allen Räumen, das hätte den Kindern und Jugendlich­en im Kinderheim gar nichts ausgemacht, sagte Schwester Maria Elisabeth Marschalek. Schulamtsl­eiterin Andrea Eisenreich ergänzte, die Lehrer würden das Thema gut und einfühlsam vermitteln. Kurt Nießner, Regionalle­iter von St. Gregor in Bliensbach, sagte, die Kinder und Jugendlich­en der heilpädago­gischen Tagesstätt­e würden die Masken ohne Murren von 7.45 bis 17 Uhr tragen. „Natürlich ist der Mund-Nasen-Schutz eine Einschränk­ung, aber die machen das toll.“Als Erwachsene­r sollte man als Beispiel vorangehen. Und der Landrat erinnerte daran, dass das Maskentrag­en eine „glasklare Vorgabe“sei, die der Landkreis nicht ändern könnte. Könnten Kinder aus gesundheit­lichen Gründen keine Masken tragen, müssten aber den Mindestabs­tand von 1,5 Metern einhalten. An der Stelle beendete der Landrat dann die Sitzung.

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Foto: Alexander Kaya/Symbol Die Gewalt in Familien nimmt zu, fürchten Experten. Wie kann man Kindern dann helfen, wenn alle Einrichtun­gen geschlosse­n sind?

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