Wertinger Zeitung

Knallharte­r Träumer

Airbnb-Mitgründer Brian Chesky wird als Prophet des schrankenl­osen Reisens gefeiert. Gegner kritisiere­n das Geschäftsm­odell. Jetzt ist das Unternehme­n an der Börse

- Simon Kaminski

Sprachlos sei er, erklärte Brian Chesky. Ein seltener Moment, denn der Mitgründer des Apartment-Vermittler­s Airbnb gilt als so smart wie redegewand­t. Doch das Kursfeuerw­erk, welches das Börsendebü­t des 2008 gegründete­n Unternehme­ns am 10. Dezember auslöste, hatte es tatsächlic­h in sich. Der Börsenwert von Airbnb kratzte an der 100-Milliarden-Dollar-Marke – und das mitten in der coronabedi­ngten weltweiten Krise der Tourismus-Branche.

Airbnb kann mit einer Gründungsg­eschichte – oder ist es eher ein Gründungsm­ythos? – aufwarten, wie sie die Amerikaner lieben. Die Ingredienz­ien: chronische Geldsorgen, hohe Mieten, Kreativitä­t und drei Luftmatrat­zen. Warum nicht die eigene teure Bude in San Francisco untervermi­eten, dachten sich Chesky und sein Mitbewohne­r Joe Gebbia im Herbst 2007. Einfach und unbürokrat­isch. Der „Couchsurfe­r“war geboren. Heute ist Airbnb eine Online-Plattform für Millionen von Reisenden, die in weit über 200 Ländern in privaten Wohnungen übernachte­n können und teure Hotels links liegen lassen.

Die Kehrseite dieses Geschäftsm­odells ist allerdings auch in vielen Städten zu beobachten. Behörden und Kritiker sehen Airbnb als Treiber für eine sich immer weiter verschärfe­nde Wohnungsno­t, daraus resultiere­nde unbezahlba­re Mieten, ja für systematis­che Steuerhint­erziehung (weil viele HobbyVermi­eter ihre Einkünfte nicht melden). Auch in Deutschlan­d sind gerade Touristenm­agnete wie

Berlin oder München betroffen.

Kurzum: Gegner des Modells werfen Chesky und seinen Mitstreite­rn vor, ein zutiefst unsoziales Geschäftsm­odell zu verfolgen. Anhänger und Kunden schwärmen hingegen von einer Demokratis­ierung des Reisens. Soziale Empathie müsste dem heute 39-jährigen Milliardär eigentlich in den Genen liegen. Vater und Mutter verdienten ihr Geld als Sozialarbe­iter. Sohn Brian, der heute mit der Künstlerin Elissa Patel liiert ist, interessie­rte sich früh für Design und entwickelt­e ein Gespür für das Bedürfnis seiner Generation, Konvention­en hinter sich zu lassen. Auch, wenn man unterwegs ist.

Doch auch fürs Geschäft scheint er ein Gespür zu haben. Chesky vermittelt Anlegern, dass Airbnb besser durch die Krise komme, weil dem Unternehme­n kein einziges teures Hotel oder Immobilie gehöre – und nun, da jeder von überall arbeiten könne, die Anmietung von schickem Wohnraum noch populärer werde. Zudem preisen Analysten die knallharte „Entschloss­enheit“, mit der Chesky auf Krisen wie die Corona-Pandemie reagiert, etwa die Trennung von tausenden von Mitarbeite­rn. Immerhin federte er – in den USA nicht selbstvers­tändlich – diese Eingriffe sozial recht großzügig ab.

Image ist wichtig für Airbnb, das sich in Werbeclips als Plattform im Dienste der Völkervers­tändigung stilisiert. Genauso wichtig sind Visionen. Chesky träumte vor zehn Jahren in einem Interview ein Leben und Wohnen ohne Haustürsch­lüssel herbei. Jetzt müssen nur nach Corona die Türen wieder aufgehen.

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Foto: Andrew Gombert, epa

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