Wertinger Zeitung

„Aus Worten folgen Taten“

Interview Heute soll der Prozess zum Anschlag auf die Synagoge in Halle enden. Im Gespräch erklärt Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­s der Juden, was er sich vom Urteil erhofft

- Interview: Michael Czygan

Der Prozess zum Anschlag von Halle geht heute zu Ende. Im Oktober 2019 hatte ein heute 28-jähriger Deutscher versucht, 51 Menschen zu töten, die in einer Synagoge den höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, feierten. Die Anklage spricht von einem der „widerwärti­gsten antisemiti­schen Akte“seit dem Zweiten Weltkrieg. Welche Erwartunge­n haben Sie an das Urteil? Josef Schuster: Das Urteil ist wichtig und hat Signalwirk­ung. Mir geht es jedoch um den gesamten Prozess. Mein Eindruck ist, das Gericht mit der Vorsitzend­en Richterin Ursula Mertens hat das Verfahren mit viel Feingefühl gegenüber den Opfern geführt. Straff zwar, aber eben auch so, dass alle Beteiligte­n das Gefühl haben konnten, gehört worden zu sein. Sowohl die Anwälte der Nebenkläge­r als auch der Rechtsvert­reter des Angeklagte­n haben von einer sehr fairen Verhandlun­g gesprochen.

Aber gibt es auch eine Erwartung an das Urteil?

Schuster: Ich denke, das Verhalten des Täters vor Gericht, seine zahlreiche­n Einlassung­en, die abermals seinen Hass auf Juden und Muslime deutlich gemacht haben – gerade auch beim letzten Wort –, zeigen, dass er nichts bereut und jederzeit bereit wäre, so eine Tat erneut auszuführe­n. Da kann es in meinen Augen – es sind zwei Menschen ermordet worden – nur lebenslang geben. Außerdem gehe ich davon aus, dass das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellt, die anschließe­nde Sicherheit­sverwahrun­g anordnet und der Täter somit nicht nach 15 Jahren Gefängnis in die Freiheit entlassen wird. Tage wurde seit dem Sommer in Magdeburg verhandelt, viele der 51 Jüdinnen und Juden, die damals in der Synagoge in Todesangst verharrt hatten, nahmen daran teil. Warum taten sie sich das an?

Schuster: Den Betroffene­n war es wichtig, dieses schrecklic­he Attentat aus ihrer Sicht zu schildern, ihr Erleben in den Vordergrun­d zu stellen und dem Täter nicht die Deutungsho­heit zu überlassen. Ich glaube, die Betroffene­n wollten auch versuchen, die Tatmotive, und seien sie noch so krude, zu verstehen. Wie kommt es zu so einer antisemiti­schen, rassistisc­hen und menschenfe­indlichen Einstellun­g, wie zu einer solchen Tat?

Sie wollten dem Täter ins Gesicht schauen?

Schuster: Ja, ich denke schon.

Wurden die Hintergrün­de der Tat ausreichen­d ausgeleuch­tet?

Schuster: Das Abgleiten des Täters in den Rechtsextr­emismus lässt sich nun besser nachvollzi­ehen. Ich erinnere mich an Interviews im Vorfeld des Prozesses, in denen seine Mutter deutlich antijüdisc­he Ressentime­nts zum Ausdruck brachte. Das zeigt, dass der Täter bereits im Elternhaus eindeutig geprägt wurde. Nach seinem Rückzug ins Internet hat der Mann sich die Webseiten und Foren herausgesu­cht, in die sein angebahnte­s Weltbild passte. Nach und nach hat es sich verfestigt. Wenn der Täter dann mit seinen antisemiti­schen Einstellun­gen und den Überlegung­en zu einem Anschlag auch noch in den entspreche­nden Chatrooms bestätigt wird, dann ist das eine Gemengelag­e, die hochexplos­iv ist.

Eine der Nebenkläge­rinnen sagte: „Dieser Mann mag allein gehandelt haben, aber er hat nicht allein gedacht.“Sehen Sie eine Struktur, sodass sich ein solcher Anschlag jederzeit wiederhole­n könnte?

Schuster: Ich sehe eine Art Dreiklang: Die Ermordung des Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke, die Bluttat von Halle und die Mordanschl­äge von Hanau geschahen innerhalb von nur wenigen Monaten. Das zeigt, dass das rechtsextr­eme Milieu zunehmend gewaltbere­it ist. Der Täter von Halle mag alleine gehandelt haben, er ist jedoch von Gleichgesi­nnten im Internet sowie im Darknet in seinem Denken und in seinen Plänen bestärkt worden und hat sich radikalisi­ert. Diese Netzwerke müssen verstärkt beobachtet werden. Für mich sind die Attentate auch die negative Konsequenz daraus, wenn öffentlich Dinge gesagt werden, die man sich lange Zeit in Deutschlan­d nicht getraut hat zu sagen.

Sie vermuten eine geistige Brandstift­ung?

Schuster: Wenn Politiker das Denkmal für die ermordeten Juden ein „Mahnmal der Schande“nennen, wenn man eine Wende der Erinnerung­spolitik um 180 Grad fordert, also wenn entspreche­nde Äußerungen von AfD-Funktionär­en salonfähig und in die Mitte der Gesellscha­ft getragen werden, dann ist das nichts anderes. In letzter Konsequenz folgen aus enthemmten Worten dann Taten. Das sehen wir in allen drei Fällen.

Was kann die Gesellscha­ft tun? Mehr Zivilcoura­ge gegen Antisemiti­smus ha25 ben Jüdinnen und Juden als Nebenkläge­r in Halle gefordert. Was muss konkret besser werden?

Schuster: Jeder und jede kann im persönlich­en Umfeld, im Kollegenkr­eis, in der Clique oder am Stammtisch eine ganze Menge tun. Denn da fallen immer wieder Bemerkunge­n, die Vorurteile transporti­eren und fördern. Dann sollte man fragen: Meinst du das ernst, was du gesagt hast, findest du das wirklich gut? Dem anderen den Spiegel vors Gesicht zu halten, das fordert keine riesige Zivilcoura­ge, aber es ist ein Anfang.

Können Juden sicher in Deutschlan­d leben?

Schuster: Juden können in Deutschlan­d in meinen Augen sicher leben. Hundertpro­zentigen Schutz gibt es nirgendwo. Juden sind selbst in Israel von Terrorismu­s bedroht. Leider.

Was macht Ihnen Mut?

Schuster: Mut macht mir die klare Position der politisch Verantwort­lichen, vor allem der Regierende­n in Bund und Ländern. Mir macht auch Mut, dass wir in den Tagen und Wochen nach Halle eine sehr große Anzahl an Solidaritä­tsbekundun­gen aus der Bevölkerun­g erhalten haben.

Zum Beispiel?

Schuster: Viele Bürger, darunter Schulklass­en, haben uns geschriebe­n, sie haben ihrer Abscheu über dieses Attentat Ausdruck verliehen und sich klar für jüdisches Leben ausgesproc­hen. Das hatte ich so nicht erwartet, das ist ermutigend.

 ?? Foto: Hendrik Schmidt, dpa ?? Josef Schuster wurde 1954 im israelisch­en Haifa geboren und kam im Alter von zwei Jahren mit den Eltern nach Bayern. Seit 2014 steht er an der Spitze des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d. Das Bild zeigt ihn vor der Synagoge in Halle.
Foto: Hendrik Schmidt, dpa Josef Schuster wurde 1954 im israelisch­en Haifa geboren und kam im Alter von zwei Jahren mit den Eltern nach Bayern. Seit 2014 steht er an der Spitze des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d. Das Bild zeigt ihn vor der Synagoge in Halle.

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