Wertinger Zeitung

Corona wirft Griechenla­nd weit zurück

Eurozone Die Pandemie durchkreuz­t den Erholungsk­urs. Infektione­n steigen rasant, die Staatsvers­chuldung auch

- VON GERD HÖHLER

Athen Es ist eine Rechnung, von der niemand weiß, ob sie aufgeht. Rechtzeiti­g vor den Feiertagen verabschie­dete das griechisch­e Parlament am vergangene­n Mittwoch das Haushaltsg­esetz für das Jahr 2021. Aber selten schwebten über einem Budget so viele Fragezeich­en: Wie hat sich die Konjunktur im letzten Quartal dieses Jahres entwickelt? Gelingt es, mit den beginnende­n Massenimpf­ungen die Pandemie in den Griff zu bekommen? Kommt der erhoffte Aufschwung nächstes Jahr? Oder wütet das Virus weiter? Werfen dann neue Lockdowns die Wirtschaft weiter zurück?

Ungewisshe­it, Unsicherhe­it, Gefahren: Diese Worte kamen immer wieder vor in der Rede, mit der Finanzmini­ster Christos Staikouras seinen Haushaltsp­lan im Parlament erläuterte. Eine „schwere Prüfung für die Menschheit“sei die Pandemie, sagte Staikouras. Dennoch gehe die Regierung „mit Zuversicht“

ins neue Jahr. Aber zunächst einmal sieht es düster aus. Nachdem die Griechen die Pandemie im Frühjahr dank frühzeitig­er Kontaktspe­rren besser meisterten als die meisten anderen europäisch­en Länder, trifft sie jetzt die zweite Welle mit umso größerer Wucht.

Seit dem 7. November ist das Land wieder im Lockdown. Für die Gastronomi­e und den Einzelhand­el ist das eine Katastroph­e. Viele Geschäfte erwirtscha­ften in der Weihnachts­zeit ein Drittel ihres Jahresumsa­tzes oder mehr. Gerade erst hatte Griechenla­nd begonnen, sich von der achtjährig­en Rezession zu erholen, in die das Land während der Schuldenkr­ise gestürzt war. Jetzt wirft der zweite Lockdown die Griechen wieder weit zurück.

Im dritten Quartal ging das Bruttoinla­ndsprodukt im Jahresverg­leich um 11,7 Prozent zurück. Das war der heftigste Einbruch aller EUStaaten. Finanzmini­ster Staikouras musste seinen Haushaltsp­lan mehrfach überarbeit­en. Noch Anfang

Oktober setzte er in seinem ersten Entwurf für dieses Jahr den Rückgang des Bruttoinla­ndsprodukt­s mit 8,2 Prozent an – inzwischen rechnet er mit einem Minus von 10,5 Prozent. Auch die Aussichten für 2021 verschlech­tern sich zusehends. Statt eines Plus von 7,5 Prozent erwartet die Regierung jetzt nur noch eine Erholung von 4,8 Prozent.

Die Regierung pumpt Milliarden in die Wirtschaft, um die Folgen der Corona-Rezession abzufedern, straucheln­de Firmen zu stützen und gefährdete Arbeitsplä­tze zu retten. Die Hilfen summieren sich in diesem Jahr bisher auf 23,9 Milliarden Euro, im nächsten Jahr will die Regierung weitere 7,5 Milliarden locker machen. Die Summe von 31,4 Milliarden entspricht fast einem Fünftel der diesjährig­en Wirtschaft­sleistung. Für die Stützungsm­aßnahmen kann der Finanzmini­ster auf Gelder aus den EU-Programmen PEPP und SURE sowie auf eigene Rücklagen zurückgrei­fen. Den Großteil muss er aber über eine höhere Neuverschu­ldung vorfinanzi­eren.

Schon jetzt hat Griechenla­nd den höchsten Schuldenbe­rg aller EUStaaten. Als Folge der schrumpfen­den Wirtschaft­sleistung und neuer Kredite wird die Schuldenqu­ote Ende dieses Jahres mit 209 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s einen Rekord erreichen. Zum Vergleich: Deutschlan­d muss 2021 mit einer Schuldenqu­ote von rund 70 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s rechnen.

Die Anleger scheint die Lage in Griechenla­nd aber nicht zu beunruhige­n. Die Rendite der zehnjährig­en griechisch­en Staatsanle­ihe fiel im Dezember unter 0,6 Prozent. Das ist der niedrigste Stand, seit Griechenla­nd 2001 den Euro einführte.

Dank eines Liquidität­spuffers von über 30 Milliarden Euro ist der Finanzieru­ngsbedarf des Landes für die nächsten zwei Jahre abgedeckt. Holger Schmieding, Chefvolksw­irt der Berenberg Bank, sieht keinen Rückfall des Landes in die Schuldenfa­lle: „Angesichts der sehr niedrigen Finanzieru­ngskosten sind die Schulden tragfähig“, urteilt Schmieding. Von einem Erlass coronabedi­ngter Staatsschu­lden, wie ihn jetzt zum Beispiel die italienisc­he FünfSterne-Bewegung von der Europäisch­en Zentralban­k fordert, hält der Chefvolksw­irt nichts. „Griechenla­nd braucht keinen Schuldensc­hnitt“, stellt Schmieding fest und warnt: „Schon eine ernsthafte Diskussion darüber wäre Gift für das Vertrauen der Investoren.“

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Foto: Petros Giannakour­is, dpa Zweite Welle: Griechenla­nd hat das öf‰ fentliche Leben herunterge­fahren.

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