Unangenehm, aber harmlos?
Medizin Millionen Menschen müssen in den kommenden Monaten entscheiden, ob und wann sie sich gegen Corona impfen lassen. Im Raum steht die Frage, wie sicher der Impfstoff ist
Impfstoff gegen das Coronavirus wird sehnsüchtig erwartet. Zeitlich begrenzte Begleiterscheinungen nach Impfungen sind aber nicht unwahrscheinlich – das ist auch beim Impfstoff von Biontech und Pfizer nicht anders. Kopfweh, Müdigkeit, Schmerzen an der Impfstelle: Solche Nebenwirkungen muss möglicherweise in Kauf nehmen, wer sich schützen will. Impfexperten sagen: Nicht angenehm, aber auch kein Anlass für größere Bedenken.
Der Impfstoff wurde von Ende Juli bis Mitte November in einer Studie mit 44820 Männern und Frauen untersucht, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde. Etwa die Hälfte der Probanden bekam zweimal den Impfstoff verabreicht, die andere Hälfte stattdessen ein Placebo.
Die Auswertung zeigt, dass etwa vorübergehende Schmerzen an der Impfstelle, Kopfschmerzen oder Müdigkeit vorkommen können. Konkret berichteten – je nach Altersgruppe und ob es sich um die erste oder zweite Dosis handelte – 66 bis 83 Prozent von Schmerzen an der Einstichstelle. Bei fünf bis sieben Prozent zeigten sich dort Rötungen oder Schwellungen.
Teilnehmer klagten nach der Impfung außerdem über Müdigkeit (34 bis 59 Prozent), Kopfschmerzen (25 bis 52 Prozent), Schüttelfrost (6 bis 35 Prozent), Durchfall (8 bis 12 Prozent), Muskelschmerzen (14 bis 37 Prozent) und Gliederschmerzen (9 bis 22 Prozent). Besonders bei der zweiten Impfdosis bekamen Teilnehmer (11 Prozent der Älteren und 16 der Jüngeren) Fieber. Die Nebenwirkungen waren im Allgemeinen schwach bis mäßig und klangen nach kurzer Zeit wieder ab.
Solche Begleiterscheinungen sind bei Impfungen üblich, sagt Stefan Kaufmann, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie: „Ganz ohne geht es nicht.“Der Wiener Impfexperte Herwig Kollaritsch beschreibt es im Buch „Pro & Contra Coronaimpfung“so: „Eine Impfung ist kein Hustenzuckerl.“Eine vorübergehende Entzündungsreaktion ist nichts Negatives. Der Körper müsse irgendwie merken, wo er mit seiner Immunantwort hinsolle, erklärt Kaufmann.
Im Vergleich zu vielen etablierten Impfstoffen ist der Biontech/PfizerImpfstoff „reaktogener“, wie Christian Bogdan, Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene an der Uniklinik Erlangen, erklärt. Die Nebenwirkungen treten also häufiger auf als etwa bei Grippe-, Tetanus- oder Diphtherieimpfungen. Impfexperten vergleichen die Reaktionen mit denen einer Gürtelrose-Impfung. Kein Grund aber für stärkere Bedenken sagt Kaufmann: „Es ist halt ein bisschen unangenehm.“
Bei den Tests stellte sich außerdem heraus, dass über 55-Jährige den Impfstoff als verträglicher empfanden und weniger Nebenwirkungen beklagten als Jüngere. Grundsätzlich traten Begleiterscheinungen öfter bei der zweiten Impfdosis auf. 64 Geimpfte berichteten über geschwollene Lymphknoten. Über die leichteren Beschwerden hinaus gab es vereinzelt schwerwiegendere „unerwünschte Ereignisse“. Je eine Person meldete eine Schulterverletzung, Herzrhythmusstörungen sowie Taubheitsgefühl im Bein.
Die Aussagekraft über unwahrscheinlichere Reaktionen ist jedoch begrenzt. Bogdan zufolge ließen sich Nebenwirkungen, die bei 1000 Personen im Schnitt einmal vorkommen, mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent erkennen. „ErDer eignisse, die seltener als 1 in 10000 sind, lassen sich nicht zuverlässig detektieren“, sagt er.
Noch gibt es keine Studienergebnisse dazu, ob und welche Nebenwirkungen möglicherweise nach einem längeren Zeitraum auftreten. Dafür gibt es den Impfstoff einfach noch nicht lange genug. Die Verträglichkeit wird aber auch nach der Zulassung weiter überprüft. In Deutschland sollen geimpfte Menschen mögliche Nebenwirkungen per App melden können.
Bei dem Präparat von Biontech/ Pfizer und bei dem der US-Firma Moderna handelt es sich um mRNA-Impfstoffe. Sie enthalten genetische Informationen des Erregers, aus denen Körperzellen ein Virusprotein herstellen. Ziel der Impfung ist es, den Körper zur Bildung von Antikörpern gegen dieses Protein anzuregen, um dann bei einer späteren Infektion die Viren frühzeitig bekämpfen zu können.
Damit die mRNA überhaupt erst ins Innere der Zellen gelangen kann, ist sie mit einer Hülle von Lipid-Nanopartikeln umgeben. Sie sind winzige Fettmoleküle, die als Fremdkörper in den zu großen Teilen aus Wasser bestehenden Körper kommen. „Fett und Wasser trennen sich immer“, erklärt Kaufmann. Geimpfte bekommen das womöglich in Form einer zeitlich begrenzten Entzündungsreaktion zu spüren. An sich gefährlich seien die Lipide aber nicht.
Teil der Hülle bei den Impfstoffen von Moderna und Pfizer/Biontech sind laut Olivia Merkel vom Fachbereich Pharmazeutische Technologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München sogenannte Polyethylenglycole (PEG). Der Körper kann Antikörper dagegen bilden. Laut Merkel ist es denkbar, dass die Immunantwort gegen die PEG zu allergischen Reaktionen nach der zweiten Impfdosis führt. Das könne sich etwa in einem Ausschlag äußern. Solche allergischen Reaktionen treten allerdings sofort oder innerhalb weniger Stunden nach Verabreichung bei sehr sensitiven Patienten auf, die auch auf PEG in Kosmetika oder Lebensmitteln reagieren. Langfristige Folgen seien durch die PEG nicht zu erwarten.
In Großbritannien, wo bereits mehr als 140 000 Menschen den Biontech/Pfizer-Impfstoff erhielten, zeigten zwei Geimpfte größere allergische Reaktionen. Die Behörden riefen daraufhin Menschen mit einer signifikanten Allergiegeschichte auf, sich vorerst nicht impfen zu lassen.
Leif Erik Sander, Infektiologe an der Berliner Charité, sagt, bei den beiden Fällen in Großbritannien handele es sich um Personen mit einer Geschichte von schwersten, lebensbedrohlichen Allergien, die ständig ein Notfallset mit sich tragen. Solche Menschen hätten bei jedem Arzneimittel und bei jeder Impfung ein starkes Risiko und seien auch nicht in der Zulassungsstudie berücksichtigt worden. Sehr wohl hätten da aber auch Menschen mit Allergien teilgenommen. Allergische Nebenwirkungen seien in der Studie nicht erhöht gewesen. „Ich glaube daher nicht, dass wir ein generelles Problem haben“, sagte er. In der Zulassungsstudie berücksichtigt wurden zudem Probanden mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Rheuma, Herzinsuffizienz oder Nierenerkrankungen. Andere oder stärkere Nebenwirkungen wurden in diesen Gruppen nicht berichtet, wie Bogdan erklärt.
Keine Gefahr besteht dem PEI zufolge, dass durch den Impfstoff mRNA in das menschliche Erbgut gerät.