Wertinger Zeitung

„Ich bin ein Optimist“

Das Interview Interview Manche empfinden Karl Lauterbach als nervigen Corona-Dauerwarne­r, für andere zählt er zu den wichtigste­n Pandemie-Erklärern. Der SPD-Politiker erzählt, was ihn antreibt. Und auch, was es mit seinem Verzicht auf Salz auf sich hat

- Interview: Michael Pohl

„Wir werden keinen zweiten Corona-Herbst erleben“

Weihnachte­n mit Ausgangssp­erren, ein harter Lockdown mit geschlosse­nen Geschäften in der Haupteinka­ufssaison: Genau das wollte die Politik mit dem Teillockdo­wn verhindern. Warum hat es nicht funktionie­rt?

Karl Lauterbach: Wir haben in den vergangene­n Wochen weitgehend die Kontrolle über die Pandemie-Situation verloren. Ohne den harten Lockdown wäre die Lage nicht mehr beherrschb­ar geworden. Der Wellenbrec­her-Shutdown im November wäre dann erfolgreic­h gewesen, wenn es gelungen wäre, die Zahl der Kontakte unter den Menschen um 75 Prozent im Vergleich zu normalen Zeiten zu reduzieren. Es war allerdings unter Wissenscha­ftlern sehr umstritten, ob man dieses Ziel erreichen kann, wenn man gleichzeit­ig Schulen, Betriebe und die Geschäfte offen lässt. Am Ende haben die Kritiker leider recht behalten. Laut Hochrechnu­ngen aus anonymisie­rten Bewegungsd­aten von Mobilfunka­nbietern hatten sich im November die Kontakte nur um gut 40 Prozent reduziert. Das hat leider vorn und hinten nicht ausgereich­t. Um die Zahlen endlich wieder nach unten zu bekommen, brauchen wir den harten Lockdown. Ich hielte es für unverantwo­rtbar und unethisch, wenn wir anfangen, uns an tausend Todesfälle am Tag zu gewöhnen.

Die Infektions­zahlen sind in den vergangene­n Tagen auf Rekordhöhe nach oben geschossen. Haben wir das Infektions­risiko in Geschäften und Innenräume­n unterschät­zt?

Lauterbach: Neuere Studien zeigen leider relativ klar, dass auch Supermärkt­e und Geschäfte Risikobere­iche insbesonde­re im Lockdown und kurz vor dem Lockdown sind. Das erklärt auch, weshalb wir während des Lockdowns, als die Gastronomi­e und die Cafés schon zu waren, noch relativ viele neue Fälle beobachten mussten. Älteren Menschen ist daher beim Einkaufen dringend zum Tragen einer FFP2- Maske zu raten.

Sie hatten bereits im Juli die zweite Welle für den Herbst vorausgesa­gt, weil dies typisch für Pandemien dieser Größenordn­ung sei. Waren Sie aber überrascht, mit welcher Wucht das Virus zurückgeke­hrt ist?

Lauterbach: Nein, leider hatte ich das genau so befürchtet. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn es anders gekommen wäre. Aber ich hatte sogar damit gerechnet, dass es noch früher losgeht.

Viele haben die zweite Welle unterschät­zt. Nun richten sich die Hoffnungen darauf, dass mit den Massenimpf­ungen 2021 alles vorbei ist. Ist das so? Oder unterschät­zen wir das Virus möglicherw­eise erneut?

Lauterbach: Nein, wir werden keinen zweiten Corona-Herbst erleben, wenn die Impfungen erst einmal begonnen haben und im zweiten Halbjahr genügend Impfstoff für die breite Bevölkerun­g zur Verfügung steht. Die Lage wird sich ab Sommer erheblich entspannen. Doch wir dürfen nicht unterschät­zen, dass für uns jetzt erst die drei härtesten Monate der gesamten Pandemie begonnen haben. Wir können froh sein, dass es überhaupt schon einen Impfstoff gibt. Aber wir brauchen die nötigen Impfstoffm­engen. Bislang haben erst Biontech und Moderna die EU-Zulassung beantragt. Ich rechne damit, dass im Sommer weitere Impfstoffe zugelassen sind.

Es gibt Kritik daran, dass in den kommenden Monaten zu wenig von dem modernen mRNA-Impfstoff zur Verfügung steht, obwohl Biontech und Moderna offenbar der EU größere Lieferunge­n angeboten haben. Die EU hat vor allem auf herkömmlic­he Impfstoffe gesetzt, etwa von AstraZenec­a, die wohl viel später zur Verfügung stehen. Soll Deutschlan­d selber versuchen, größere Mengen nachzuorde­rn?

Lauterbach: Nach hinten zu blicken, bringt nichts. Aber trotzdem sollte so schnell wie möglich von Biontech und von Moderna nachgekauf­t werden. Denn, ob die anderen Impfstoffe so gut sein werden wie diese beiden, ist unklar. Daher sollte zur Not jeder in Deutschlan­d mit diesen beiden Impfstoffe­n geimpft werden können.

Verhindern die Impfstoffe eine Ansteckung­sgefahr für andere, oder schützen sie nur die Geimpften?

Lauterbach: Man kann bei den Impfstoffe­n von Biontech und Moderna momentan leider nur spekuliere­n, ob sie auch vor Ansteckung­en anderer schützen. Grundsätzl­ich gibt es drei Impfziele: Schutz vor einer schweren Corona-Erkrankung; dass man sich nicht selbst ansteckt – und dass man selbst nicht andere ansteckt. Bislang können wir anhand der vorliegend­en Studien nur sagen, dass das erste Impfziel erreicht wird, dass geimpfte Menschen nicht schwer erkranken. Ob sie sich nicht dennoch anstecken oder andere anstecken können, darüber wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt zu wenig. Das wird sich erst in der Praxis zeiGesetze gen. Das war auch nicht Teil des Zulassungs­verfahrens. Schützt die Impfung ebenso gut wie eine durchgemac­hte Infektion? Lauterbach: Auf Grundlage der Antikörper­reaktion sind die Impfstoffe von Biontech und Moderna wirksamer als ein leichter Krankheits­verlauf. Ob das in der Praxis auch so ist, lässt sich erst an der längerfris­tigen Antwort des Immunsyste­ms auf die Impfung ablesen.

Sie sind als Warner und Erklärer in der Krise zu einer Hauptfigur in den Medien geworden. Wie erleben Sie als Politiker und Epidemiolo­ge die öffentlich­e Debatte über die Pandemie?

Lauterbach: Ich bewege mich in den Medien seit über zwanzig Jahren, deshalb war es für mich eher mehr vom Gleichen als etwas grundsätzl­ich Neues. Ich habe die Diskussion über das Virus in Deutschlan­d als qualitativ sehr hochwertig erlebt. Durch die vielen Talkshows, Sondersend­ungen und in den Qualitätsz­eitungen haben wir meist eine hervorrage­nde Berichters­tattung. Das hat uns sicher geholfen, die Pandemie in der ersten Welle so gut zu bewältigen.

Fühlen Sie sich wohl als Dauergast in Talkshows?

Lauterbach: Die Kommunikat­ion über Erkenntnis­se gehört zur Arbeit eines Epidemiolo­gen ebenso wie zu der eines Gesundheit­spolitiker­s. Ich habe das von Anfang an sehr stark über die sozialen Medien betrieben und dann über viele Talkshowau­ftritte, Interviews und Hintergrun­dgespräche. Aber ich bin nur Teil eines Netzwerks von sich ergänzende­n Virologen, Epidemiolo­gen und Gesundheit­swissensch­aftlern, die versuchen, das pandemisch­e Geschehen zu interpreti­eren. Und dazu gehört auch Öffentlich­keitsarbei­t. Die Bevölkerun­g hat das Recht, dass alles, was man über die Pandemie weiß und was nicht, so transparen­t wie möglich dargestell­t wird.

Da Sie Wissenscha­ftler und Politiker in einer Person sind, polarisier­en Sie viele Menschen. Manche stellen Sie als Kassandra oder negativen Dauerwarne­r dar. Macht Ihnen das etwas aus?

Lauterbach: Das ist meist eine Polemik von Menschen, die eine andere Art der Bewältigun­g der Pandemie wollen. Das kommt vor allem aus populistis­chen Kreisen, um mich zu diffamiere­n. Man versucht mich als jemand abzustempe­ln, der dauerwarnt, in der Hoffnung, dass man mir nicht mehr zuhört. Aber mir geht es immer darum, konstrukti­ve Vorschläge zu machen. Und ich war auch immer und bin ein Optimist, was die Corona-Impfungen angeht.

Ärgert es Sie, dass Ihnen auch in eigenen Reihen schon früher ein bisschen das Etikett einer Nervensäge umgehängt wurde?

Lauterbach: Das bestreite ich. Mir werden ja viele Dinge vorgeworfe­n, aber auch vor meiner Zeit als stellvertr­etender Fraktionsv­orsitzende­r habe ich das Wort Nervensäge in meinem langen politische­n Leben in meiner Partei noch nie gehört. Im Rahmen einer Pandemie muss man sehr stark warnen und Vorschläge machen. Und da muss man eben damit leben, dass man auf polemische Widersache­r stößt. Das gehört einfach dazu.

Ihren Humor scheinen Sie dabei nicht verloren zu haben. In der satirische­n „heute-show“nehmen Sie mit Gastauftri­tten sich und Ihre Rolle als Spaßverder­ber auf die Schippe …

Lauterbach: Ich will damit zwar nicht meine Arbeit auf die Schippe nehmen, aber es wäre ein dramatisch­er Verlust an Lebensqual­ität, wenn man seinen Humor verlieren würde. Und auch in einer Pandemie hilft Humorlosig­keit nicht weiter. Ohne Selbstiron­ie oder Sarkasmus an der einen oder anderen Stelle übersteht man das nicht. Ich persönlich schätze die „heute-show“oder auch Jan Böhmermann sehr. Das sind großartige Formate. Und wenn der Wunsch besteht, trete ich da sehr gerne auf.

Derzeit wird viel über Sie geschriebe­n. Man beißt sich gerne daran fest, dass Sie kein Salz essen. Brauchen Sie ein dickes Fell, wenn Sie all das lesen?

Lauterbach: Ich bin froh, dass ich seit dreißig Jahren kein Salz esse. Besonders amüsiert mich, wenn ich in Porträts über mich immer wieder lese, dass ich nicht das Standardge­wicht des einen oder anderen Ministers hätte. Aber ich denke, dass ich das Amt des Gesundheit­sministers durchaus auch mit meinem Gewicht hätte ausfüllen können. Ich bin eigentlich sehr dankbar, dass ich nicht viel schwerer bin. Ich betreibe viel Sport, das möchte ich nicht missen.

Wie sehr bedauern Sie es, dass Ihnen das Amt des Gesundheit­sministers in allen Regierunge­n mit SPD-Beteiligun­g verwehrt blieb?

Lauterbach: Mir ist es als Gesundheit­spolitiker gelungen, sehr viele durchzubri­ngen. Ich war in den vergangene­n 20 Jahren an über 80 Gesetzen beteiligt. Vermutlich hatte ich damit mehr Einfluss, als wenn ich für eine kurze Zeit Bundesgesu­ndheitsmin­ister geworden wäre. Also: Ich kann mich nicht beklagen, das ist bislang ganz gut gelaufen.

Und was hat es mit Ihrem Salzverzic­ht auf sich?

Lauterbach: Wir haben in Deutschlan­d seit jeher einen überhöhten Salzkonsum. Auf Dauer beschädigt das die Gefäße, weil es ihre Alterung beschleuni­gt. Wer jahrzehnte­lang die bei uns üblichen Mengen Salz zu sich nimmt, kann fast unmöglich Bluthochdr­uck vermeiden. Fast alle über 80 Jahre alten Deutschen leiden unter Bluthochdr­uck. Viele haben es bei einem normalen Salzkonsum schon ab sechzig oder siebzig mit Vorhofflim­mern, der häufigsten Form von Herzrhythm­usstörunge­n, zu tun. Als Epidemiolo­ge könnte ich Ihnen noch zehn weitere Erkrankung­en aufzählen. Deshalb werbe ich offen für weniger Salzkonsum. Bei Epidemiolo­gen, die Vorbeugeme­dizin betreiben, ist es deshalb nicht so selten, dass sie selbst sehr wenig Salz zu sich nehmen.

Ist das nicht im Alltag sehr schwierig für Sie? Zum Beispiel gilt in Deutschlan­d fast jedes Brot theoretisc­h als übersalzen …

Lauterbach: Brot- und Käseverzic­ht sind tatsächlic­h oft Opfer für mich. Wenige Brote sind salzlos. Ich habe viele Jahre lang mein Brot selbst gebacken. Inzwischen entstehen aber Gott sei Dank immer mehr Handwerksb­äckereien, die sich auch auf besondere Wünsche ausrichten.

Was raten Sie den Menschen jetzt über Weihnachte­n und für Januar über die Einhaltung der bekannten CoronaHygi­eneregeln hinaus?

Lauterbach: Ich rate allen dazu, so wenige Reisen und Besuche zu machen wie irgend möglich. Lieber telefonier­en und aufschiebe­n. Darüber hinaus würde ich auch bei den Familientr­effen, wenn immer möglich, Maske tragen und viel lüften. Unnötige Reisen wie Kurzurlaub­sreisen sind unbedingt zu vermeiden.

Karl Lauterbach Der 57‰jährige SPD‰Politiker ist Arzt, Gesund‰ heitsökono­m, Epidemiolo­ge und Pro‰ fessor an der Uniklinik Köln. Von 2013 bis 2019 war er stellvertr­eten‰ der SPD‰Fraktionsc­hef.

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Foto: Oliver Berg, dpa SPD‰Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach: „Ach, in einer Pandemie hilft Humorlosig­keit nicht weiter.“

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