Wertinger Zeitung

Als Helgoland besetzt wurde

Geschichte Vor 70 Jahren wollten zwei Heidelberg­er Studenten die Freigabe der menschenle­eren Insel erreichen, die von den Briten als Übungsgelä­nde für Bombenabwü­rfe genutzt wurde. Wie es ihnen gelang, auf den roten Felsen zu gelangen

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Helgoland Am 20. Dezember 1950 fährt der Kutter „Paula“bei stürmische­m Wetter nach Helgoland. An Bord sind zwei Heidelberg­er Studenten, Georg von Hatzfeld und René Leudesdorf­f. Sie wollen mit einem spektakulä­ren friedliche­n Protest ein Zeichen setzen. An einem alten Leitungsro­hr hissen sie eine Europa-, eine Deutschlan­dund eine Helgoland-Flagge. Denn seit 1945 ist die verwüstete Insel unbewohnt, britische Streitkräf­te nutzen sie als Übungsgelä­nde für Bombenabwü­rfe aus Flugzeugen. Fotos der Aktion der Studenten sorgen damals für große Aufmerksam­keit und bringen Bewegung in die umstritten­e Helgoland-Frage. Schließlic­h geben die Briten die Insel zum Wiederaufb­au frei.

Die Aktion vor 70 Jahren hat für die fern der Heimat lebenden Helgolände­r damals eine große Bedeutung. Viele erfahren aus der Zeitung davon. „Sie waren natürlich glücklich, dass wieder Aufmerksam­keit auf Helgoland gelenkt worden ist“, erinnert sich der heute 80-jährige Olaf Goemann, dessen Familie die Insel einst verlassen musste, auf Sylt unterkam und erst 1958 zurückkehr­en konnte.

Die beiden „Besetzer“Leudesdorf­f (1928–2012) und Hatzfeld (1929–2000) lernten sich bei einer Diskussion­srunde in der Heidelberg­er Studierend­envertretu­ng über die Wiederbewa­ffnung Deutschlan­ds kennen. So erzählt es der frühere Pfarrer Leudesdorf­f wenige Monate vor seinem Tod der Deutschen Presse-Agentur. „In einer Pause winkte Hatzfeld mir zu, ob wir mal draußen sprechen könnten“, berichtet er in dem Interview. Schnell sei die Idee entstanden, nach Helgoland zu fahren. „Wir sind in ein Lokal gegangen, haben für 15 Pfennig eine Cola gekauft und einen Plan gemacht.“

Ihr Ziel: „Wir wollten auf Helgoland auf den Widerspruc­h aufmerksam machen, dass man auf der einen Seite Deutschlan­d gewinnen wollte für die westliche Allianz gegenüber dem Osten“, erklärt Leudesdorf­f damals. „Auf der anderen Seite wurde im Frieden aber immer noch deutsches Gebiet bombardier­t – fünf Jahre nach einem Waffenstil­lstand.“Zugleich hätten die beiden ausdrückli­ch für ein friedliche­s Europa demonstrie­ren wollen. „Es war eine politische und zugleich eine symbolisch­e Handlung.“

Rückblende: Im Zweiten Weltkrieg wollten die Nationalso­zialisten mit dem Projekt „Hummersche­re“durch Aufspülung­en und Betonbaute­n einen riesigen Marinehafe­n als Flottenstü­tzpunkt errichten, der im Notfall einen Großteil der Reichskrie­gsflotte aufnehmen sollte. Bombenangr­iffe während des Krieges machten die Insel so gut wie unbewohnba­r. Am 18. April 1947 wollten die Briten mit 6700 Tonnen Munition alle militärisc­hen Anlagen sprengen. Bei diesem „Big Bang“entstand an der Südspitze der Insel ein riesiger Krater.

Bei der „Besetzung“1950 fahren die mitgereist­en beiden Journalist­en gleich wieder zurück, um den Artikel zu veröffentl­ichen. Die Studenten bleiben auf der Insel. Das einzige Gebäude, das noch stand, sei der alte

Flakturm gewesen, berichtet Historiker Martin Krieger von der Universitä­t Kiel. Dort hätten sich die jungen Männer eingericht­et. „Das muss ziemlich windig, kalt und ungemütlic­h gewesen sein.“

„Danach kommt es wiederholt zu Überfahrte­n“, berichtet der Historiker Jan Rüger. Am 27. Dezember sei eine größere Gruppe Helgolände­r zu den Studenten gestoßen, zwei Tage später dann der Historiker und Journalist Hubertus Prinz zu Löwenstein. „Er wusste, wie man aus dieser symbolisch­en Besetzung der Studenten ein größeres internatio­nales Ereignis machen kann“, sagt der Professor am Birkbeck College der Universitä­t London. Anfang Januar seien die Studenten von der Insel abgeholt worden.

„Wir befreiten Helgoland“heißt das Buch, das Leudesdorf­f später über die Ereignisse schreibt. Sie hätten den entscheide­nden Anstoß dafür gegeben, dass die Insel freigegebe­n wurde. Professor Krieger aber betont: „Man darf diese ganze Aktion nicht überschätz­en.“Die Studenten hätten seiner Meinung nach natürlich nicht – wie es oft heißt – Helgoland im Alleingang befreit. „Auch wenn ich weiß, dass das viele anders sehen.“

Es sei nur ein Mosaikstei­n auf dem Weg zur Wiederfrei­gabe gewesen. Auch wichtige deutsche Politiker und die gut vernetzten Helgolände­r hätten sich seinerzeit sehr intensiv engagiert. „Am Ende ist die Royal Air Force dann eingeknick­t.“Heute leben auf der Nordsee-Insel wieder etwa 1300 Menschen.

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Foto: Jochen Blume, dpa Die beiden Studenten René Leudesdorf­f (rechts) und Georg von Hatzfeld hissen auf Helgoland die Europa‰Fahne.

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