Ein Präsident aus der Asche
USA Am 20. Januar wird Joe Biden als US-Präsident vereidigt. Doch der Amtsantritt des Demokraten wird überschattet von seinem Vorgänger und der Sorge um künftige politische Mehrheiten
Washington Die Tribüne ist bereitet. Seit Wochen haben Handwerker an der Westseite des Kapitols gehämmert, geschraubt und eine Art Freilufttheater mit Platz für 1600 Ehrengäste für den Tag errichtet, an dem vor der Kulisse des weißen Kuppelbaus ihr nächster Präsident vereidigt wird. Normalerweise verfolgen mehr als eine Million Schaulustige das Spektakel. Doch wenn Joe Biden am 20. Januar sein Amt antritt, wird vieles anders sein. Wegen der Corona-Pandemie soll der Zugang zu der Zeremonie extrem beschränkt werden. Die Öffentlichkeit möge zu Hause bleiben, hat das Komitee des künftigen Präsidenten gebeten. Ein Teil der Feier soll virtuell ablaufen.
Nicht nur die ungebremste Ausbreitung des Virus, das in den USA bereits mehr als 350000 Menschenleben gefordert hat, dämpft die Feierlaune zum Amtswechsel im Weißen Haus. Der Festakt wird auch von der beispiellosen Weigerung des Noch-Präsidenten Donald Trump, seine Niederlage einzugestehen, und seinen staatsstreichähnlichen Sabotageversuchen überschattet. Eine schwere Bürde für den neuen Präsidenten ist, dass dank der Desinformationskampagne Trumps nur ein Viertel der Republikaner-Anhänger seine rechtmäßige Wahl anerkennen wollen. „Lasst uns zusammenkommen, heilen und wiederaufbauen“, hat Joe Biden am Neujahrsmorgen getwittert. Aber der 78-Jährige macht sich keine Illusionen, dass extrem schwierige Wochen und Monate vor ihm liegen.
Eigentlich ist die gemeinsame Sitzung des Repräsentantenhauses und des Senats am Dreikönigstag eine Formalie: Die Ergebnisse des Wahlleutegremiums, wo Biden 306 und Trump 232 Stimmen auf sich vereinen konnten, werden dem Parlament zur Kenntnis gebracht und vom Vizepräsidenten bestätigt. Nur bei offensichtlichen Unregelmäßigkeiten können einzelne Senatoren gemeinsam mit Abgeordneten Einspruch gegen die Stimmen einzelner Bundesstaaten einlegen und dann eine Debatte in beiden Häusern samt Abstimmung über deren Anerkennung erzwingen.
Trump hat seine Anhänger so lange aufgehetzt, bis sich tatsächlich ein Senator gefunden hat, der den Antrag stellt. Angeblich wollen ihn gar 140 republikanische Abgeordneten im Repräsentantenhaus unterstützen. Zwar wird der Aufstand dort mit Sicherheit von der demokratischen Mehrheit niedergeschlagen, und selbst das konservative
geißelte an Silvester die „Kamikaze-Aktion“. Doch damit lässt sich die Veranstaltung stundenlang in die Länge ziehen und den Fieberwahn von einem Wahlsieg Trumps befeuern.
„Ganz gleich, welche Possen am 6. Januar aufgeführt werden: Der gewählte Präsident Biden wird am 20. Januar vereidigt“, spielt ein Biden-Sprecher den Aufstand herunter. Tatsächlich ist für Biden viel bedeutsamer, was am Tag zuvor rund 1000 Kilometer südlich in Georgia passiert. In dem traditionell konservativen Bundesstaat, der Weltkonzerne wie Coca-Cola und beheimatet, werden bei einer Stichwahl zwei Sitze im Washingtoner Senat vergeben. Die Amtsinhaber sind Republikaner. Gelingt es den Demokraten, beide Mandate zu erobern, gäbe es im bislang republikanischen Senat ein Patt mit jeweils 50 Stimmen, das die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris zugunsten der Regierung auflösen könnte.
Die Umfragen sagen ein Kopfan-Kopf-Rennen mit leichten Vorteilen für die demokratischen Herausforderer. Angesichts der erbitterten Auseinandersetzungen über die Präsidentschaftswahl könnte es eine nervenaufreibende Zitterpartie geben. Doch klar ist, dass die Wahl die Weichen für Bidens politisches Schicksal stellt: Gegen eine republikanische Senatsmehrheit unter Führung des Machtstrategen Mitch McConnell kann der künftige Präsident zentrale Vorhaben wie eine Erhöhung der Unternehmenssteuern, eine Ausweitung der Krankenversicherung oder Milliarden-Investitionen in den Klimaschutz gleich vergessen. „Wir brauchen diese beiden Sitze“, hat Biden bei einer internen Sitzung eindringlich gemahnt. Am Montag will er nach Atlanta fliegen, um bei einer Kundgebung erneut für seine Parteifreunde zu werben.
Doch selbst mit einer hauchdünnen Mehrheit im Senat würde das Regieren für den künftigen Präsidenten zu einem schwierigen Balanceakt. Nicht bei allen Themen sind die Demokraten einer Meinung. Zudem sind für wichtige Gesetzgebungsvorhaben 60 Stimmen erforderlich. Auch deshalb hat Biden auf Schärfen im Wahlkampf verzichtet und stets für eine Überwindung der politischen Spaltung geworben. Der Polit-Veteran vertraut auf seine 36-jährige Erfahrung im Senat und persönliche Kontakte zu Ex-Kollegen im republikanischen Lager. „Sobald Trumps Schatten verblasst, werdet ihr eine Menge Veränderung sehen“, prophezeite er seinen Unterstützern. Doch es ist keineswegs sicher, dass die traditionellen politischen Gesetze in dem vergifteten Klima Washingtons noch gelten.
Ob es genügend Republikaner gibt, die zu einer konstruktiven Zusammenarbeit und einem Konflikt mit ihrer fanatisierten Basis bereit sind, wird sich schnell zeigen. Bidens Kabinett muss vom Senat bestätigt werden. Hinter den Kulissen werben die Kandidaten schon jetzt im anderen Lager um Unterstützung. Die auch bei Konservativen geschätzte künftige Finanzministerin Janet Yellen dürfte dabei weniger Probleme haben als etwa Neera Tanden, die das wichtige Budgetbüro im Weißen Haus leiten soll. Die Tochter indischer Einwanderer steht bei linken Demokraten im Verdacht einer zu großen Nähe zur Wallstreet, während sie die Republikaner mit Trump-kritischen Tweets gegen sich aufgebracht hat. Die Posts sind längst gelöscht, und die 50-Jährige bemüht sich um Vertrauensbildung. Doch nicht jeder kann eine solche Charme-Offensive fahren wie der designierte Außenminister Tony Blinken: Der HobbyGitarrist hat seine besten Songs bei Spotify eingestellt.