Wertinger Zeitung

So knapp ist der Impfstoff wirklich

Die Europäisch­e Union hat zwar 300 Millionen zusätzlich­e Dosen bestellt. Die aber kommen teilweise erst im Herbst. Bis Ende Februar geht es nur zäh voran

- VON DETLEF DREWES UND RUDI WAIS

Brüssel/Augsburg Die Bekanntgab­e guter Nachrichte­n übernimmt Ursula von der Leyen gerne selbst. Am Freitag hatte die Präsidenti­n der EU-Kommission endlich mal wieder eine. Denn ihre Behörde konnte den Abschluss eines Vertrages mit dem Impfstoffh­ersteller Biontech/ Pfizer über die Lieferung von weiteren 300 Millionen Dosen des AntiCorona-Vakzins bekannt geben. Somit erhalten die Mitgliedst­aaten 600 Millionen Dosen des deutsch-amerikanis­chen Hersteller­konsortium­s.

„Das ist eine äußerst positive Entwicklun­g“, meinte von der Leyen. Die Gesamtzahl der von der Kommission und den Mitgliedst­aaten bestellten Dosen liegt nun bei 2,3 Milliarden – selbst wenn man berücksich­tigt, dass jede Person zwei Impfungen benötigt, sind das deutlich mehr, als die EU für ihre 380 Millionen Einwohner im impffähige­n Alter ab 16 Jahren brauchen wird. Doch auch die nun georderten zusätzlich­en Minifläsch­chen werden am überwiegen­d zurückhalt­enden

Start der Impfungen in den 27 Ländern wenig ändern. Denn bis zur Lieferung dauert es noch. Von der Leyen: „Die ersten 75 Millionen Dosen dieser zweiten Bestellung werden im zweiten Quartal geliefert, die übrigen dann im Herbst und Winter.“Für das zögerliche Anlaufen der Impfkampag­ne macht sie Produktion­sengpässe bei den Hersteller­n verantwort­lich. Umso wichtiger ist es, dass die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur die Genehmigun­g erteilt hat, aus jeder Dosis nicht fünf, sondern sechs Impfungen zu ziehen. Die überzählig­en Dosen will die EU an Länder weitergebe­n, die nicht die Möglichkei­ten zum Ankauf von Impfstoffe­n im großen Stil haben. „Das ist Europa“, sagte von der Leyen. „Wir denken nicht nur an uns selbst.“

Auch deshalb ärgert sie sich über Regierunge­n wie die deutsche, der sie selbst lange angehört hat, und die nun auf eigene Faust mit den Hersteller­n verhandelt, um sich zusätzlich­e Kontingent­e zu sichern. „Es wurde rechtsverb­indlich festgelegt, dass es keine Parallelve­rträge gibt“, betonte von der Leyen – und griff damit, ohne ihn beim Namen zu nennen, auch ihren Parteifreu­nd Jens Spahn (CDU) an. Der Gesundheit­sminister will von Biontech/Pfizer weitere 30 Millionen Impfdosen.

Bis Mitte Februar wird Deutschlan­d von Biontech allerdings nur knapp 5,4 Millionen Impfdosen erhalten, von denen 848000 für Bayern bestimmt sind. Dazu kommen nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums über das erste Quartal verteilt noch knapp zwei Millionen Dosen des amerikanis­chen Konzerns

Moderna. Da jeder zweimal geimpft werden muss, reicht diese Menge also noch nicht einmal aus, um die als besonders gefährdete Gruppe in den ersten beiden Monaten des Jahres komplett zu impfen. Zu ihr gehören rund 8,6 Millionen Menschen über 80, Ärzte, Pfleger in Kliniken und Altenheime­n, Sanitäter in Rettungsdi­ensten sowie das Personal in Notaufnahm­en und Impfzentre­n – das wären, wenn sich jeder von ihnen impfen lässt, allein schon 17 Millionen Impfdosen.

Die gegenwärti­gen Verzögerun­gen haben nach Einschätzu­ng des CSU-Gesundheit­sexperten Georg Nüßlein vor allem die Länder und die Landkreise zu verantwort­en. „Das wird sich aber einspielen“, betonte er gegenüber unserer Redaktion. „Klar ist aber auch: Es wurde mitnichten zu wenig bestellt.“Wenn die Lieferplän­e eingehalte­n würden, so Nüßlein, „ist es auch nicht nötig, jetzt Impfstoff für die Zweitimpfu­ng zurückzuha­lten.“

Erst in der vergangene­n Woche hatte Spahn versproche­n, bis zum Sommer werde jeder Bürger ein „Impfangebo­t“bekommen. In Bayern ist am Freitag eine weitere Charge mit 112 000 Impfdosen angekommen, das sind 5000 mehr als erwartet. „Der Impfstoff wird nun so schnell wie möglich verteilt“, versprach der neue Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU).

Lesen Sie dazu auch den Kommen‰ tar. Zwei andere Probleme mit den Impfungen beschreibe­n wir auf Bay‰ ern – welche Ambitionen Jens Spahn noch verfolgt, steht in der Politik.

Von der Leyen ärgert sich über Jens Spahn

Newspapers in German

Newspapers from Germany