Wertinger Zeitung

„Wir müssen uns gegen Virus‰Mutationen wappnen“

SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach fordert von allen Seiten Durchhalte­willen beim Lockdown

- Interview: Michael Pohl

Interview

Herr Professor Lauterbach, in Bayern und Sachsen wurde in zwei Fällen die neue, hoch ansteckend­e Variante des Corona-Virus aus Großbritan­nien nachgewies­en. Nehmen wir die Gefahr durch mutierte Viren und drohende Folgen einer Ausbreitun­g ernst genug? Karl Lauterbach: Die vorliegend­en Daten und Analysen von Epidemiolo­gen sprechen ganz klar dafür, dass die Variante aus Großbritan­nien deutlich ansteckend­er ist als die Virusvaria­nte, mit der wir in Deutschlan­d kämpfen. Wahrschein­lich führt sie zu 50 Prozent mehr Ansteckung­en. Das würde bedeuten, dass wir in Deutschlan­d mit den bestehende­n Lockdown-Maßnahmen diese Virusvaria­nte nicht in den Griff bekämen, wenn wir weiterhin so hohe Fallzahlen haben wie derzeit.

Welche Konsequenz ergibt sich daraus?

Lauterbach: Die dringliche Konsequenz lautet, dass wir die Fallzahlen in Deutschlan­d wirklich auf ein niedriges Maß noch rechtzeiti­g herunterdr­ücken müssen. Wir brauchen eine Sieben-Tage-Inzidenz von unter 25, um zu verhindern, dass wir in eine Situation kommen, dass die mutierte Virusvaria­nte in Deutschlan­d Fuß fassen kann. Wenn die neue Variante in Deutschlan­d Fuß fassen würde und wir bei einer Sieben-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 150 lägen, bekämen wir eine sehr schwer kontrollie­rbare Lage. Wir müssten wahrschein­lich über Monate in einem Lockdown bleiben.

Wie lange müsste der Lockdown verlängert werden, um vom Zielwert 50 nochmals auf 25 herunterzu­kommen? Lauterbach: Das ist wahrschein­lich ein sehr überschaub­arer Zeitraum, der sich lohnt: Wenn man erst mal die 50 erreicht hat, müsste man vielleicht noch zwei Wochen länger durchhalte­n, um auf die 25 zu kommen. Absolut entscheide­nd ist dabei der Grundsatz, dass je niedriger die Fallzahlen sinken, desto leichter lässt sich die Zahl der Neuinfekti­onen noch weiter senken und unter Kontrolle halten. In der jetzigen Situation mit unseren hohen Infektions­zahlen

können die Gesundheit­sämter so gut wie keinen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie mehr leisten, weil bei weit über 50 die Nachverfol­gung einzelner Infektions­wege nicht mal mehr im Ansatz möglich ist. Deshalb lohnt sich der Weg von 50 zu 25 sehr, weil wir dann auch wieder die Gesundheit­sämter im Kampf gegen die Pandemie voll an Bord haben. Deshalb plädiere ich sehr dafür, dass wir uns dieses Ziel setzen und nicht irgendein fixes Datum. Der Lockdown muss so lange gehen, bis wir die 25 erreicht haben und uns damit auch bestmöglic­h gegen die möglichen Virusmutat­ionen wappnen können.

Wird denn inzwischen in Deutschlan­d ausreichen­d auf die neue Virusvaria­nte getestet?

Lauterbach: Nein, das können wir zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht ausreichen­d in Deutschlan­d. Aber das Problem ist erkannt. Derzeit werden die Gen-Sequenzier­ungsmaßnah­men dafür hochgefahr­en. In Fachkreise­n wurde das schon lange befürworte­t, aber jetzt müssen wir nach vorne blicken. Doch wir werden das Problem der Virusmutat­ionen nicht mit solchen Analysen in den Griff bekommen, sondern nur dann, wenn der Lockdown so lange andauert, dass wir auf eine niedrige Inzidenzza­hl herunterko­mmen, um Infektions­ketten einzudämme­n. Und da ist die diskutiert­e Zahl 50 viel zu hoch.

Reichen die verschärft­en Einreisebe­stimmungen, Quarantäne- und Testmaßnah­men aus, um ein Einschlepp­en des Virus von Großbritan­nien zu verhindern?

Lauterbach:

Karl Lauterbach: „Zwei Wochen mehr Lockdown lohnen sich sehr.“

Ja, das reicht aus.

Derzeit wächst die Kritik daran, dass die Lockdown-Verschärfu­ngen auf das Privatlebe­n und die Schulen zielen, aber es für den Arbeitspla­tz lediglich Appelle an die Unternehme­n zu mehr Homeoffice gibt. Viele fordern klare Regeln, etwa verpflicht­endes Homeoffice, außer die Firmen können für die entspreche­nden Arbeitsplä­tze notwendige Ausnahmen begründen … Lauterbach: Wir haben bislang zu wenig darauf geachtet, was sich in den Betrieben abspielt und zu sehr nur auf die Schulen geschaut. In den Betrieben gibt es zahlreiche ungeklärte Infektions­ketten. Deshalb sehe ich das genauso: Das Homeoffice muss deutlich ausgeweite­t werden. Wo immer es möglich ist, muss jetzt jeder Arbeitnehm­er das Recht auf Homeoffice bekommen und alles andere sollte in der momentanen Situation nur noch eine zu begründend­e Ausnahme von dieser Regel sein.

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Foto: Imago

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