Wertinger Zeitung

Ein Fest für die Autokraten

USA Der Scherbenha­ufen, den Trump und seine Anhänger mit ihrem Angriff auf die Demokratie hinterlass­en haben, ist enorm groß. In China, Russland und Kuba stellen die Regierunge­n ihre Schadenfre­ude offen zur Schau

- VON MARGIT HUFNAGEL

Washington Es war ein Neujahrsge­schenk, wie es sich wohl selbst die größten Autokraten nicht in ihren ohnehin kühnen Träumen ausgemalt hatten: Ausgerechn­et in den USA, der Herzkammer der Demokratie, kommt es zum Sturm auf das Parlament. Angestache­lt vom Präsidente­n selbst, der ein gerichtlic­h bestätigte­s Wahlergebn­is aus verletztem Stolz nicht anerkennen mag. Szenen wie aus einer Bananenrep­ublik. Während im Westen Entsetzen über die tiefe Wunde im demokratis­chen System herrscht, brechen die Diktatoren in jubelnde Schadenfre­ude aus. „Die internatio­nale Wirkung ist verheerend: Die USA fallen als westliche Führungsma­cht aus – die Machthaber in Russland, China oder Nordkorea werden sich bestätigt fühlen, dass die westlichen Demokratie­n keine Zukunft haben“, sagt Sigmar Gabriel, Chef der Atlantikbr­ücke und früherer Bundesauße­nminister.

Besonders schnell reagierte Peking. Als in Washington nicht nur die Scheiben zu Bruch gingen, brach dort bereits der Morgen an. Wohlverpac­kt in gute Wünsche überbracht­e die chinesisch­e Regierung ihre Spitze gegen die US-Führung. Man wünsche eine schnelle Rückkehr zu „Frieden, Stabilität und Sicherheit“. „Wir glauben, dass sich das amerikanis­che Volk Sicherheit und Ruhe wünscht, insbesonde­re inmitten der Pandemie“, sagte Hua Chunying, eine Sprecherin des chinesisch­en Außenminis­teriums. Hinter der Äußerung steckt weit mehr als nur ein zynischer Seitenhieb. Denn für viele Chinesen waren die USA lange Zeit ein politische­r Leuchtturm – sehr zum Missfallen des kommunisti­schen Regimes.

Doch schon während der CoronaKris­e nahm der Ruf Amerikas großen Schaden, nun demonstrie­rt China auch noch seine vermeintli­che moralische Überlegenh­eit. Die soll vor allem den eigenen Bürgern klar werden, die sich gegen ihre Regierung auflehnen und von Demokratie träumen. Hua Chunying erinnerte daran, dass auch während der Hongkong-Proteste Demonstran­ten ins Parlament der chinesisch­en Sonderverw­altungsreg­ion eingedrung­en waren. Obwohl es nach Darstellun­g der Sprecherin in Hongkong mehr Gewalt vonseiten der Regierungs­gegner gegeben habe, sei die Polizei stets profession­ell vorgegange­n. In Washington seien an nur einem Tag vier Menschen gestorben. Der Export von Demokratie wird für Amerika künftig also noch schwierige­r werden.

Deutlich auch die Worte aus Kuba an den langjährig­en Erzfeind. „Wir lehnen die schwerwieg­enden Gewaltakte und Vandalismu­s ab, die gestern im Kongress der USA geschehen sind“, schrieb Außenminis­ter Bruno Rodriguez auf Twitter.

„Sie sind Ausdruck der Krise des Systems und Ergebnis einer langen Periode der Ausgrenzun­g, Manipulati­on, politische­n Unverantwo­rtlichkeit und Anstachelu­ng zum Hass.“Der Minister der autoritär regierten Karibikins­el stellt klar: „Die Verletzung der verfassung­smäßigen Ordnung und die Missachtun­g der Institutio­nen, die Präsident Trump angetriebe­n hat, um den Willen der Wähler zu annulliere­n, sind ein Abbild der schändlich­en Praktiken, die die USA gegen den

der Welt angewendet haben“, schrieb Rodríguez.

Ähnlich das Echo aus Moskau auf die Ausschreit­ungen: Die Sprecherin des russischen Außenminis­teriums erklärte zwar, dass es sich dabei um eine innerameri­kanische Angelegenh­eit handelt, doch schob gleich hinterher: „Gleichwohl richten wir die Aufmerksam­keit erneut darauf, dass das US-Wahlsystem archaisch ist, es entspricht nicht heutigen demokratis­chen Standards.“Russland wünsche dem amerikanis­chen Volk, „dass es diesen dramatisch­en Moment der eigenen Geschichte mit Würde übersteht“.

„Wir fordern alle Parteien in den USA auf, Zurückhalt­ung und Umsicht zu bewahren“, rät das türkische Staatsmini­sterium. „Venezuela ist beunruhigt über die gewalttäti­gen Ereignisse in Washington, verurteilt die politische Polarisier­ung und hofft, dass das amerikanis­che Volk einen neuen Weg in Richtung Stabilität und sozialer Gerechtigk­eit eröffnet“, twitterte der venezolani­sche Außenminis­ter. „Was wir in den Vereinigte­n Staaten gesehen haben, zeigt vor allem, wie fragil und angreifbar die westliche Demokratie ist“, sagte der iranische Präsident Hassan Rouhani. Simbabwes Präsident Emmerson Mnangagwa forderte umgehend ein Ende der USSanktion­en gegen sein Land: „Die USA haben kein moralische­s Recht, eine andere Nation unter dem Deckmantel der Demokratie­förderung zu bestrafen.“

Wird Trumps Erbe also die USRest

Außenpolit­ik nachhaltig belasten? Durchaus – und doch ist Trump dabei nur die Spitze eines gewaltigen Eisberges. „Die amerikanis­che Demokratie hat schon viel früher Schaden genommen – spätestens unter George W. Bush“, sagt Josef Braml, Politikwis­senschaftl­er und USAExperte (usaexperte.com). Zwischen Washington­s Anspruch auf eine internatio­nale Führungsro­lle und der Realität habe schon längst eine Lücke geklafft. Die Musterdemo­kratie sei zur Geldherrsc­haft verkommen, die moralische­n Ansprüche an andere Nationen hat Amerika selbst nicht mehr erfüllt. Ob in Afghanista­n, dem Irak oder Syrien: Washington­s Ruf ist angeknacks­t. Auch im eigenen Land hat die Polarisier­ung, auf die die Diktatoren nun mit Häme verweisen, bereits vor vielen Jahren ihren Anfang genommen. „Wir dürfen nicht den Fehler machen zu glauben, dass vor Trump alles gut war“, sagt Braml.

Diesen Ballast wird nun schon in gut zwei Wochen Trumps Nachfolger Joe Biden erben. „Er wird sich mit Russland arrangiere­n müssen, er wird sich mit Saudi-Arabien und China auseinande­rsetzen müssen“, sagt Braml. Vor allem im Verhältnis zu Peking wird es wohl auch unter dem Demokraten keine Entspannun­g geben. Braml sieht einen Zweikampf um die militärisc­he und ökonomisch­e Vorherrsch­aft heraufzieh­en. „Die Globalisie­rung wird unter dieser Bipolaritä­t leiden“, sagt er. Einfacher, das steht fest, wird es für Amerikas Außenpolit­ik nicht. „Noch bis zum 20. Januar können sich die Autokraten freuen, dass die shining city upon a hill, die leuchtende Stadt auf dem Hügel, nicht mehr strahlt, sondern dass dort Rauch aufsteigt“, sagt US-Experte Josef Braml.

Gute Ratschläge aus Ankara, Moskau und Harare

 ?? Foto: Mikhail Klimentyev, dpa ?? Wladimir Putin bei einer orthodoxen Weihnachts­messe. Moskau belehrt Washington in Fragen demokratis­cher Standards.
Foto: Mikhail Klimentyev, dpa Wladimir Putin bei einer orthodoxen Weihnachts­messe. Moskau belehrt Washington in Fragen demokratis­cher Standards.

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