Wertinger Zeitung

Neues Virus stresst England

Gesundheit­ssystem droht Kontrollve­rlust

- VON KATRIN PRIBYL

London Die Straßen verlassen, die Pubs verriegelt, die U-Bahn leer. London ist das Zentrum der Corona-Krise in Großbritan­nien. Bürgermeis­ter Sadiq Khan hat am Freitag wegen der „schwerwieg­enden Situation“in den Krankenhäu­sern den Ausnahmezu­stand ausgerufen. Derzeit trägt hier jeder 30. Bewohner das Coronaviru­s in sich. Die Zahl der eingeliefe­rten Patienten mit Covid-19 hat sich in nur zwei Wochen verdoppelt. Landesweit ist jede 50. Person infiziert.

Die Pandemie ist auf der Insel außer Kontrolle, seit sich eine um 50 bis 70 Prozent ansteckend­ere Mutante des Virus mit dem Namen B.1.1.7. „in frustriere­nder und alarmieren­der Weise“ausbreitet, wie Premiermin­ister Boris Johnson warnte. Seit Dienstag gilt erneut ein harter Lockdown in ganz England, der bis Ostern andauern könnte. Die Menschen dürfen das Haus lediglich für notwendige Aktivitäte­n verlassen. Schulen sind geschlosse­n, Freizeitsp­ort ist nicht erlaubt. Ähnliche Regeln wurden in Schottland, Wales und Nordirland verordnet.

Die Betten in den Krankenhäu­sern sind längst voll. Das Personal kurz vor dem Burn-out. Viele medizinisc­he Angestellt­e in Quarantäne oder selbst krank. Weniger dringende Eingriffe wie Knie- oder HüftOPs seit Monaten abgesagt. Der nationale Gesundheit­sdienst NHS ist in manchen Teilen längst kollabiert. „Man weiß einfach nicht, wem man als Erstes helfen soll“, sagt eine der Intensivpf­legerinnen im Londoner University College Hospital. „Die Patienten verlieren in dramatisch­er Geschwindi­gkeit ihr Leben.“

Die Zahl der Neuinfekti­onen erreichte zuletzt einen Rekordwert. Mehr als 68053 Fälle wurden am Freitag binnen 24 Stunden im Vereinigte­n Königreich gemeldet. Ebenfalls am Freitag registrier­ten die Behörden 1325 Todesfälle – der höchste Wert seit Beginn der Pandemie. „Wenn wir dieses Rennen gewinnen wollen, müssen wir unserer Impfarmee einen Vorsprung ermögliche­n“, sagte Johnson. Ob in Krankenhäu­sern oder Praxen, in Impfzentre­n oder Pflegeheim­en – jegliche Möglichkei­ten sollen jetzt für das Impfprogra­mm ausgeschöp­ft werden. Am gestrigen Freitag ließ Großbritan­nien mit dem Stoff von Moderna das dritte Vakzin zu. Mehr als 1,3 Millionen Menschen haben bereits den Piks erhalten. Bis Mitte Februar will die Regierung über 13 Millionen Menschen, die den höchsten Risikostuf­en angehören, eine erste Dosis verabreich­en. Die Frage bleibt, ob das System bis dahin durchhält.

Newspapers in German

Newspapers from Germany