Wertinger Zeitung

Dieser Mann bleibt ein geniales Rätsel

David Bowie, Phänomen der Popkultur, starb vor fünf Jahren. Viele Legenden ranken sich auch heute noch um ihn. Ein Freund sagt: „Er war nicht Gott. Aber er war nah dran.“

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Musik

Berlin Todesgedan­ken waren bei David Bowie sehr präsent. Schon sein erster Hit, die futuristis­che Ballade „Space Oddity“(1969), schildert das tragische Ende des Astronaute­n Major Tom im kalten Weltall. „Blackstar“(2016), Bowies letztes Album zu Lebzeiten und gewiss eines der besten dieser Pop-Dekade, ist ein düsterer Abschied vom eigenen Leben in sieben monumental­en Songs. Fünf Jahre ist das nun her. Am 10. Januar 2016 starb der britische Pop-Superstar, einer der wichtigste­n Künstler des 20. Jahrhunder­ts, an einem 18 Monate zuvor diagnostiz­ierten Leberkrebs.

Für die Öffentlich­keit kam das völlig überrasche­nd – erst zwei Tage davor, an seinem 69. Geburtstag, hatte er ein neues Studioalbu­m herausgebr­acht. Zu der mit einem Schock endenden Laufbahn gehörten da bereits der legendäre Bühnen-Tod von Bowies Kunstfigur Ziggy Stardust 1973, lebensbedr­ohliche Grenzerfah­rungen durch Drogenmiss­brauch – und die Trauer darüber, dass die Zeit begrenzt ist.

Bowies Tod 2016 war für Millionen Fans so einschneid­end wie der von Michael Jackson 2009, John Lennon 1980 oder Elvis Presley 1977. Die Reaktionen: überwältig­end. In seiner Geburtssta­dt London am Ziggy-Wandgemäld­e, in Bowies langjährig­er Wahlheimat New York – und auch in Berlin, wo der bis heute als Berliner vereinnahm­te Künstler in den 70ern zwei äußerst produktive Jahre verbracht hatte, mit der „Heroes“-Hymne als Höhepunkt. Seither wird ein BowieKult gepflegt, unter anderem mit zahllosen Buch-, Comic- und Musikveröf­fentlichun­gen, die aber noch längst nicht alle Rätsel um den Pop-Magier gelöst haben.

Die wohl wichtigste Biografie nach dem Tod des Musikers hat Dylan Jones geschriebe­n. Für „David Bowie: Ein Leben“(auf Deutsch 2018) sprach der GQ-Journalist laut Rowohlt-Verlag „mit 182 Freunden, Rivalen, Liebhabern und Liebhaberi­nnen und Familienan­gehörigen“. Schattense­iten des Genies wie seine zeitweilig­e Hitler-Faszinatio­n oder die Gier nach „Groupies“blieben aber unterbelic­htet, wie Kritiker bemängelte­n. Der Kultur-Journalist und Buchautor Tobias Rüther („Helden. David Bowie und Berlin“) meint, dass es bei der Aufarbeitu­ng mancher 70er-JahreExzes­se noch Luft nach oben gibt: „Es wäre interessan­t, Bowies Sonderbewu­sstsein und den Wunsch nach populistis­cher Führung Großbritan­niens um 1975, 1976 herum im Lichte des Brexits anzuschaue­n“, sagt er. Und: „Dass man das Verhalten männlicher Rockstars wie Bowie gegenüber Groupies immer noch als Kavaliersd­elikt betrachtet, finde ich grauenhaft.“Dem Ansehen des Musikers haben solche Abgründe nicht geschadet – Bowie ist auch nach seinem Tod Pop-Kultur.

In Berlin gibt es bis heute eine besondere Verehrung für den Briten. In der Schöneberg­er Hauptstraß­e 155, wo Bowie von 1976 bis 1978 weitgehend anonym lebte und seine Kokainsuch­t überwand, wurde im Sommer 2017 eine Gedenktafe­l aufgehängt. Bowie erinnerte sich gern an diese Jahre: „Ich hatte das Gefühl, dass damals in Berlin eine riesige Last von mir weggehoben wurde“, sagte er noch 25 Jahre danach.

Dass Bowie nicht als Popstar von gestern starb, sondern als gerade hochaktuel­ler Künstler, liegt im hohen Maß an seinen letzten Alben. Das Comeback-Werk „The Next Day“(2013) und das 2017 posthum mit vier Grammys dekorierte „Blackstar“zeigten ihn auf der Höhe seiner Kunst. „Dass zwischen seiner letzten Platte und seinem Tod nur Tage lagen, hat den Schock und die Trauer vergrößert und den Blick auf Bowie sicher milder gemacht“, sagte Bowie-Experte Rüther. Ob angeblich existieren­de letzte Songs noch auf den Markt kommen, ist unklar. Bowies Freund, der Produzent Tony Visconti, sagt über ihn zum fünften Todestag: „Im Gegensatz zu dem, was viele Fans so denken – er war nicht Gott. Aber er war nah dran.“

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Foto: Harald Menk, dpa David Bowie, hier 1987 bei einem Konzert am Nürburgrin­g.

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