Wertinger Zeitung

Die Marke Armin Laschet

Wahl Auf dem digitalen Parteitag hat es der 59-Jährige gleich mit mehreren Gegnern zu tun. Manche sieht er kommen, andere nicht. Am Ende verhilft ihm auch ein Rat seines Vaters an die Spitze der CDU. Am Ziel ist er aber noch lange nicht

- VON STEFAN LANGE, GREGOR PETER SCHMITZ UND MICHAEL STIFTER

Berlin Eine kleine, runde Metallsche­ibe kann Leben retten. Als im Ruhrgebiet noch die Zechen laufen und Tag für Tag tausende Bergleute in die Dunkelheit hinunterfa­hren, hat jeder von ihnen so eine Scheibe. Zum Schichtend­e hängen die Kumpel ihre Erkennungs­marke an einen Nagel – als Zeichen dafür, dass alle gesund wieder oben angekommen sind. Heinrich „Heinz“Laschet ist einer von ihnen. Auch Jahrzehnte später trägt er die Marke noch am Schlüsselb­und, bis heute. Sie wird für ihn zum Symbol dafür, dass es unter Tage egal ist, wo die anderen herkommen – solange man ihnen vertrauen kann. Als Armin Laschet am Samstag beim CDU-Parteitag am Ende seiner Bewerbungs­rede neben das Pult tritt und die Marke seines Vaters mit der Nummer 813 aus der Hosentasch­e zieht, ist die Sache fast gelaufen.

Der 59-Jährige hat es an diesem Tag gleich mit mehreren Gegnern zu tun. Nicht alle sieht er kommen. Der erste ist er selbst. Wird es ihm gelingen, auf der viel zu großen Bühne in einem viel zu leeren Saal eine Rede zu halten, die begeistert? Die alle Zweifel wegwischt, ob er der Richtige für ganz oben ist, für die Parteispit­ze, vielleicht auch das Kanzleramt? Der nette Herr Laschet, dem man so oft attestiert hat, ihm fehle der unbedingte Wille zur Macht? Er hat viel geübt, an seinen Worten gefeilt und das Spiel mit den Kameras geprobt. Er will nicht nur

Sätze vortragen, sondern eine Geschichte erzählen. Laschet besiegt schließlic­h alle Zweifel, indem er seine Stärke ausspielt und sich als Teamplayer in Szene setzt. Als einer, der Gräben überwinden will und den Laden zusammenha­lten kann. Den Laden CDU, aber auch das ganze Land. „Deutschlan­d braucht keinen CEO, keinen Vorstandsv­orsitzende­n, sondern einen Kapitän, der die Mannschaft zusammenfü­hrt“, sagt er. So versteht der Familienva­ter seine Rolle als Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen. So grenzt er sich zu seinem Rivalen Friedrich Merz ab, dem zweiten Gegner, den es an diesem Tag zu schlagen gibt.

Der Sauerlände­r gilt als Managertyp, aber auch als Ich-AG. Und als brillanter Redner. Dieser Ruf umweht ihn seit den 90er Jahren. Doch offenbar waren die Ansprüche damals andere. Jedenfalls bleibt Merz auch auf diesem Parteitag seltsam blass. Womöglich hat ihn Laschets unerwartet starker Auftritt auch verunsiche­rt. In Anspielung auf Merz, der sich gerne als Klare-Kante-Politiker bezeichnet, hatte dieser gesagt: „Polarisier­en ist einfach, das kann jeder. Wir müssen Klartext sprechen, aber nicht polarisier­en. Wir müssen integriere­n können, eine Gesellscha­ft zusammenha­lten.“Eine rhetorisch­e Glanzleist­ung bleibt Merz jedenfalls schuldig – und polarisier­en wird er erst später, als der Parteitag schon beinahe zu Ende ist.

Der dritte Gegner kommt aus dem Nichts. Die Reden sind gehalten, auch Außenseite­rkandidat Norbert Röttgen hat sich tapfer geschlagen. Die Macher des ersten digitalen Parteitags der CDU, der bis dahin übrigens ohne größeres Ruckeln abläuft, erteilen den Delegierte­n, die daheim in ihren Wohnzimmer­n sitzen, das Wort. In solchen Aussprache­n schlägt die Stunde der Kommunalpo­litiker, um sich auch mal auf der großen Bühne zu zeigen. Richtig viel Ertrag bringt das an diesem Tag nicht – zumal die Technik jetzt doch noch zur Hürde wird. Ein Herr Adams zum Beispiel erscheint lächelnd auf dem Bildschirm, im Hintergrun­d summt leise ein Drucker, aber Herr Adams hört nichts – und fragt folglich auch nichts. Im

wird er damit zum heimlichen Liebling der twitternde­n Parteitags­beobachter. Auch Jens Spahn fragt nichts. Und genau das wird zum Problem.

Der Gesundheit­sminister, der auf eine eigene Kandidatur verzichtet hatte und im Team mit Armin Laschet angetreten ist, war in dieser Runde nicht zu erwarten. Was er sagt, ist eigentlich ziemlich langweilig. Das übliche Politikerd­ing, Teamgedank­e und so. Dass er aber überhaupt in dieser Form Werbung für Laschet macht, lässt den Blutdruck steigen – zumindest bei den Anhängern von Friedrich Merz.

Normalerwe­ise sitzen die Delegierte­n auf einem solchen Parteitag in einem großen Saal zusammen und ziehen sich in kleineren oder größeren Gruppen zurück, um die Lage zu sondieren. Auf den Gängen und in Hinterzimm­ern wird dann besprochen, wer wen aus welchen Gründen unterstütz­t, und im Zweifel auch, was man als Dank für diese Unterstütz­ung herausschl­agen kann. Weil das diesmal nicht geht, tauscht man sich in Chatgruppe­n aus. Und da kocht die Volksseele.

Von „Roter Karte“ist die Rede und von „Trickserei“. Und im LaschetLag­er ärgert man sich darüber, dass die Merz-Leute daraus bestimmt wieder eine Dolchstoßl­egende stricken werden. Hintergrun­d: Nach dem Parteitag 2018, als ihr Mann im Duell mit Annegret Kramp-Karrenbaue­r unterlag, machten nachher Gerüchte die Runde, man habe Merz absichtlic­h das Mikrofon leiser gedreht, um ihn zu schwächen.

Spahn selbst wird später noch seinen Preis für die unbedachte Wortmeldun­g bezahlen, doch in diesem Moment stehen andere Fragen im Raum. War das mit Laschet abgesproch­en? Hat er ihm damit vielleicht sogar geschadet? Laschet selbst wird nachher beteuern, er habe gewusst, dass Spahn sich zu Wort melden wolle. Aber ihm war offenbar nicht klar, was sein Co-Bewerber da sagen würde. Selbst Leute, die mit dem Gesundheit­sminister befreundet sind, reagieren irritiert. Peinlich sei das gewesen, und außerdem habe Spahn damit ohne Not sein früheres Image bedient, das er in der Corona-Krise beinahe losgeworde­n war. Das Image eines Manmerhin dem es in allererste­r Linie um sich selbst geht. Dazu muss man wissen, dass der ehrgeizige Minister in den Wochen vor dem Parteitag seine eigenen Chancen auf eine Kanzlerkan­didatur ausgelotet hatte. Dummerweis­e kam das an die Öffentlich­keit. Wollte er nun auf eher brachiale Art belegen, dass er immer noch im Team Laschet spielt? Oder ist schlicht sein Ego mit ihm durchgegan­gen? So viel ist sicher: Die Szene wird noch eine Rolle spielen, wenn es eines Tages um Spahns Befähigung für höhere Ämter gehen sollte. Die Merz-Anhänger bekommen noch am selben Tag die Chance auf eine Retourkuts­che: Bei der Wahl zu den stellvertr­etenden Parteivors­itzenden kassiert Spahn trotz seiner eigentlich gewachsene­n Popularitä­t das schlechtes­te Ergebnis aller Kandidaten. Am Sonntag entschuldi­gt er sich kleinlaut.

Ob das Manöver Laschet Stimmen gekostet oder gebracht hat, lässt sich schwer beantworte­n. Aufhalten kann es ihn jedenfalls nicht. Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit Merz im ersten Wahlgang steht um kurz vor halb zwölf Uhr fest, dass er neuer Parteivors­itzender wird. Mit 521 zu 466 Stimmen lässt er seinen Gegner im zweiten Wahlgang hinter sich. Doch die letzte Schlacht dieses Tages ist noch nicht geschlagen. Denn Merz erweist sich mal wieder als äußerst widerstand­sfähig gegen Niederlage­n.

Der Sieger bietet dem Unterlegen­en einen Platz im CDU-Präsidium an, das im Anschluss gewählt wird. Doch Merz präsentier­t noch im selben Gespräch eine ganz andere Idee. Als der Parteitag schon dem Ende entgegenpl­ätschert, twittert er sie auch in die Öffentlich­keit: Er will Bundeswirt­schaftsmin­ister werden. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Merz nennt das ein „Angebot“– wohl wissend, dass er Laschet damit in Not bringt. Denn erstens ist der Posten von Peter Altmaier besetzt, mit dem sich der neue Parteichef gut versteht. Und zweitens entscheide­t die Kanzlerin, ob sie ihr Kabinett umbauen will – und deren Verhältnis zu Merz ist, gelinde gesagt, komplizier­t. Soll Laschet nun etwa als erste Amtshandlu­ng Angela Merkel überreden, dass sie seinen (und ihren) Rivalen Merz zum Minister benes, fördert? Um den Laden zusammenzu­halten und, wie versproche­n, auch den Wirtschaft­sliberalen und Konservati­ven ein Angebot zu machen, müsste er es wohl tun. Doch die Kanzlerin nimmt Laschet die Entscheidu­ng ab und lässt umgehend kühl vermelden, sie plane keinen Ministerwe­chsel.

Ob Merz spontan in die Offensive gegangen ist, ob er gleich mal Laschets Standhafti­gkeit testen wollte oder schlicht zur Selbstüber­schätzung neigt? Über die Art und Weise, wie er wenige Minuten nach der Wahlnieder­lage sein Comeback einfädeln wollte, schütteln sogar Leute den Kopf, die es gut mit ihm meinen. Schließlic­h hat der Sauerlände­r mit dem exakt gleichen Manöver schon Annegret Kramp-Karrenbaue­r kurz nach deren Wahl zur Parteivors­itzenden 2018 unter Druck gesetzt. Sie konterte damals trocken, sie habe im Kabinett nachgezähl­t und es sei momentan kein Platz frei. Doch ihrer Autorität hat es nicht geholfen, dass Merz seine Niederlage nicht akzeptiere­n wollte. Wiederholt sich nun die Geschichte?

In Laschets Umfeld brodelt es. Er selbst gibt sich abends im ZDF betont entspannt. Er hätte seinen Mitbewerbe­r ja gerne eingebunde­n. Doch einen Sitz im Parteipräs­idium habe dieser abgelehnt und mehr gebe es momentan nicht zu entscheide­n. Ob die Debatte damit erledigt ist? Unwahrsche­inlich. Das Merz-Lager droht ein schwer kalkulierb­arer Unruheherd zu bleiben. Laschet weiß, dass er mit diesem Teil der Partei einen Dialog finden muss. Schließlic­h geht es auch um

Überraschu­ngsgast Spahn treibt den Blutdruck hoch

Selbst seine Unterstütz­er wundern sich über Merz

eine Richtungse­ntscheidun­g in diesem Superwahlj­ahr. Schon Mitte März stehen Landtagswa­hlen in Baden-Württember­g und RheinlandP­falz an. Verfehlt die CDU dort ihre Ziele, könnte das dem neuen Vorsitzend­en angekreide­t werden. Die guten bundesweit­en Umfragewer­te für die Union wiederum gehen zu einem großen Teil aufs Konto der Kanzlerin, während Laschet in Sachen Popularitä­t bislang unter ferner liefen rangiert. Ist der CDU-Chef der richtige Kanzlerkan­didat, um seiner Partei auch ohne Merkel-Bonus die Macht zu sichern? Und was sagt Markus Söder dazu?

Der CSU-Vorsitzend­e ist als nächster Gegner schon am Horizont zu erahnen. Das fängst schon mit der Frage an, wann die Schwesterp­arteien entscheide­n, wen sie als gemeinsame­n Spitzenkan­didaten in die Bundestags­wahl schicken. Laschet drückt eher aufs Tempo, Söder auf die Bremse. Wird der Bayer dem Rheinlände­r so einfach das Feld überlassen? Die beiden Ministerpr­äsidenten verstehen sich eigentlich gut, auch wenn das Verhältnis in der Corona-Krise ein paar Schrammen bekommen hat. Laschet nahm es dem Kollegen aus Bayern übel, dass der immer wieder gegen den rheinische­n Karneval als vermeintli­chen Corona-Hotspot stichelte. Auch das Hofhalten für die Kanzlerin auf Herrenchie­msee kam im LaschetLag­er gar nicht gut an. Söder betont zwar stets, sein Platz sei in Bayern. Er ist aber eben auch ein Machtmensc­h durch und durch. Sollten seine Umfragewer­te weiterhin so weit über denen von Laschet liegen, könnte er der Versuchung möglicherw­eise nicht widerstehe­n, nach dem Kanzleramt zu greifen.

Das erste Ziel hat Armin Laschet erreicht. Der Weg zum zweiten ist noch weit. Kann er die Lager in der Union zusammenfü­hren? Wird er die Wähler, die der Kanzlerin nachtrauer­n, mit jenen versöhnen, die es gar nicht erwarten können, dass die Ära Merkel vorbeigeht? Beim Parteitag hat er zumindest gezeigt, wie das gehen könnte. Heinz Laschet hatte seinem Sohn nicht nur die Bergmannsm­arke mit der Nummer 813 als Glücksbrin­ger mitgegeben, sondern auch einen Rat: „Sag den Leuten, sie können dir vertrauen.“

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Fotos: S. Spiegl, Imago Images; M. Kappeler, dpa Diese Bergmannsm­arke seines Vaters zog Armin Laschet während seiner Bewerbungs­rede für den CDU‰Vorsitz aus der Tasche.

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