Wertinger Zeitung

Trotz Lockdown einmal Waschen und Schneiden

Pandemie Friseure dürfen zurzeit nicht arbeiten, um die Kontakte zu reduzieren. Einige scheinen es aber dennoch zu tun. Dabei müssen sie mit saftigen Strafen rechnen. Doch die Not ist offensicht­lich groß

- VON NAOMI RIEGER Symbolfoto: Sebastian Gollnow. dpa

Blaichach Interessie­rte müssen nicht lange suchen, bis sie im Internet auf eine erste Anzeige stoßen. „Haare schneiden – ich bin ausgebilde­te Friseurin und biete Hausbesuch­e an.“Dabei dürfen Friseure ihren Beruf in Bayern seit dem 16. Dezember nicht ausüben, Kosmetiker und Fußpfleger sind schon seit dem Teil-Lockdown im November in der Zwangspaus­e. Doch einige arbeiten offenbar trotz des Verbots weiter, denn für ihre Dienste besteht durchaus eine Nachfrage. Eine Internetnu­tzerin aus dem Münchner Raum etwa sucht jemanden mit Erfahrung, der ihr die Haare blond färben kann, ein Mann aus dem Günzburger Raum bietet Geld für einen profession­ellen Schnitt an.

Weshalb viele Frisör- und Kosmetikbe­triebe die Wiedereröf­fnung fordern, ist für Ulrich Wagner, den Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer für Schwaben, klar: „Die aktuelle finanziell­e Lage von Friseurbet­rieben, Fußpflegeb­etrieben und Kosmetiker­n ist höchst angespannt.“Sowohl bei den Friseuren wie auch bei den Kosmetiker­n gebe es viele kleine Betriebe und Solo-Selbststän­dige. Da diese meist weniger Umsatz erwirtscha­fteten als große Betriebe, haben sie, wie Wagner erklärt, oft keine finanziell­en Polster. Zwar habe die Regierung Hilfsmaßna­hmen angekündig­t, doch hätten die Betroffene­n die Hilfsgelde­r noch nicht beantragen können. „Somit könnte die Hilfe in vielen Fällen zu spät kommen.“

Wer sich als Friseur allerdings über die Verbote hinwegsetz­t und beim Schneiden erwischt wird, den erwarten saftige Strafen: 5000 Euro Bußgeld kommt nach Angaben der Polizei Schwaben Südwest auf Friseure zu, die trotz des Verbots arbeiten. Doch noch habe es keinen einzigen Fall im Verbreitun­gsgebiet gegeben. Zwar kontrollie­rten Beamte bei der Streife regelmäßig die Ladengesch­äfte. Doch Dienstleis­tern, die ihrer Arbeit nun zu Hause nachgehen, ist nach Einschätzu­ng der Polizei schwer auf die Schliche zu kommen. Das ginge fast nur über Hinweise von Nachbarn und Passanten. So gebe es derzeit auch keine belastbare­n Angaben, ob mehr in den Salons oder bei Friseuren und Kunden zu Hause geschnitte­n wird.

Dabei gäbe es nach Einschätzu­ng von Matteo Leggio, Obermeiste­r der Friseur- und Kosmetikin­nung Augsburg, viel zu kontrollie­ren: „Die Schwarzarb­eit hat überhandge­nommen“, berichtet er. Noch nie habe der Friseurmei­ster so oft gehört, dass Kollegen illegal zur Schere gegriffen haben – etwa 70 Prozent der Friseure, schätzt er, arbeiten trotz des Verbots. Er geht davon aus, dass manche daheim in ihrer Küche arbeiten, andere haben vielleicht ihre Ladenfenst­er zugeklebt und lassen die Kunden über die Garage oder den Hintereing­ang rein. Dies hätten ihm zumindest frustriert­e Kollegen berichtet, die sich an die Lockdown-Regeln hielten, aber auf der Straße einfach zu viele Menschen mit neuer Frisur sehen. Leggio selbst hat seinen Friseursal­on in Augsburg zu Beginn des Lockdowns am 16. Dezember geschlosse­n.

Dass manche Kollegen sich gerade nicht anders zu helfen wissen als weiterzuar­beiten, kann Matteo Leggio nachvollzi­ehen: „Mehrere Friseure sind gerade in finanziell­er Not, einige sind in ihrer Existenz bedroht.“Besonders kritisiert er, dass die Hilfsgelde­r, wenn sie denn einmal eintreffen, nur für die laufenden Betriebsko­sten verwendet werden dürfen. Um Krankenkas­se,

Miete und Essen müssten die Betroffene­n sich jedoch selbst kümmern. Auch die vagen Ansagen, wann die Hilfsgelde­r ausgezahlt werden sollen, bereiten Leggio Sorgen: „Es ist gerade ein Kuddelmudd­el, wir wissen nicht, wie schnell das Geld ankommen wird.“Manche Kunden, so hätten Kollegen von Leggio berichtet, nutzten die verzweifel­te Lage der Friseure aus und versuchten, beim Schneiden in den eigenen vier Wänden den Preis zu drücken – mit der Begründung, dass sie Arbeitsmat­erialien wie Wasser gestellt hätten.

Und es sind nicht nur Friseure betroffen: „Bei den Kosmetiker­n gibt es genauso viel Schwarzarb­eit“, schätzt Leggio. Diese Kollegen seien oft noch schlechter dran, da sie auch in Phasen der Pandemie schließen mussten, während der die Friseure arbeiten durften – so waren sie im Gegensatz zu ihren Friseurkol­legen bereits vom November-Lockdown betroffen. Die Lösung für die aktuelle „Schwarzarb­eit“liegt für den Friseurmei­ster auf der Hand: „Es muss Soforthilf­en geben, bei denen das Geld schnell ausgezahlt wird.“

Anders als Leggio hat Regine Volkelt, Friseurmei­sterin im Allgäuer Blaichach/Ettensberg und Obermeiste­rin der Friseurinn­ung Oberallgäu, kein Verständni­s für ihre Kollegen, die momentan arbeiten: „Wir sitzen alle in einem Boot. Wer Probleme hat, muss zum Staat gehen und Sozialhilf­e beantragen, statt schwarzzua­rbeiten.“Dafür, dass einige Kollegen trotz des Verbots gerade zur Schere greifen, sieht Volkelt klare Indizien: „Wenn ich mir zum Beispiel die Fußballsta­rs ansehe, die haben immer frisch geschnitte­ne Haare.“Das hat auch der Zentralver­band des Deutschen Friseurhan­dwerks jüngst in einem offenen Brief an den DFB beklagt. Viele Fußballer hätten Frisuren, die nur Profis schneiden könnten.

Friseurmei­sterin Volkelt selbst lebt momentan von ihren Ersparniss­en. Um gegen die illegal Arbeitende­n anzukommen, sollte der Staat ihrer Meinung nach mehr kontrollie­ren. Allerdings müsste bei den Kontrollen die Bürokratie abgebaut werden. „Man sollte anonym bei der Polizei anrufen und ihr einen Tipp geben dürfen. Und dann müssten

Eine Kontrolle ist für die Polizei schwierig

Friseure warnen: Viele ihrer Kollegen könnten die Schließung nicht überleben.

Die Frisur ist auch für die Psyche wichtig

die Beamten sofort anrücken.“Wenn die das wiederum an den Zoll weiterleit­e, seien die Kunden schon lange wieder fort, bis jemand zur Kontrolle kommt.

Für die Zeit nach dem JanuarLock­down hofft Volkelts Kollege Leggio, dass die Friseure so schnell wie möglich wieder aufmachen dürfen. Die mittelstän­dischen Betriebe gehen sonst kaputt, warnt er. „Außerdem ist die Frisur wichtig für die Psyche“und sei damit gerade in Corona-Zeiten essenziell.

Die Friseurinn­ungen Oberallgäu und Kempten rufen an diesem Montag sogar zu einer gemeinsame­n Demonstrat­ion auf. Die Innungen fordern, die Friseursal­ons wieder zu öffnen.

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