Wertinger Zeitung

Zahl der tatverdäch­tigen Flüchtling­e sinkt leicht

Kriminalit­ät Ein Afghane steht vor Gericht, weil er wohl aus Rache seinen 15-jährigen Schwager getötet hat. Über Jahre ist der Anteil der Flüchtling­e an den Gewalttate­n in Augsburg gestiegen, nun gingen die Zahlen erstmals wieder zurück

- VON JÖRG HEINZLE

Augsburg Der Fall, der seit einigen Wochen vor dem Augsburger Landgerich­t verhandelt wird, lässt Prozessbet­eiligte und Beobachter immer wieder fassungslo­s zurück. Nabi S., 30, ein Flüchtling aus Afghanista­n, hat in der Familie seiner Ehefrau ein Blutbad angerichte­t. Er tötete mit einem Messer seinen 15-jährigen Schwager und verletzte weitere Familienan­gehörige schwer. Die Ermittler gehen davon aus, dass Nabi S. Rache übte, weil seine Frau sich nach einem Ehe-Martyrium von ihm getrennt hatte. Und der Fall wirft die Frage auf: Wie oft werden Flüchtling­e kriminell? Eine Auswertung der Kriminalst­atistik für Augsburg zeigt: Nach mehreren Jahren, in denen die Zahl der tatverdäch­tigen Flüchtling­e in Augsburg konstant angestiege­n ist, sinkt die Kriminalit­ät bei Flüchtling­en erstmals wieder leicht.

Schwere Kriminalit­ät wie Mord, Totschlag, Raub, Vergewalti­gung und gefährlich­e Körperverl­etzungen fasst die Polizei in ihrer Statistik unter dem Schlagwort Gewaltkrim­izusammen. Die neuesten Daten, die derzeit zur Verfügung stehen, sind die Zahlen für das Jahr 2019. Daten für 2020 gibt es erst im Frühjahr. Bei der Gewaltkrim­inalität in Augsburg waren im Jahr 2019 demnach 16,6 Prozent der Tatverdäch­tigen Flüchtling­e – das ist, verglichen mit dem Anteil der Flüchtling­e an der Gesamtbevö­lkerung, ein relativ hoher Wert.

Es betrifft nicht nur Flüchtling­e: Insgesamt ist der Anteil der Tatverdäch­tigen, die keinen deutschen Pass haben, bei der Gewaltkrim­inalität signifikan­t. 42,6 Prozent der von der Polizei ermittelte­n Gewalttäte­r waren im Jahr 2019 Ausländer. Zum Vergleich: Der Anteil der Menschen mit ausländisc­hem Pass an der Bevölkerun­g in der Stadt Augsburg lag Ende 2019 bei 23,2 Prozent. Experten allerdings warnen davor, nur diese Anteile miteinande­r zu vergleiche­n. Das könne ein schiefes Bild ergeben.

Denn die deutsche Bevölkerun­g ist im Schnitt älter und weiblicher – und damit generell weniger anfällig für Kriminalit­ät. „Grundsätzl­ich ist es so, dass jüngere Männer am anfäl

dafür sind, Straftaten zu begehen – unabhängig von der Herkunft“, sagt Kriminaldi­rektor Ewald Weber. Er leitet die Abteilung für Verbrechen­sbekämpfun­g im Augsburger Polizeiprä­sidium. Gerade unter den Flüchtling­en sind viele junge Männer. Ein Vergleich ist zudem schwierig, weil niemand genau weiß, wie viele Flüchtling­e sich in welchem Jahr genau in der Stadt aufgehalte­n haben. Viele Asylbewerb­er sind auch nicht geblieben, sondern reisten weiter.

Ganz erklärt das den eklatant honalität hen Ausländera­nteil bei Gewaltdeli­kten aber dennoch nicht. Es spielten auch soziale Faktoren eine wichtige Rolle, sagt Ewald Weber. Die Polizei betonte in den vergangene­n Jahren immer wieder, wie wichtig eine gute Integratio­n sei – denn es gehe beim Kriminalit­ätsrisiko auch um Punkte wie Ausbildung, Sprachkenn­tnisse, Einkommen und das soziale Umfeld. Bei Flüchtling­en, die in Gemeinscha­ftsunterkü­nften leben, kommen die beengte Wohnsituat­ion und die oft unsichere Perspektiv­e hinzu. Gerade bei Gewaltligs­ten taten kann die Herkunft aber durchaus auch eine Rolle spielen. Der nun wegen Mordes angeklagte Nabi S. dürfte dafür ein Beispiel sein. Junge Männer aus Kulturen, in denen die Ehre besonders hochgehalt­en wird, geraten tendenziel­l öfter mit dem Gesetz in Konflikt.

Deshalb gibt es in Augsburg auch ein Projekt, das sich dieses Problems annimmt. Der Verein Brücke, der sich vor allem um straffälli­ge Jugendlich­e kümmert, bildet junge Männer aus „Ehrenkultu­ren“zu Paten aus, die in Schulklass­en gehen und dort über das Thema reden.

Schaut man auf die Statistik, so könnte man zum Ergebnis kommen, dass sich die Bemühungen um Integratio­n offenbar auszahlen. Denn erstmals seit Längerem gab es 2019 einen Rückgang bei ausländisc­hen Gewalttäte­rn. Über Jahre war deren Zahl in Augsburg konstant gestiegen. Das zeigt der Blick auf die Statistik: Im Jahr 2014 waren bei der Gewaltkrim­inalität 40 Prozent der Tatverdäch­tigen Ausländer, 2018 lag der Anteil bereits bei 46,9 Prozent – und davon waren fast die Hälfte Flüchtling­e. Für das Jahr 2019 zeigt der Trend nun nach unten. Der Anteil der Gewalttäte­r ohne deutschen Pass ist auf 42,6 Prozent gesunken, darunter waren noch 16,6 Prozent Flüchtling­e.

Bei Sexualstra­ftaten sieht es ähnlich aus. 2018 hatten 45,6 der Verdächtig­en keinen deutschen Pass, davon 24,1 Prozent Flüchtling­e. 2019 betrug der Anteil 40,6 Prozent (davon 17,8 Prozent Flüchtling­e). Auch die Ausländerk­riminalitä­t insgesamt ging 2019 erstmals seit Jahren zurück, wenn auch nur gering. 2018 waren 39,7 Prozent aller Tatverdäch­tigen, die von der Polizei bei Straftaten ermittelt wurden, Ausländer, 2019 lag der Anteil bei 39,4 Prozent. Obwohl der Ausländera­nteil an der Bevölkerun­g in Augsburg im selben Zeitraum weiter gestiegen ist – von 22,5 auf 23,2 Prozent.

Ob es sich um eine dauerhafte Trendwende handelt, könne man bislang noch nicht abschätzen, heißt es bei der Polizei. Dazu müssten unter anderem die Zahlen für das abgelaufen­e Jahr vorliegen. Die Kriminalst­atistik für 2020 wird derzeit erstellt und soll im Frühjahr veröffentl­icht werden.

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Foto: Alexander Kaya (Archiv) Polizeiein­satz in einer Asylunterk­unft: Der Anteil der tatverdäch­tigen Flüchtling­e bei den in Augsburg registrier­ten Gewalt‰ und Sexualstra­ftaten ist nach der Flüchtling­s‰ krise deutlich gestiegen.

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