Wertinger Zeitung

Rehfütteru­ng: Aus Not oder Eifer?

Natur In Bayern können Jäger selbst über eine Wildfütter­ung im Winter entscheide­n. Im Landkreis Dillingen gibt es über die derzeitige Notwendigk­eit unterschie­dliche Meinungen

- VON VANESSA POLEDNIA

Landkreis Aislingens Bürgermeis­ter Jürgen Kopriva nutzt die heimischen Wälder gerne für ausgedehnt­e Spaziergän­ge mit dem Hund. Dabei ist ihm aufgefalle­n, dass schon seit geraumer Zeit Futter für das Wild zur Verfügung steht. „Diese Futterstät­ten sollten nur in Notzeiten bestückt werden, zum Beispiel, wenn über einen längeren Zeitraum sehr viel Schnee liegen bleibt“, sagt Kopriva auf Nachfrage unserer Zeitung. Für ihn hat diese Fütterung weniger mit der Not der Tiere als vielmehr damit zu tun, sie davon abzuhalten, die Bäume abzuknabbe­rn oder auf den Feldern Nahrung zu suchen. Kopriva findet deutliche Worte: „Das bambi-mäßige Dauerfütte­rn ist nicht waidmännis­ch.“

Helmut Jaumann, Erster Vorsitzend­er der Kreisjäger­vereinigun­g Dillingen, ist da anderer Meinung. Die Hege, also die Gesamtheit der Maßnahmen zur Pflege und zum Schutz von Tieren und Pflanzen, sei die Aufgabe jedes Jägers beziehungs­weise Jagdpächte­rs. Dazu gehöre auch die Notzeitfüt­terung. „Was als Notzeit bezeichnet wird, entscheide­t in Bayern jeder Jäger selbst“, sagt Jaumann.

Gemäß dem Bayerische­n Jagdgesetz ist der jeweilige Revierinha­ber verpflicht­et, in der Notzeit für eine angemessen­e Wildfütter­ung zu sorgen und die dazu erforderli­chen Fütterungs­anlagen zu unterhalte­n. Grundlegen­d ist daher das Vorliegen einer Notzeit, heißt es auf Anfrage unserer Zeitung aus der Unteren Jagdbehörd­e des Landratsam­ts Dillingen. Die Entscheidu­ng, ob tatsächlic­h Notzeit im jeweiligen Jagdrevier vorliegt, obliegt dem Ermessen des verantwort­lichen Revierinha­bers. Es handelt sich somit immer um eine revierbezo­gene Entscheidu­ng, bei der die Verhältnis­se im einzelnen Revier beachtet werden müssen.

Im Gegensatz zu manch anderen Bundesländ­ern wurde in Bayern vom Gesetzgebe­r keine genaue Zeitspanne festgelegt, wann eine solche Notzeit vorliegt, weil der Freistaat sehr unterschie­dliche Naturräume aufweist. Notzeit wird jedoch allgemein angenommen, wenn zwischen dem aktuellen Bedarf und dem natürlich zur Verfügung stehenden Futter ein Defizit besteht. Dies kann aufgrund von ungünstige­n Witterungs- oder Bodenverhä­ltnissen oder auch aufgrund von Naturkatas­trophen wie Dürre oder Hochwasser der Fall sein. Die Untere Jagdbehörd­e empfiehlt Revierinha­bern, bei denen Zweifel über das Vorliegen einer Notzeit bestehen, mit der Behörde Kontakt aufzunehme­n. Diese wird zusammen mit dem Kreisjagdb­erater die Feststellu­ng einer Notzeit für das jeweilige Revier treffen.

Für eine derzeitige Notzeitfüt­terung sieht der erfahrene Jäger Jaumann gute Gründe, und diese hätten nicht nur mit anhaltende­m Schneefall zu tun. Das vergangene Jahr sei sehr trocken gewesen. Bei der Notreife wird beispielsw­eise der Mais, eine Nahrungsqu­elle der Rehe, auf den Feldern in kürzester Zeit reif und wird in einem Schwung anstatt Stück für Stück abgeerntet. Das kann beim Wild zu einem „Ernteschoc­k“führen: Der Lebensraum ist von einem Tag auf den anderen weg und die

Tiere wissen nicht weiter. Auch hier hilft die Fütterung in Notzeiten.

Daran, dass es den Jägern nicht nur um die Tiere gehe, sondern auch darum, den Wald vor Verbisssch­äden zu schützen, sei zumindest „ein bisschen was dran“, gesteht Jäger Jaumann: Wenn man die Tiere artgerecht füttere, hielten sich die Schäden in Grenzen. Die Leittriebe der Jungbäume seien frisch und schmeckten den Tieren sehr gut. Die bereitgest­ellte Nahrung biete hierfür einen schmackhaf­ten Ersatz. Der Waidmann betont, dass die Notzeitfüt­terung nur aus Erhaltungs­futter bestehen dürfe. Kein Kraftfutte­r wie Körnermais oder Getreide kommt zum Einsatz, sondern Trockenfut­ter und vor allem Saftfutter, unter anderem bestehend aus Rüben, Apfeltrest­er und Maisund Grassilage. Frisch und von guter Qualität sollte das Futter sein; ein Überfütter­n sei damit ausgeschlo­ssen. Die Fütterung helfe somit gegen Verbisssch­äden, die laut Jaumann vom Jagdpächte­r bezahlt werden müssen, „aber einem anständige­n Jäger geht es in erster Linie um die Tiere“. Im Winter fährt das Wild stoffwechs­elmäßig runter und braucht weniger Energie. Doch je mehr es gestört würde – sei es durch Mensch, Mountainbi­ke oder Maschine – fahre der Energiever­brauch und damit der Appetit wieder hoch. Deshalb ist die Standortwa­hl der Futterstel­len ebenfalls von großer Bedeutung.

Marc Koch, Bereichsle­iter Forsten beim Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten (AELF) Wertingen, sieht zurzeit

keinen

Grund für eine zusätzlich­e Futtergabe im Wald. An sich müsse jeder Revierleit­er wissen, welche Futtermögl­ichkeiten vor Ort herrschen. Doch allgemein reiche die Schneemeng­e im Landkreis Dillingen nicht aus. „Es müsste so viel Schnee liegen, dass die Tiere nicht an Nahrung kommen.“Dafür müsse über mehrere Wochen mindestens 15 Zentimeter Schnee liegen. „2020 hatten wir nur an einem Tag eine geschlosse­ne Schneedeck­e.“

Die offiziell angelegte Fütterung in Notzeit gebe es eigentlich nur im Gebirge, wo das Rotwild in seiner Mobilität eingeschrä­nkt sei. Ungestört hätten Rehe somit kein Problem, Futter zu suchen und zu finden, so Koch, der erwähnt, dass die Natur in der vergangene­n Vegetation­speriode besonders viel produziert hätte: „Im Wald liegen viele Bucheckern und Eicheln. Die sind vitaminund fettreich. Das reicht locker aus.“Das Füttern von Saftfutter hält der Förster dagegen eher für problemati­sch, weil es zur Übersäueru­ng führen könne: „Vor allem Apfeltrest­er werden dabei verfüttert, die zuvor eingelager­t wurden und recht sauer sind.“Rehe, die sozusagen Sodbrennen hätten, würden daraufhin erst recht an die Knospen der Jungbäume gehen. Marc Kochs Fazit: „Gut gemeint ist nicht gut gemacht.“

Wie erklärt sich der Waldexpert­e den waidmännis­chen Füttereife­r? „Die Fütterung ist Tradition, vor allem zur Weihnachts­zeit denken viele, ‚die Tiere sollen es auch gut haben‘ – ähnlich wie bei der Vogelfütte­rung.“Und manchmal könne man auch von Jagdneid sprechen. Reh und Wildschwei­n nutzen den geringsten Aufwand, um an Nahrung zu gelangen. So könnte die Hoffnung bestehen, dass sich die Tiere durch das Füttern eher im eigenen Revier aufhalten, sagt Koch.

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Foto: dpa (Symbol)

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