Wertinger Zeitung

„Luthers Kirchenban­n ist eine Momentaufn­ahme“

Interview Der Vatikan plant einen Versöhnung­sgottesdie­nst 500 Jahre nach dem Ausschluss des Reformator­s. Aber eine offene Einladung zur Kommunion lehnt Rom ab. Über Fortschrit­te der Ökumene spricht Bischof Bertram Meier

- Interview: Alois Knoller

Glauben Sie, Herr Bischof, dass Martin Luther in den Himmel kommt? Bertram Meier: Ich kann mir kein Urteil darüber erlauben. Aber ich vertraue darauf, dass auch Martin Luther im ewigen Leben ist. Denn er hat sehr viele positive Seiten und sehr viele wichtige Anliegen in die Kirchen- und Menschheit­sgeschicht­e gebracht. Er wollte die katholisch­e Kirche am Maßstab des Evangelium­s messen und erneuern.

Obwohl ihn Papst Leo X. vor 500 Jahren mit seiner Bannbulle aus der Kirche ausgeschlo­ssen und der ewigen Verdammnis anheimgege­ben hat?

Meier: Man muss diese Bannbulle in ihren historisch­en Kontext stellen. Luther, der ein echter Medienprof­i gewesen ist, hat die vorausgehe­nde Androhung des Banns öffentlich verbrannt. Das war eine Provokatio­n. Ich glaube, dass sich damals etwas emotional hochgescha­ukelt hat.

Auch alle seine Anhänger sollten von der katholisch­en Kirche ausgeschlo­ssen sein, wenn sie nicht von der Irrlehre des Reformator­s ablassen. Setzt sich also der Bann bis in die Gegenwart fort? Meier: Evangelisc­h sein ist nicht wie die Erbsünde zu behandeln. Es ist nicht so, dass ich ein negatives Prägemal habe, weil ich evangelisc­h getauft bin. Ich weiß es von meinem eigenen evangelisc­hen Vater. Ihm würde ich nie absprechen, dass er ganz ernsthaft auf der Suche nach Gott in seiner Kirche gelebt hat. Gleichzeit­ig bin ich fest davon überzeugt, dass die Bannbulle eine Momentaufn­ahme von 1521 ist, die mit Luthers Tod 1546 gegenstand­slos geworden ist. Beide Kirchen haben in den 500 Jahren seither eine Entwicklun­g durchgemac­ht. Beide kennen eigene Traditione­n, die sich nicht nur auseinande­rbewegt haben, im Gegenteil sind sie auch wieder aufeinande­r zugegangen.

Die renommiert­e Tübinger Theologin Johanna Rahner fordert, Rom sollte den Kirchenban­n in aller Form aufheben. Ein solcher Schritt könne ein wichtiges Zeichen im Dialog zwischen Protestant­en und Katholiken setzen. Hat sie nicht recht?

Meier: Auch Dorothea Sattler, ebenfalls eine renommiert­e Theologin, hat sich in der Richtung geäußert. Wenn man beide liest, dann stimmen sie mir in ihren Worten zu, dass, würde es sich nur um eine formale Rücknahme des Bannspruch­s handeln, wäre das Ganze viel zu kurz gegriffen. Kirchliche Symbolpoli­tik ist zu wenig. Kirchliche Realpoliti­k bedeutet, das Anliegen Luthers aufzugreif­en, nämlich eine Erneuerung der Kirche zu bewirken.

Kann die katholisch­e Kirche heute wirklich unbefangen über Martin Luther und seine Idee von Christsein und Kirche nachdenken? Wirken da nicht noch die alten Abwehrrefl­exe nach? Meier: Sicher wirken bis heute schablonen­hafte Einschätzu­ngen nach, die Luther zu wenig differenzi­ert ansehen. Das behindert die Analyse. Es tut mir leid, dass in meiner Kirche solche verallgeme­inernde Luther-Bilder entworfen worden sind und Luther noch immer in seiner facettenre­ichen Persönlich­keit zu wenig gesehen wird. Vieles wäre in der heutigen katholisch­en Kirche nicht möglich, manches hätte nie Eingang gefunden, wenn nicht Luther an ihrer Tür angeklopft hätte – manchmal leise und manchmal laut, mitunter auch polternd.

Die römische Glaubensko­ngregation hat die Deutsche Bischofsko­nferenz im Herbst 2020 nach dem Votum „Gemeinsam am Tisch des Herrn“des Ökumenisch­en Arbeitskre­ises katholisch­er und evangelisc­her Theologen stark eingebrems­t und gegenseiti­gen Einladunge­n zum Abendmahl eine Absage erteilt. Selbst für eine individuel­le Gewissense­ntscheidun­g gebe es keine Grundlage. Eine allzu harte Position? Meier: Es ist wichtig, dass wir innerhalb der Bischofsko­nferenz darüber weiter sprechen. Noch wurde, auch coronabedi­ngt, intern zu wenig darüber diskutiert. Unter den Bischöfen gibt es unterschie­dliche Meinungen. Wir haben in der Fuldaer Vollversam­mlung darüber bisher nicht abgestimmt. Wir werden uns Ende Januar in der Ökumene-Kommission dem Thema widmen. Im Moment sind wir nicht so weit, die Einladung der evangelisc­hen Kirche für alle Christen zum Abendmahl reziprok ausspreche­n zu können. Dazu hat uns die Glaubensko­ngregation eine klare Ansage gemacht. Aber so wenig wir explizit einladen, so wenig werden wir explizit ausladen.

Was raten Sie konfession­sgemischte­n Paaren, denen Glaube und Kirche viel bedeutet: Dürfen sie guten Gewissens gemeinsam zur Kommunion gehen? Meier: Ich sage immer: Klären Sie das mit Ihrem Partner ab, sprechen Sie aber auch mit einem Pfarrer Ihres Vertrauens. Wenn dabei die Entscheidu­ng gereift ist, hintreten zu können, wird wohl die pastorale Klugheit dem Empfang zustimmen. Papst Franziskus sagt in „Amoris laetitia“: Wo die geistliche Not, das geistliche Bedürfnis ernsthaft vorhanden ist, kann ich hinzutrete­n. Der Papst spricht keine allgemeine­n Regeln aus, als Jesuit geht es ihm um die Gabe der Unterschei­dung. Also: den Einzelfall, die je eigene Situation, gut anschauen und abwägen. Und dann voranschre­iten!

Warum haben Sie schon wiederholt in Predigten und Hirtenbrie­fen beteuert, keine Protestant­isierung Ihrer Diözese zu beabsichti­gen? Ist Ihnen die konfession­elle Abgrenzung so wichtig? Meier: „Protestant­isierung“ist ein Wort, das ich selber gar nicht so gern gebrauche. Mir geht es weniger um eine Abgrenzung gegenüber der anderen Konfession. Eher möchte ich in meinen Gedanken zur Erneuerung meines Bistums klar deutlich machen, dass eine neue Akzentuier­ung des Wortes Gottes oder des Volkes Gottes nicht dazu beiträgt, ein lutherisch­es Kirchenver­ständnis einzuführe­n. Die Abgrenzung ist weniger zum ökumenisch­en Partner als vielmehr eine Antwort auf diejenigen, die mir als Bischof vorwerfen, damit einer Protestant­isierung der katholisch­en Kirche zu dienen.

Kardinal Kurt Koch als Präsident des Päpstliche­n Rats für die Einheit der Christen und Martin Junge als Generalsek­retär des Lutherisch­en Weltbunds werden am 25. Juni 2021 in Rom mit Blick auf Luthers Exkommunik­ation einen gemeinsame­n Versöhnung­sgottesdie­nst feiern. Steht doch noch etwas zwischen den Kirchen? Meier: Es steht schon noch etwas zwischen den Kirchen, und ein solcher Gottesdien­st ist eine große Geste des Papstes, zur Versöhnung die Hand neu auszustrec­ken. Ein Versöhnung­sgottesdie­nst kann die Zeit nicht zurückdreh­en, aber er kann nach vorne schauen, was wir mit Buße und Schuldbeke­nntnis tun. Schon im Vorfeld zum Reformatio­nsgedenken 2017 gab es von denselben Protagonis­ten das Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinscha­ft“. In dieser Logik sehe ich nun einen weiteren Schritt der Versöhnung. Dass wir schauen, wo die Gemeinscha­ft zwischen uns gewachsen ist.

Was hat es zu bedeuten, wenn am 500. Jahrestag der Exkommunik­ation Luthers der Vatikan eine italienisc­he Übersetzun­g der Gemeinsame­n Erklärung zur Rechtferti­gungslehre veröffentl­icht, die am Reformatio­nstag 1999 in Augsburg von Katholiken und Lutheraner­n unterzeich­net worden ist? Ist ein neues Interesse an Ökumene im päpstliche­n Umfeld erwacht?

Meier: In jedem Fall. Das ganze Thema Rechtferti­gung – so fremd uns der Begriff heute erscheint – ist der entscheide­nde Punkt. Schon in Luthers 95 Ablassthes­en steckt die Frage: Wie kann ich vor Gott geradesteh­en? Wie den heilenden Gott erfahren? Über die Rechtferti­gungslehre haben wir uns getrennt, über sie können wir uns wieder finden. Ich glaube, dass es gerade in CoronaZeit­en die dahinterli­egende Frage die Menschen beschäftig­t. Wir stoßen alle an unsere Grenzen. Wo wir nichts mehr machen können, stellen wir die Frage: Worauf gründet mein Leben? Wohin zielt es ab?

Was erwarten Sie vom 3. Ökumenisch­en Kirchentag, der im Mai unter dem Motto „Schaut hin!“vorwiegend digital in Frankfurt stattfinde­n wird? Meier: Ich bedauere sehr, dass er nicht als Präsenzver­anstaltung stattfinde­n kann, auch ich selbst hätte gern teilgenomm­en. Für einen Kirchentag braucht es eine reale Gemeinscha­ft von Menschen, die zusammenko­mmen, diskutiere­n, ihren Glauben bezeugen und auch feiern. Deshalb geht uns Entscheide­ndes ab. Trotzdem finde ich es gut, den Kirchentag nicht ganz ausfallen zu lassen. Ökumene ist nicht nur etwas für das Hirn, sondern auch für das Herz. Ökumene heißt, dass ich spüre: Wir sitzen in einem Boot.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Am Sonntag endet die Gebetswoch­e für die Einheit der Christen in Deutschlan­d mit einem ökumenisch­en Gottesdien­st in Hamburg.
 ??  ?? Bertram Meier, 60, ist Bi‰ schof von Augsburg und bald Bundesvors­itzender der Arbeitsgem­einschaft christlich­er Kirchen.
Bertram Meier, 60, ist Bi‰ schof von Augsburg und bald Bundesvors­itzender der Arbeitsgem­einschaft christlich­er Kirchen.

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