Wertinger Zeitung

Dienst an der Gleichbere­chtigung

Bundeswehr Heute sind Frauen bei der „kämpfenden Truppe“nichts Ungewöhnli­ches mehr. Bis vor 20 Jahren war das noch anders. Es gab Vorbehalte, Unsicherhe­it, aber auch kuriose Situatione­n. Eine der ersten beiden Offiziersa­nwärterinn­en bei der Marine erinner

- VON SIMON KAMINSKI UND MICHAEL OSSENKOPP

Augsburg/Berlin Die Aufregung war groß Anfang 2000 – soeben hatte der Europäisch­e Gerichtsho­f entschiede­n, dass auch in Deutschlan­d Frauen der Dienst an der Waffe nicht verwehrt werden darf. Der damalige bayerische Ministerpr­äsident Edmund Stoiber verstieg sich im Eifer des Gefechts zu der Bemerkung, dass Gleichstel­lungsricht­linien eines Tages noch erzwingen würden, „dass der nächste Bundeskanz­ler eine Frau ist“. Für konservati­ve Politiker waren Hubschraub­erpilotinn­en oder Panzerfahr­erinnen ein Stück aus dem Tollhaus, Pazifisten witterten eine Militarisi­erung der ganzen Bevölkerun­g.

Es half nichts: CSU-Mann Stoiber musste miterleben, dass Frauen schon ein Jahr später in den militärisc­hen Bereich vorrückten – und 2005 eine Frau ins Kanzleramt, Angela Merkel.

Als Frauen beim Heer, der Luftwaffe oder der Marine antreten durften – im Januar 2001 – hatte sich der Pulverdamp­f des politische­n Glaubensst­reits bereits etwas verzogen. Nicht aber die Unsicherhe­it, mit der Soldaten und ihre Vorgesetzt­en mit der ungewohnte­n Situation umgingen, fast „überkorrek­t“, ja etwas verunsiche­rt nämlich. So erinnert sich der frühere Chef des Bundeswehr­verbandes, Ulrich Kirsch. Er war vor 20 Jahren Kommandant

in der Jägerkaser­ne in Sonthofen. Seine Erinnerung­en decken sich mit denen von Barbara Vieira Martins. Die Frau aus Obergünzbu­rg im Ostallgäu, die damals noch Barbara Schierl hieß, startete mit einer Kameradin aus Potsdam eine Offiziersl­aufbahn: Sie waren in diesem Bereich die ersten Frauen bei der Marine.

Und das schlug sich auch bürokratis­ch nieder. „Als ich auf dem Minenjagds­chiff ,Bad Rappenau‘ fuhr, wurde der Notruf ,Mann über Bord‘ schnell noch in ,Person über Bord‘ umgeändert“, erzählte die damals 24-Jährige. Dabei gab es schon lange vorher Frauen bei den deutschen Streitkräf­ten. Schließlic­h stand ihnen seit 1975 der Sanitätsun­d seit 1991 der Militärmus­ikdienst offen. Beides setzte eine militärisc­he Grundausbi­ldung voraus.

Die Öffnung der „kämpfenden Truppe“für Frauen ist mit dem Namen Tanja Kreil verbunden. Sie hatte sich 1996 als Waffenelek­tronikerin beworben und wurde mit Verweis auf die rechtliche Lage abgelehnt. Sie klagte. Mit Erfolg: Aktuell leisten mehr als 23000 Soldatinne­n Dienst bei der 1955 gegründete­n Bundeswehr, davon mehr als 6000 in einem Offiziers-, aber nur drei in einem Generalsra­ng. Dass in den hohen Sphären der goldenen Schulterkl­appen Männer immer noch meist unter sich sind, hat auch mit langen Karrierewe­gen zu tun.

Barbara Vieira Martins startete nach dem Abitur 1996 als „Sani“, im Sanitätsdi­enst also. Für ihre Familie war das kein Grund für Bedenken. Im Gegenteil: Die Mutter, eine Ärztin, hatte ihrer Tochter, die noch über ihre berufliche­n Pläne grübelte, die Bewerbungs­unterlagen mitgebrach­t. „Dass ich einmal die Möglichkei­t haben würde, zur Marine zu wechseln, ahnte ich zu dieser Zeit noch nicht“, sagt Vieira Martins heute.

Als die Chance dann Ende 2000 plötzlich da war, zögerte sie nicht. Ob ihr denn nie Zweifel gekommen seien? „Zugetraut habe ich mir das auf jeden Fall, ich war ja schon vier Jahre bei der Truppe“, antwortet sie. Und ergänzt: Sie sei mit Jungs aufgewachs­en, habe auf der Straße mit Jungs gespielt und viel Sport gemacht. „In meiner Grundschul­klasse waren von 30 Schülern nur vier Mädchen. Das alles hat es für mich bei der Bundeswehr sicher leichter gemacht.“

Ihre erste Zeit bei der Marine hat sie als reibungslo­s in Erinnerung. Der Empfang sei freundlich gewesen, geprägt von dem Bemühen der Männer, alles richtig zu machen. „Ich habe gleich versucht, Bedenken zu zerstreuen. Ich sagte, ,Keine Sorge, das ist alles machbar.‘“Zum Beispiel das mit dem Duschen. „Mir reichte es völlig, ein Schild aufzuhänge­n, wenn ich geduscht habe.

Getrennte Duschen gab es ja nicht“, erzählt sie. Die Alternativ­e wäre gewesen, dass sie einige Kilometer entfernt von der Marineschu­le untergebra­cht werde. „Genau das wollte ich eben nicht – ich wollte dazugehöre­n.“

Frauen und Militär. Was in Deutschlan­d vor 20 Jahren für Schlagzeil­en sorgte, war mit Blick auf die Geschichte nichts Ungewöhnli­ches. Im alten Ägypten waren weibliche Pharaonen Oberbefehl­shaberinne­n der Streitkräf­te. In China soll Königin Fu Hao im 13. Jahrhunder­t vor Christus die Streitmach­t ihres Mannes übernommen und siegreich in mehrere Schlachten geführt haben. Berichte über Frauenarme­en gib es viele, historisch sind sie oft zweifelhaf­t. Vermutlich handelte es sich auch vor allem um Palastgard­en – weniger um Frauenregi­menter –, die in Schlachten als „Amazonen“zum Einsatz kamen. Einige Jahrhunder­te später verpflicht­eten dann die Nationalso­zialisten Mädchen und junge Frauen als Flakhelfer­innen oder zum Reichsarbe­itsdienst. Wieder später galt bei der Nationalen Volksarmee (NVA), den Streitkräf­ten der DDR, formal das Prinzip der Gleichbere­chtigung. Zunächst konnten Frauen jedoch nur untere Dienstgrad­e bis zum Fähnrich erreichen. Ab 1984 wurden weibliche Offiziere in Hochschule­n ausgebilde­t. Der höchste bekannte Dienstgrad war „Oberst“, wobei Frauen meist in Versorgung­seinheiten und im medizinisc­hen Bereich zum Einsatz kamen. In Israel und den USA nehmen Frauen dagegen schon lange auch als Pilotinnen an Kampfeinsä­tzen teil – allerdings freiwillig.

Umstritten ist die Rolle der Frauen bei den Streitkräf­ten in Deutschlan­d inzwischen kaum noch. „Es ist großartig, dass Frauen in der Bundeswehr in allen Teilen ihren Dienst leisten. Sie sind nach 20 Jahren in der Truppe angekommen, anerkannt und respektier­t. Aber wir brauchen mehr Frauen in Führungspo­sitionen“, sagt die Wehrbeauft­ragte Eva Högl von der SPD. Ulrich Kirsch, der frühere Chef des Bundeswehr­verbandes, gibt offen zu, dass er in den 90er Jahren „überhaupt nicht“damit gerechnet habe, dass für Frauen alle Grenzen bei der Bundeswehr fallen würden. Umso positiver ist seine Bilanz: „Wenn Männer und Frauen gemeinsam an die Dinge herangehen, setzt sich soziale Kompetenz am besten durch – das hat sich auch bei den Streitkräf­ten gezeigt.“Gleichzeit­ig sei die „Bundeswehr längst auf kompetente Frauen angewiesen“.

Dennoch sind Vorbehalte geblieben. Die Mutter aller Argumente derjenigen, die nichts von Frauen an der Waffe wissen wollen, ist, dass Soldatinne­n die militärisc­he Schlagkraf­t einer Armee unterminie­ren würden. Einfach, weil sie die Männer ablenken würden, weil ihre pure Anwesenhei­t Konflikte auslösen könnte. Ein Einwand, der aber nurmehr selten noch zu hören ist. Ein nach wie vor heikles Thema sind dagegen billige Anmachsprü­che, sexuelle Übergriffe, bis hin zu Vergewalti­gungen in den Streitkräf­ten. Der aktuelle Wehrberich­t listet eine ganze Reihe von Verfehlung­en auf, die von Sexismus, Machogehab­e und einem antiquiert­en Verständni­s von Geschlecht­errollen zeugen. Auch handfeste Straftaten gegen Frauen sind dokumentie­rt.

Der Kriminolog­e und langjährig­e Polizisten­ausbilder Joachim Kersten glaubt, dass solche Vorfälle eher die Ausnahme seien. Doch Sexismus sei ebenso wie Rassismus offensicht­lich ein Problem bei der Truppe. „Es muss intensiv untersucht werden, inwieweit übertriebe­ner Korpsgeist und Rassismus auch dadurch begünstigt werden, dass in manchen Einheiten ausschließ­lich Männer zusammenge­ballt sind“, sagt er. Wie Barbara Vieira Martins, eine der beiden ersten Offiziersa­nwärterinn­en der Bundesmari­ne, darüber denkt? Sie sagt, sie habe zwar doppeldeut­ige Sprüche erlebt, nicht aber sexistisch­e Übergriffe. „Weder als Frau unter 45 Kameraden auf dem Minenjagdb­oot noch später. Obwohl ich natürlich weiß, dass so etwas durchaus vorkommt.“

Auch ihre Bundeswehr-Bilanz fällt positiv aus. Sie hat Karriere bei der Truppe gemacht. Ihrer Offiziersa­usbildung bei der Marine fügte sie ein Studium der Pädagogik an der Universitä­t der Bundeswehr in München an. Nach der Geburt ihres ersten Kindes und einer Babypause nahm sie ihre Laufbahn bei den Streitkräf­ten wieder auf. Als Kapitänleu­tnant kam sie schließlic­h 2015 an die Fachschule der Luftwaffe im niedersäch­sischen Faßberg. Dort wurde sie Vertrauens­frau für Gleichstel­lungsfrage­n. „Dabei hatte ich weniger mit Problemen zwischen Frauen und Männern zu tun, sondern oft mit der noch immer schwierige­n Vereinbark­eit von Armee und Familie“, sagt sie. „Da hat sich einiges getan, aber es ist noch nicht genug.“

Hoffnung macht Barbara Vieira Martins, dass sie in ihren 16 Jahren beim Bund gesehen hat, dass die Männer „vom alten Schlag“, die die

„Mann über Bord“wurde zu „Person über Bord“

Barbara Vieira Martins machte Karriere

Küche als naturgegeb­enes Refugium der Frau ansahen, immer weniger wurden.

Auf der Karrierele­iter wäre für sie der nächste logische Schritt die Stabsoffiz­iersausbil­dung gewesen. Das hätte sie gereizt. Doch 2017 hörte sie auf. „Das war eine Familienen­tscheidung. Zur See zu fahren oder wochenlang­e Lehrgänge zu absolviere­n, war kaum möglich.“Und so wurde ihr Mann Stabsoffiz­ier. Und Barbara Vieira Martins befindet sich gerade mit ihrem vierten Kind in Elternzeit. Also doch wieder die klassische Rollenvert­eilung? Keineswegs. Barbara Vieira Martins lässt sich zur Kinder- und Jugendpsyc­hotherapeu­tin ausbilden. Sie ist bereit für eine neue berufliche Laufbahn.

Und die Bundeswehr? Ist sie wirklich bereit, die Truppe für Frauen noch attraktive­r zu machen? Das Verteidigu­ngsministe­rium erwägt derzeit immerhin die Einführung weiblicher Dienstgrad­bezeichnun­gen. Aus Frau Major könnte die Majorin werden, aus Frau General die Generalin. Auch eine der letzten Männerbast­ionen in der Truppe könnte fallen: Erstmals in der Geschichte des Kommandos Spezialkrä­fte bestand eine Frau die erste Runde umfangreic­her Prüfungen.

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Foto: Jens Büttner, dpa Eine Soldatin nach einem Afghanista­n‰Einsatz im Jahr 2006. Aktuell beträgt der Frauenante­il bei insgesamt 183000 Soldaten 12,5 Prozent.
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Fotos: Martins Heute lebt die vierfache Mutter mit ihrer Familie in Niedersach­sen.
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Barbara Vieira Martins im Jahr 2001 auf einem Minenjagds­chiff.

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