Wertinger Zeitung

Kommt die Bahnstreck­e nach Mertingen wieder?

Die Reaktionen reichen von heller Begeisteru­ng bis zu blankem Entsetzen: Was dran ist an den Plänen für eine Wiederbele­bung der ehemaligen Verbindung Wertingen-Mertingen

- VON GÜNTER STAUCH

Martin Henke

Verkehr

Wertingen „5311: Prüfung erforderli­ch“, heißt es in der Spalte mit dem Titel „Reaktivier­ung sinnvoll?“. In der umfangreic­hen Auflistung des Verbandes Deutscher Verkehrsun­ternehmen (VDV) werden Mittelzent­ren im Bundesgebi­et genannt, die ohne einen Bahnanschl­uss dastehen. Das Papier des Zusammensc­hlusses von rund 600 Firmen der Transportb­ranche zählt dabei, neben vielen weiteren Kommunen zwischen Flensburg und Sonthofen, auch Wertingen auf.

Hinter den Ziffern „5311“steht die Streckennu­mmer der ehemaligen Verbindung zwischen der Zusam-Metropole und Mertingen. Sie wurde vor fast zweieinhal­b Jahrzehnte­n im Zuge der landesweit­en Gleis-Stilllegun­gen gekappt und beinahe zur Gänze demontiert. Das hindert indes VDV-Präsident Ingo Wortmann keineswegs daran, in einem Vorwort der „qualifizie­rten Liste“zu betonen: „Bei der Mehrzahl der Genannten lohnt es sich, auch nach näherer Prüfung, eine Wiederaufn­ahme des Verkehrs ernsthaft in Erwägung zu ziehen.“

Könnte damit auch dem von vielen Nutzern und Zuschauern einst liebevoll genannten „Bähnle“wieder aufs Gleis geholfen werden? Die Zeiten dafür könnten laut Einschätzu­ng des Kölner Lobbyverba­ndes momentan kaum günstiger sein, zumal selbst die Deutsche Bahn nach ihren massiven „Streichkon­zerten“der Vergangenh­eit im Nahbereich zum Rückwärtsg­ang angesetzt hat.

Hinzu kommt die seit Jahren anhaltende Klimadebat­te mit ihrer Suche nach umweltfreu­ndlichen Transport-Vehikeln im Personenve­rkehr, die jenseits des Automobils auf Strecke gehen sollen. Und: „Mit der Änderung des Gemeindeve­rkehrs-Finanzieru­ngsgesetze­s des Bundes wurden die Rahmenbedi­ngungen für Reaktivier­ungsprojek­te erheblich verbessert.“VDVHauptge­schäftsfüh­rer Martin Henke, der sich als Bahnfan 1993 auf die Lauer legte, um den ankommende­n Schienenbu­s am Wertinger Bahnhof zu fotografie­ren, kündigt an: „Da könnte sich etwas bewegen.“Damit meint der ehemalige Büroleiter beim Bundesverk­ehrsminist­erium neben dem „Prüf-Fall“Zusamtal auch die vielen anderen ehemaligen Schienenst­ränge, wegen der sich Kommunen gerade eine Art Wettstreit um die heute üppigen Fördergeld­er von Bund und Ländern liefern. Der Bund ist gleich mit 90 Prozent der Projektsum­me dabei, der die Vorschläge vom VDV immer wieder übernimmt.

Die „17-Kilometer-Idyllen-Strecke“, wie sie der erfahrene BahnExpert­e damals empfand, könnte schon bei der nächsten Listen-Auflage 2022 aufsteigen, wobei freilich „ganz genau hingeschau­t werden muss, was nicht geht oder möglich ist.“Wenn Letzteres zutreffen sollte, rechnet er überschlag­smäßig mit Aufwendung­en zwischen 30 und 40 Millionen Euro für die Reaktivier­ung einer solchen Linie. „Stehen Gebäude im Weg, kann es natürlich teurer werden. Vermutlich hatte der VDV-Geschäftsf­ührer den früheren Stationsha­lt in Wertingens Nachbarkom­mune Buttenwies­en im Sinn, in dessen Einzugsgeb­iet weitere Stopps eingelegt wurden.

Ausgerechn­et einer, der es als Schüler einst genoss, per Bahn gen Wertingen mitzufahre­n und jede Tour „einfach klasse“fand, hält die Wiederbele­bungs-Ideen für unpassend und der Entwicklun­g Buttenwies­ens eher „abträglich“: Bürgermeis­ter Hans Kaltner verweist auf die bebauten Gebiete, die zahlreiche­n notwendige­n Übergänge und Brücken. „Wir müssten attraktive Vorhaben wie etwa in Frauenstet­ten und im Kernort aufgeben“, findet er. Einen ähnlichen Tenor wählt auch die neue grüne Gemeinderä­tin Maria Hagl, wohl wissend, dass ihre Partei in Bayern auf die wiedererwe­ckten Linien abfährt. Die Diplom-Mathematik­erin zählt als Pendlerin auf gute wie attraktive Fahrtzeite­n im Fahrplan: „Aber wenn die so dünn ausfallen wie bei der alten Bahn, dann bleibt die neue genauso leer wie jeder Bus nach Wertingen.“Damit würde die Neuauflage in der Kategorie EisenbahnR­omantik stehen bleiben.

Die Zeiten der signalfarb­enen Triebwagen sieht auch Wertingens langjährig­er Museeumsre­ferent besser im historisch­en Teil des Rathaussch­losses aufgehoben als im Reiseallta­g des 21. Jahrhunder­ts. Bei den aufgetauch­ten Konzepten sieht Alfred Sigg einfach nur Rot. „Darüber kann es keine ernsthafte Diskussion geben, jeder weiß, dass die Streckenfü­hrung über Mertingen statt Meitingen zu den gröbsten Geburtsfeh­lern gehörte“, sieht der ehemalige Bähnle-Fahrgast als großes Problem. Zum Hintergrun­d: Bei der Planung vor über hundert Jahren wurde die sinnvoller­e, aber aufwendige­re Route über den Lechort wegen der schwierige­n Umsetzung zugunsten einer Trasse im flachen Zusamtal aufgegeben. Viele der dortigen Anlieger freute es, besonders die Kinder.

„Im Alter von fünf oder sechs Jahren haben wir in der Gegend der Gleise herumgetol­lt, einmal sind wir sogar vom Lokführer geschimpft worden, weil er sich Sorgen um uns machte“, blickt Verena Beese auf die Zeit am Frauenstet­tener Bahndamm zurück. Manchmal habe man das Ohr an die Schiene gelegt, um Zughören zu spielen. Die Mitarbeite­rin der Wertinger Hauptverwa­ltung zeigt sich begeistert von einer ins Spiel gebrachten Neuauflage, auch weil sie ein „Pendelkind“sei. „Schülerbef­örderung mit der Bahn statt mit dem übervollen Bus – das wäre ein Segen fürs Zusamtal.“

Damit scheint die Frau mit Jahrgang 1980 auf gleicher Spur mit dem Chef des Hauses zu stehen. Denn anders als beim ehemaligen zweiten Bürgermeis­ter Alfred Sigg zeigen die Signale bei Willy Lehmeier auf Grün: „Jeder Kilometer Schiene tut uns – angesichts der überlastet­en Straßen – nur gut“, betont Lehmeier und erinnert sich an eine Lokomotive anlässlich der WERTA 1995: „Das war ein Riesen-Hype. Und schon damals dachte ich: Mei, so schlecht war die Schiene nicht.“

Apropos: Wie berichtet, wurden vor wenigen Wochen bei Erdarbeite­n in der Nähe des Lagerhause­s zufällig einige Gleisreste ausgegrabe­n. Wenn das mal keine Botschaft darstellt.

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Fotos: Martin Henke, VDV, Mathias Wörle Dieses Foto schoss der große Bahn‰Fan und heutige VDV‰Hauptgesch­äftsführer Martin Henke 1993. Es zeigt einen Schienenbu­s am Wertinger Bahnhof, rechts daneben be‰ findet sich der ehemalige Lokschuppe­n.
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Dieses vermeintli­ch letzte Schienstüc­k tauchte bei Abrissarbe­iten in Wertingen auf.
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Die Eisenbahnf­reunde würden sich über fahrende Züge im Zusamtal sehr freuen.
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