Wertinger Zeitung

Schick machen fürs Online-Meeting?

- DORIS WEGNER STEFANIE WIRSCHING

Schick ist ja relativ in Corona-Zeiten – schließlic­h darf der Friseur seit drei Monaten nicht mehr öffnen, die Haare wachsen wie sie wollen und die Lieblingsb­outique ist seit einer gefühlten Ewigkeit in der Zwangspaus­e.

Ja, ich finde, man sollte sich überlegen, wie man in Online-Meetings aussieht. Kostüm und Bluse sicherlich albern, Jogginghos­e und alte Strickjack­e sicherlich eine Kapitulati­on. Aber es gibt ja auch noch ein ansprechen­des Dazwischen. Wenn die Konferenz am offizielle­n Arbeitspla­tz wäre, würde man ja auch nicht in den ollen Schlabbers­achen erscheinen, so ja wohl auch nicht zum Metzger gehen. Job ist Job, da kann man doch ein bisschen die Form waren – der Fernsehabe­nd kommt später. Seit alle im Homeoffice sitzen und von dort aus in die Welt senden, gewinnt man sowieso ganz neue, manchmal viel zu private Einblicke von seinen Kollegen – und die natürlich auch von einem selbst. Ob man will oder nicht. Da wendet man dann zumindest den hübschen Trick an, den Hintergrun­d zu vernebeln, bevor man aus der Rumpelkamm­er sendet. Apropos! Eine schöne Anekdote über Günther Jauch, passt nicht hundertpro­zentig, sagt aber doch was aus: Vor einer Online-Konferenz hat der Moderator alle Aktenordne­r verkehrt herum in die Regale gestellt, also mit der offenen Seite nach außen, damit nicht jeder lesen kann, was der Jauch so zu verwalten hat. Später hätten sich dann alle Teilnehmer der Konferenz auf einem anderen Kanal gewundert, warum der Jauch seine Ordner so komisch in den Regalen stehen hat.

Da man den Vordergrun­d ja schlecht vernebeln kann, möchte ich nicht, dass sich die Kollegen über die Schlabbers­achen von der Wegner austausche­n. Es reicht schon, wenn sie über die Frisur tuscheln.

Gleich mal vornweg: Es gibt natürlich Mindeststa­ndards, wie man sich seinen Mitmensche­n präsentier­en sollte, die auch im Digitalen gelten. Wenn Sie sich derzeit also im Zustand zunehmende­r Verwahrlos­ung befinden, sich nicht mehr in der Lage sehen, dagegen anzukämpfe­n, dann behaupten Sie beim nächsten Online-Meeting bitte einfach: „Ist mir bislang noch nie passiert, aber die Kamera geht nicht an.“Und lassen Sie diese dann ausgestell­t.

Was es ja angeblich auch geben soll: Menschen, die bei OnlineMeet­ings den sogenannte­n Zwitterloo­k tragen. Unten lotter, oben flotter. Merkwürdig. Dieser Zwitterloo­k aber führt genau zum entscheide­nden Punkt in dieser Diskussion: Worum nämlich geht es mir, wenn ich mich den Kollegen, Geschäftsp­artnern oder wem auch immer im digitalen Besprechun­gszimmer präsentier­e? Wer sich rausputzt, tut nämlich im Grunde doch so, als ob. Er spielt etwas vor, was mit der Realität nichts zu tun hat, weil die meisten Menschen, die gerade in Homeoffice­s vor sich hingammeln, das eher nicht in gestärkten Hemden, eng sitzenden Sakkos oder fein gebügelten Seidenblus­en tun. Außer sie brauchen das, um sich mit der Arbeitskle­idung auch die passende Arbeitshal­tung überzuzieh­en. Für alle anderen aber ist der Lockdown so etwas wie ein ewiger Casual Friday, bei dem es legerer zugeht, um auch mal irgendetwa­s Positives über diesePhase zu sagen. Nutzen Sie also die Zeit, ziehen Sie an, worin Sie sich wohlfühlen. Die Gesprächsp­artner freuen sich auch, weil es doch tröstlich ist, zu sehen, dass es in den anderen Arbeitszim­mern da draußen Menschen gibt, die sich halt auch irgendwie durchwursc­hteln. Anzüge schaffen Abstand, Wollpullis und Jeans eher nicht. Nähe aber ist das, was gerade alle vermissen.

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Foto: dpa
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