Wertinger Zeitung

Er hilft den Einsatzkrä­ften nach ihren Einsätzen

Bastian Beck unterstütz­t Feuerwehrl­eute im Landkreis Dillingen bei der Verarbeitu­ng belastende­r Situatione­n. Auch nach dem tödlichen Unfall in Bissingen war der 45-jährige Wertinger vor Ort

- VON BIRGIT ALEXANDRA HASSAN

Bastian Beck unterstütz­t Feuerwehrl­eute im Landkreis Dillingen bei der Verarbeitu­ng belastende­r Situatione­n.

Psychosozi­ale Notfälle

Landkreis Ein kurzer Moment kann das Leben radikal verändern. Ein Unfall, unerwartet­e Szenarien, der Tod eines Menschen. Familie und Freunde trauern, kämpfen offensicht­lich mit der Verarbeitu­ng des Schicksals­schlages. Für die Einsatzkrä­fte scheinen Unfälle irgendwann zur Routine zu gehören. Dem widerspric­ht Bastian Beck. Der 45-jährige Familienva­ter aus dem Wertinger Stadtteil Gottmannsh­ofen hat die Psychosozi­ale Notfallver­sorgung (PSNV) im Landkreis Dillingen mit aufgebaut. Als Fachberate­r für die Einsatzkrä­fte zeigt er auf, was sich hinter der Routine verbirgt. Im Gespräch blicken wir unter anderem nach Bissingen, wo Anfang März ein 19-Jähriger bei einem Unfall unter tragischen Umständen verstarb. Unter den Einsatzkrä­ften kannten viele den jungen Mann.

Waren Sie an dem Abend in Bissingen mit vor Ort?

Bastian Beck: Nein. Ich habe von dem Unfall erst morgens aus den Medien erfahren. Oftmals hört sich die Eilmeldung – Verkehrsun­fall mit eingeklemm­ter Person – dramatisch­er an, als es sich dann vor Ort herausstel­lt. Das gibt es häufig, wenn der Ersthelfer nur die Türe nicht aufbringt. Daher werde ich nicht grundsätzl­ich kontaktier­t. In diesem Fall rief der Kommandant mich allerdings am nächsten Morgen an.

Mit welchem Anliegen?

Beck: Die Einsatzlei­ter entscheide­n, ob sie mich bereits von der Unfallstel­le aus kontaktier­en. Bei dem Unfall in Bissingen verständig­ten wir uns, dass ich mit drei Kollegen am nächsten Tag zur Einsatznac­hbesprechu­ng kommen werde.

Warum braucht es gleich ein ganzes Team?

Beck: Allein schaffe ich es nicht, alle im Blick zu behalten. Wenn einer erzählt, ist es auch wichtig zu beobachten, wie die anderen reagieren. Ob jemand plötzlich blass wird oder überhaupt nichts sagt. Als Einzelkämp­fer gehst du in einer solchen Nachbespre­chung unter.

Waren alle Feuerwehre­insatzkräf­te bei der Nachbespre­chung dabei?

Beck: Alles läuft auf freiwillig­er Basis. Alle am Einsatz Beteiligte­n sind eingeladen, an dem Termin teilzunehm­en. In diesem konkreten Fall in Bissingen waren es 25.

Wie gehen Sie vor bei der Besprechun­g?

Beck: Zunächst erklärt jeder seine Aufgabe, die er bei dem Einsatz hatte. Und alle bekommen den Freiraum darüber zu sprechen, wie es ihnen aktuell geht, was sich seit dem Unfall in ihnen entwickelt hat. Was empfanden sie als brisant an dem Einsatz und welche Situatione­n bleiben in Erinnerung.

Beck: Nein. Bei jeder Situation wird individuel­l entschiede­n, je nach Belastung. Unsere Hauptaufga­be liegt im Prävention­sbereich. Wir gehen raus zu den Feuerwehre­n und schulen, welche Reaktionen ganz normal sind bei einer belastende­n Situation und wie wir aus der Nummer wieder raus kommen. Je mehr wir darüber im Vorfeld reden, desto klarer wissen alle, warum sie so reagieren wie sie reagieren und es kommt zu keinen langfristi­gen Belastunge­n.

Wie reagiert der Mensch auf extreme Belastunge­n?

Beck: Ich fühle mich anders als zuvor. Empfinde Angst. Bin neben der Spur. Schlafe schlecht. Habe keinen Appetit und vielleicht keinen Bock mehr auf die Feuerwehr. – Das sind ganz normale Reaktionen auf ein nicht normales Ereignis. Wenn ich das weiß, kann ich meist damit umgehen und merke, dass sich mein System einigen Tagen, eventuell auch Wochen, wieder reguliert.

Und wenn nicht?

Beck: Dann verhärtet etwas im Menschen. Das hat sich ein gutes Stück gewandelt – Gott sei Dank. Früher gab es noch Sprüche wie: „Nur wer härter ist als Stein, geht zur Feuerwehr“oder „Da musst du durch, musst lernen es auszuhalte­n“. Heute sprechen wir offen über Belastunge­n.

Ein Verdienst der Psychosozi­alen Notfallver­sorgung?

Beck: Gemeinsam mit Günter Maier und Michael Hahn habe ich vor 13 Jahren angefangen, im Landkreis Dillingen ein Team der psychosozi­alen Unterstütz­ung aufzubauen. Ich habe mich dabei auf die Einsatzkrä­fte fokussiert.

Sind Sie selbst ein Feuerwehrl­er und Rettungshe­lfer?

Beck: Im Alter von 14 Jahren bin ich mit meinem Hund der Rettungshu­ndestaffel des Roten Kreuzes beigetrete­n, irgendwann dann in den Rettungsdi­enst eingestieg­en und seit ich 1996 in Wertingen sesshaft wurde als First Responder unterwegs. Über diese Schiene bin ich auch zur Feuerwehr gekommen. 2007 habe ich angefangen, entspreche­nde Ausbildung­en im psychosozi­alen Bereich zu machen.

Gibt es dafür eine standardis­ierte Ausbildung?

Beck: Mittlerwei­le gibt es verschiede­ne standardis­ierte Module der Stressbewä­ltigung. Unabhängig davon habe ich persönlich eine Ausbildung zum Heilprakti­ker für Psychother­apie und die Coachingau­sbildung „Neuroimagi­nation“absolviert.

Warum reagiert unser Körper bei bestimmten Situatione­n so extrem?

Beck: Hier müssen wir etwas über unser Gehirn wissen. Dieses teilt sich in zwei Hälften auf – eine rationale und eine emotionale. Normalerwe­ise funktionie­rt ein Feuerwehrl­er automatisc­h. So ist es kein Problem, jenach manden aus einem Auto rauszuhole­n. Zum Problem kann es dann werden, wenn er nicht mehr rational denken kann, sondern aus irgendeine­m Grund auf die emotionale Gehirnhälf­te wechselt.

Durch was passiert so etwas?

Beck: Wenn wir eine Beziehung zu dem verunglück­ten Menschen feststelle­n. Wir ihn beispielsw­eise kennen oder er ein ähnliches Alter wie das eigene Kind hat. – Dann, wenn plötzlich Parallelen zum eigenen Leben entstehen.

Das war in Bissingen der Fall.

Beck: Auf dem Land ist die Gefahr sehr groß, dass Einsatzkrä­fte die Unfallbete­iligten kennen. Bei dem Unfall in Bissingen kannten mehrere die Verunglück­ten recht gut.

Wie gingen die Feuerwehrl­eute aus der Nachbespre­chung?

Beck: Für manche ist es wichtig, dass das Hirn ein fehlendes „Puzzleteil“bekommt. Bei einem großen Einsatz bekommt man nie alles mit. Wenn etwas fehlt, holt das Hirn die Situation immer wieder hoch und es entsteht Kopfkino, was sehr belasten kann. Wenn alle erzählen, ergänzt sich das Bild. Manche brauchen auch einfach etwas auszusprec­hen. Meine Aufgabe ist, ganz viel aktiv zuzuhören. Mir ist wichtig, dass jeder genügend Raum bekommt, sich mitzuteile­n. Das war der Fall. Jeder kann mich zudem anrufen, wenn im Nachgang noch etwas auftaucht.

Sie sind selbst Feuerwehrm­ann und als First Responder auch Ersthelfer. Haben Sie persönlich nach einem Einsatz schon einmal Unterstütz­ung gebraucht? Beck: Ja, an einer Situation hatte ich tatsächlic­h vor zwei Jahren einige Tage zu knabbern. Zum einen gab es Parallelen zu meiner Familie. Zum anderen fand ich etwas anderes und Schlimmere­s vor, als ich mir nach dem Meldebild vorgestell­t hatte. Ich war mehrere Tage nicht ansprechba­r, schlief schlecht und stellte in Frage, ob ich noch weiter machen will mit den Einsätzen.

Das Wissen alleine reicht demnach nicht aus.

Beck: Als ich nach Hause kam, war mir klar: Jetzt hat es mich erwischt. Im Hinterkopf wusste ich natürlich, dass die Gefahr da ist. In dem Fall kam ich selbst in den „Genuss“einer Nachbespre­chung. Ich merkte, wie gut es tut, das Thema psychisch zu beleuchten, bevor es sich wirklich festsetzt. Jetzt kann ich aus eigener Erfahrung sprechen.

Bastian Beck

leitet die Krisenbetr­eu‰ ung der Feuerwehr‰Einsatzkrä­fte im Landkreis Dillingen. Zu seinem Team gehö‰ ren zudem Michael Hahn (Buttenwie‰ sen), Stefan Betz (Gottmannsh­ofen), Corin‰ na Wilfling (Höchstädt), Edmund Ma‰ thes (Buttenwies­en), Manuela Sched (Höchstädt), Stephan Greck (Dillingen) und Uli Trollmann (Bachtal).

 ?? Finden entspreche­nde Nachbespre­chungen bei jedem schweren beziehungs­weise tödlichen Unfall statt? Foto: Birgit Hassan ?? Für die Feuerwehr im Einsatz: Bastian Beck ist nicht nur aktiver Feuerwehrm­ann und First Responder, er leitet zudem die Psy‰ chosoziale Notfallver­sorgung für Einsatzkrä­fte im Landkreis.
Finden entspreche­nde Nachbespre­chungen bei jedem schweren beziehungs­weise tödlichen Unfall statt? Foto: Birgit Hassan Für die Feuerwehr im Einsatz: Bastian Beck ist nicht nur aktiver Feuerwehrm­ann und First Responder, er leitet zudem die Psy‰ chosoziale Notfallver­sorgung für Einsatzkrä­fte im Landkreis.

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