Er hilft den Einsatzkräften nach ihren Einsätzen
Bastian Beck unterstützt Feuerwehrleute im Landkreis Dillingen bei der Verarbeitung belastender Situationen. Auch nach dem tödlichen Unfall in Bissingen war der 45-jährige Wertinger vor Ort
Bastian Beck unterstützt Feuerwehrleute im Landkreis Dillingen bei der Verarbeitung belastender Situationen.
Psychosoziale Notfälle
Landkreis Ein kurzer Moment kann das Leben radikal verändern. Ein Unfall, unerwartete Szenarien, der Tod eines Menschen. Familie und Freunde trauern, kämpfen offensichtlich mit der Verarbeitung des Schicksalsschlages. Für die Einsatzkräfte scheinen Unfälle irgendwann zur Routine zu gehören. Dem widerspricht Bastian Beck. Der 45-jährige Familienvater aus dem Wertinger Stadtteil Gottmannshofen hat die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) im Landkreis Dillingen mit aufgebaut. Als Fachberater für die Einsatzkräfte zeigt er auf, was sich hinter der Routine verbirgt. Im Gespräch blicken wir unter anderem nach Bissingen, wo Anfang März ein 19-Jähriger bei einem Unfall unter tragischen Umständen verstarb. Unter den Einsatzkräften kannten viele den jungen Mann.
Waren Sie an dem Abend in Bissingen mit vor Ort?
Bastian Beck: Nein. Ich habe von dem Unfall erst morgens aus den Medien erfahren. Oftmals hört sich die Eilmeldung – Verkehrsunfall mit eingeklemmter Person – dramatischer an, als es sich dann vor Ort herausstellt. Das gibt es häufig, wenn der Ersthelfer nur die Türe nicht aufbringt. Daher werde ich nicht grundsätzlich kontaktiert. In diesem Fall rief der Kommandant mich allerdings am nächsten Morgen an.
Mit welchem Anliegen?
Beck: Die Einsatzleiter entscheiden, ob sie mich bereits von der Unfallstelle aus kontaktieren. Bei dem Unfall in Bissingen verständigten wir uns, dass ich mit drei Kollegen am nächsten Tag zur Einsatznachbesprechung kommen werde.
Warum braucht es gleich ein ganzes Team?
Beck: Allein schaffe ich es nicht, alle im Blick zu behalten. Wenn einer erzählt, ist es auch wichtig zu beobachten, wie die anderen reagieren. Ob jemand plötzlich blass wird oder überhaupt nichts sagt. Als Einzelkämpfer gehst du in einer solchen Nachbesprechung unter.
Waren alle Feuerwehreinsatzkräfte bei der Nachbesprechung dabei?
Beck: Alles läuft auf freiwilliger Basis. Alle am Einsatz Beteiligten sind eingeladen, an dem Termin teilzunehmen. In diesem konkreten Fall in Bissingen waren es 25.
Wie gehen Sie vor bei der Besprechung?
Beck: Zunächst erklärt jeder seine Aufgabe, die er bei dem Einsatz hatte. Und alle bekommen den Freiraum darüber zu sprechen, wie es ihnen aktuell geht, was sich seit dem Unfall in ihnen entwickelt hat. Was empfanden sie als brisant an dem Einsatz und welche Situationen bleiben in Erinnerung.
Beck: Nein. Bei jeder Situation wird individuell entschieden, je nach Belastung. Unsere Hauptaufgabe liegt im Präventionsbereich. Wir gehen raus zu den Feuerwehren und schulen, welche Reaktionen ganz normal sind bei einer belastenden Situation und wie wir aus der Nummer wieder raus kommen. Je mehr wir darüber im Vorfeld reden, desto klarer wissen alle, warum sie so reagieren wie sie reagieren und es kommt zu keinen langfristigen Belastungen.
Wie reagiert der Mensch auf extreme Belastungen?
Beck: Ich fühle mich anders als zuvor. Empfinde Angst. Bin neben der Spur. Schlafe schlecht. Habe keinen Appetit und vielleicht keinen Bock mehr auf die Feuerwehr. – Das sind ganz normale Reaktionen auf ein nicht normales Ereignis. Wenn ich das weiß, kann ich meist damit umgehen und merke, dass sich mein System einigen Tagen, eventuell auch Wochen, wieder reguliert.
Und wenn nicht?
Beck: Dann verhärtet etwas im Menschen. Das hat sich ein gutes Stück gewandelt – Gott sei Dank. Früher gab es noch Sprüche wie: „Nur wer härter ist als Stein, geht zur Feuerwehr“oder „Da musst du durch, musst lernen es auszuhalten“. Heute sprechen wir offen über Belastungen.
Ein Verdienst der Psychosozialen Notfallversorgung?
Beck: Gemeinsam mit Günter Maier und Michael Hahn habe ich vor 13 Jahren angefangen, im Landkreis Dillingen ein Team der psychosozialen Unterstützung aufzubauen. Ich habe mich dabei auf die Einsatzkräfte fokussiert.
Sind Sie selbst ein Feuerwehrler und Rettungshelfer?
Beck: Im Alter von 14 Jahren bin ich mit meinem Hund der Rettungshundestaffel des Roten Kreuzes beigetreten, irgendwann dann in den Rettungsdienst eingestiegen und seit ich 1996 in Wertingen sesshaft wurde als First Responder unterwegs. Über diese Schiene bin ich auch zur Feuerwehr gekommen. 2007 habe ich angefangen, entsprechende Ausbildungen im psychosozialen Bereich zu machen.
Gibt es dafür eine standardisierte Ausbildung?
Beck: Mittlerweile gibt es verschiedene standardisierte Module der Stressbewältigung. Unabhängig davon habe ich persönlich eine Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie und die Coachingausbildung „Neuroimagination“absolviert.
Warum reagiert unser Körper bei bestimmten Situationen so extrem?
Beck: Hier müssen wir etwas über unser Gehirn wissen. Dieses teilt sich in zwei Hälften auf – eine rationale und eine emotionale. Normalerweise funktioniert ein Feuerwehrler automatisch. So ist es kein Problem, jenach manden aus einem Auto rauszuholen. Zum Problem kann es dann werden, wenn er nicht mehr rational denken kann, sondern aus irgendeinem Grund auf die emotionale Gehirnhälfte wechselt.
Durch was passiert so etwas?
Beck: Wenn wir eine Beziehung zu dem verunglückten Menschen feststellen. Wir ihn beispielsweise kennen oder er ein ähnliches Alter wie das eigene Kind hat. – Dann, wenn plötzlich Parallelen zum eigenen Leben entstehen.
Das war in Bissingen der Fall.
Beck: Auf dem Land ist die Gefahr sehr groß, dass Einsatzkräfte die Unfallbeteiligten kennen. Bei dem Unfall in Bissingen kannten mehrere die Verunglückten recht gut.
Wie gingen die Feuerwehrleute aus der Nachbesprechung?
Beck: Für manche ist es wichtig, dass das Hirn ein fehlendes „Puzzleteil“bekommt. Bei einem großen Einsatz bekommt man nie alles mit. Wenn etwas fehlt, holt das Hirn die Situation immer wieder hoch und es entsteht Kopfkino, was sehr belasten kann. Wenn alle erzählen, ergänzt sich das Bild. Manche brauchen auch einfach etwas auszusprechen. Meine Aufgabe ist, ganz viel aktiv zuzuhören. Mir ist wichtig, dass jeder genügend Raum bekommt, sich mitzuteilen. Das war der Fall. Jeder kann mich zudem anrufen, wenn im Nachgang noch etwas auftaucht.
Sie sind selbst Feuerwehrmann und als First Responder auch Ersthelfer. Haben Sie persönlich nach einem Einsatz schon einmal Unterstützung gebraucht? Beck: Ja, an einer Situation hatte ich tatsächlich vor zwei Jahren einige Tage zu knabbern. Zum einen gab es Parallelen zu meiner Familie. Zum anderen fand ich etwas anderes und Schlimmeres vor, als ich mir nach dem Meldebild vorgestellt hatte. Ich war mehrere Tage nicht ansprechbar, schlief schlecht und stellte in Frage, ob ich noch weiter machen will mit den Einsätzen.
Das Wissen alleine reicht demnach nicht aus.
Beck: Als ich nach Hause kam, war mir klar: Jetzt hat es mich erwischt. Im Hinterkopf wusste ich natürlich, dass die Gefahr da ist. In dem Fall kam ich selbst in den „Genuss“einer Nachbesprechung. Ich merkte, wie gut es tut, das Thema psychisch zu beleuchten, bevor es sich wirklich festsetzt. Jetzt kann ich aus eigener Erfahrung sprechen.
ⓘ
Bastian Beck
leitet die Krisenbetreu ung der FeuerwehrEinsatzkräfte im Landkreis Dillingen. Zu seinem Team gehö ren zudem Michael Hahn (Buttenwie sen), Stefan Betz (Gottmannshofen), Corin na Wilfling (Höchstädt), Edmund Ma thes (Buttenwiesen), Manuela Sched (Höchstädt), Stephan Greck (Dillingen) und Uli Trollmann (Bachtal).