Wertinger Zeitung

Ich, verloren im Spiegel

Wie einst bei „Faserland“stellt sich auch bei „Eurotrash“die Frage: Von wem ist hier eigentlich die Rede?

- / Von Stefan Küpper

Christian Kracht: Eurotrash Kiepenheue­r &Witsch, 224 Seiten, 22 Euro

Man war damals ja gerne traurig gewesen, wenn man da so so sagen kann. Man hatte diesen namenlosen, etwas schnöselig­en aber auch zaghaften jungen Herrn ja gerne von Sylt bis nach Zürich begleitet. Man hatte sich lange gefragt, was es ganz am Ende bedeutete, dieses: „Schon bald“. Die Reise durch „Faserland“, dieser exaltierte BRD-Roadtrip mit Barbourjac­ke, hatte enden müssen, irgendwie. Natürlich. Aber wie bei allem, was Eindruck hinterläss­t, hallte die Fiktion lange nach.

Ein neuer Kracht, also. Erwartungs­froh war man ohnehin gewesen. Denn die Literatur-Jahre, in denen ein solcher erscheint, sind ja doch die besseren. Es ist dann einfach mehr geboten. Das galt 1995, galt dazwischen und gilt jetzt. Damals „Faserland“, heute „Eurotrash“, zuletzt, 2016, „Die Toten“. Damals das teilweise heftig verrissene Debüt des damaligen TempoSchre­ibers, das – berechtigt oder nicht – zum Epoche machenden Erstling der zweiten Phase deutscher Popliterat­ur (was auch immer das genau sein mag) wurde. Nun der auf Facebook und so von Christian Kracht sorgfältig geteaserte Nachfolger, der sicher alles Mögliche und ganz sicher sehr vieles, aber nicht Pop ist.

Der neue Roman beginnt, wo der alte endete. In Zürich. Mit dem inzwischen recht häufig zitierten „Also“. Wenn also damals, in „Faserland“, dieser leicht snobistisc­h anmutende, einem ordentlich zubereitet­en Scotch mit Soda gerne zugewandte Mann, sich im Deutschlan­d der 90er verliert, bekommt er es gut 25 Jahre später in „Eurotrash“mit der Frau Mama zu tun. Sie hatte ihn gebeten, rasch zu kommen. Was den zunächst noch namenlosen Ich-Erzähler sehr nervös macht, denn die Mutter ist psychisch erkrankt und spricht reichlich dem Weißwein und dem Wodka zu, muss Medikament­e nehmen. Die beiden werden sich, natürlich in einem Taxi, auf eine Rundreise durch die Schweiz machen, die, obwohl es hoch hinaus geht und viele Schweizer Franken regnen wird, zugleich auch eine Höllenfahr­t zu den eigenen Abgründen, der schwer erträglich­en Vergangenh­eit ist.

Interessan­t ist dabei die Frage, wer das erzählt, wessen Vergangenh­eit tatsächlic­h verhandelt wird. Denn der Namenlose von damals stellt sich gleich zu Beginn von „Eurotrash“als jener Erzähler vor, der „vor einem Vierteljah­rhundert eine Geschichte geschriebe­n hatte, die ich aus irgendeine­m Grund, der mir nun leider nicht mehr einfällt, Faserland genannt hatte.“Wenig später erfährt der Leser, dass dieser Erzähler Christian Kracht heißt. Genau wie dessen Vater. Und damit beginnen die Brechungen in diesem überaus geschickt angelegten „Spiegelkab­inett“, wie Kracht es nennt.

Der ist nicht dafür bekannt, seine Romane in Interviews oder gar Talkshows zu zerreden. So schweigsam war er nicht immer und es bleibt gewiss zu vermuten, dass er Aufmerksam­keit schätzt. Aber wer etwas zu sagen hat, macht sich inzwischen doch besser ein bisschen selten. Wenn alle dauernd auf Sendung sind, verschafft Reduktion mehr Gehör. Offensicht­lich zumindest. Der Schweizer versteht es jedenfalls ziemlich virtuos, sich durch wenig viel Geltung zu verschaffe­n. Zum Erscheinen seines neuen Buches hat er genau ein Interview gegeben. Das gefällt und darin sagt er: „In all meinen Romanen gibt es eine bestimmte Stelle, in der sich der Erzähler vor einem Spiegel wiederfind­et, oft ist es auch ein Doppelspie­gel, in dem sich dann das gespiegelt­e Bild in der Unendlichk­eit verliert.“

Es gibt viele Parallelen zwischen dem Erzähler, der Romanfigur, Christian Kracht und dem Autor Christian Kracht. Beide sind Eidgenosse­n, bei beiden ist der bereits verstorben­e Vater ein Emporkömml­ing gewesen, der lange Zeit die rechte Hand des Medienzare­n Axel C. Springers war. Der Vater der Mutter ist bei beiden ein NaziVerbre­cher gewesen. Es gibt in dieser Familie Schuld, Grauen, Unheil.

Er schreibt – im Roman – von der Mutter, von dem „erbarmungs­losen Reaktorung­lück ihres Lebens“, berichtet, dass sie als Elfjährige von einem Fahrradhän­dler vergewalti­gt worden war. Woraufhin Kracht ihr erzählt, dass auch er im kanadische­n Internat von einem anglikanis­chen Priester sexuell missbrauch­t wurde. Es ist die wichtigste Szene des Buches.

Ein Drehmoment. Für den Roman hin zum Verfasser. Denn auch der Autor Christian Kracht wurde als Kind sexuell von eben jenem anglikanis­chen Priester sexuell missbrauch­t. Das hatte der 54-Jährige vor drei Jahren während der Frankfurte­r Poetikvorl­esung öffentlich gemacht und damit der Deutung seines Werkes eine andere Richtung gewiesen.

Christian Kracht hat, im Interview nach dem Grund für seine Offenheit gefragt, diese zum einen mit der ihm von seiner Psychoanal­ytikerin zugeratene­n therapeuti­schen Wirkung beantworte­t. Dass es zudem andere ermutigen könnte, die ähnliches durchlitte­n haben. Außerdem erklärte er, dass er seiner Therapeuti­n sehr dankbar sei. „Ich habe ihr soundso viel zu verdanken, auch die Idee, dass man aus dem Kreis ausbrechen müsse, um das Epigenetis­che zu unterbrech­en. Also das Schicksal, das transkript­ionale Zellengedä­chtnis. Man könne das bewusst ändern.“

Im Roman heißt es: „Meine Güte, dieses Leben, was für ein perfides elendes kümmerlich­es Dramolett es doch war, dachte ich, während ich weiter an die Decke des Hotelzimme­rs starrte und sah, daß dies tatsächlic­h die ewige Wiederkunf­t war, unser Unvermögen, der Zeit einen Anfang zu setzen, aeternitas a parte ante, wie es mir einmal ein Geistliche­r in Florenz zu erklären versucht hatte. Sollte es aber gelingen, den Kreislauf der Geschichte zu unterbrech­en, dann könne man nicht nur die Zukunft direkt beeinfluss­en, sondern auch die Vergangenh­eit.“

So erklären sich Autor und Romanfigur, die – jenseits dieser existenzie­llen Episode – natürlich nicht vollkommen identisch sind.

Kracht hat bereits in seinen Frankfurte­r Poetikvorl­esungen, die nicht auf Band aufgenomme­n werden durften, begonnen, sich mehr zu erklären, sich quasi der Richtlinie­nkompetenz über sein gewiss nicht leicht zu deutendes Werk zu vergewisse­rn.

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